Gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung

Guido Nöcker

(letzte Aktualisierung am 19.04.2017)

Zitierhinweis: Nöcker, G. (2017). Gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i024-1.0


Die Begriffe gesundheitliche Aufklärung (GA) und Gesundheitserziehung (GE) werden häufig nebeneinander, bisweilen synonym gebraucht, obwohl konzeptionelle und strategische Unterschiede bestehen. Darüber hinaus bestehen inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den Termini Gesundheitsbildung, Gesundheitskompetenz und Gesundheitsberatung.

Diese Überlappungen und Unschärfen der Begriffe sind als Mangel an terminologischer Konsistenz kritisiert worden. Als Ursache hierfür werden übereinstimmend die zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten entstandenen und teilweise noch in der Weiterentwicklung befindlichen Konzepte und theoretischen Modelle genannt. Diese stammen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Soziologie, Psychologie, Medizin u.a.m.). Ein Versuch der präzisen Abgrenzung und begrifflichen Unterscheidung muss somit bewusst halten, dass die Bedeutungsinhalte der Begriffe in der Zeit weiterhin Veränderungen unterliegen und ihre Relevanz von der Definitionsmacht unterschiedlicher professioneller Akteursgruppen in Praxis, Politik und Gesundheitswissenschaft bestimmt wird.

Auf internationaler Ebene hat die WHO im Health Promotion Glossary (1986) den Begriff GE (health education) zunächst als weit gefasstes Konzept definiert und den Ansatz der gesundheitlichen Aufklärung darin eingeschlossen. GE beschreibt ein breites Spektrum von Aktivitäten, die von Informations- und Bildungsangeboten bis hin zu sozialer Mobilisierung und gesundheitspolitischer Interessenvertretung (advocacy) reichen. Diese weite Definition wurde in späteren Veröffentlichungen (1998, 2012) modifiziert und enger gefasst. GE wird darin als die gezielte Herbeiführung von Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten verstanden, die neben der (gesundheitlichen) Wissensvermittlung die Förderung von Motivation sowie von Fähigkeiten (competence) und Fertigkeiten (skills) wie auch von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beinhalten. GE zielt somit direkt auf die Förderung personaler Fähigkeiten und wird als komplementäre Strategie zur Veränderung von gesundheitsrelevanten Politikbereichen verstanden (s. Abb. 1).

Beide Strategien werden als notwendig erachtet, um Einfluss auf soziale, wirtschaftliche und ökologische Determinanten von Gesundheit nehmen zu können.

GE kann somit als Strategie der individuellen Verhaltensmodifikation verstanden werden, deren erfolgreiche Ausführung sich am Grad der erreichten Gesundheitskompetenz bestimmen lässt. Gesundheitskompetenz wird so zum zentralen Outcome-Kriterium von gelungener GE, die darauf ausgerichtet sein soll, das individuelle Vermögen von Individuen zu fördern, Zugang zu und Gebrauch von Gesundheitsinformationen so zu gestalten, dass angemessene Gesundheitsentscheidungen getroffen werden. Ob diese Zuordnung von GE als Grundlage von Gesundheitskompetenz eine andere bzw. erfolgreichere Praxis der GE zur Folge haben wird, ist noch nicht erkennbar. Allerdings verweist diese Systematik auf die zunehmende Bedeutung des Begriffes Gesundheitskompetenz (health literacy) innerhalb der Gesundheitswissenschaften.

In Deutschland stehen die Begriffe GE und GA in der Tradition einer frühen Gesundheitslehre und folgten auf die bis Ende der 1950er-Jahre verwendete Bezeichnung der „hygienischen Volksbelehrung“. Der „ Deutsche Verein für Volkshygiene“ (1899) und der 1921 gegründete „Reichsausschuss für hygienische Volksbelehrung“ waren in ihrer Arbeit überwiegend krankheitsorientiert, d.h. auf die Darstellung von Gesundheitsgefahren (z.B. TBC, Alkoholismus, Säuglingssterblichkeit u.a.) und Krankheitsfolgen ausgerichtet.

Mit Errichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (1967) wurde im Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums eine Einrichtung geschaffen, die mit der Erarbeitung von Grundsätzen und Richtlinien für Inhalte und Methoden der praktischen GE, der Aus- und Fortbildung der auf dem Gebiet der GE und GA tätigen Personen sowie der Verstärkung der GA und GE im Bundesgebiet beauftragt wurde.

Das Verständnis von GE basierte auch hier auf einem breiten, unspezifischen Erziehungsbegriff, der „die Gesamtheit der wissenschaftlich begründeten Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen“ (WHO) umfasste. Aktivitäten und Angebote waren vor allem an Familien, Einrichtungen der Erziehung und des Gesundheitswesens ausgerichtet und thematisierten medizinisch begründetes Gefährdungs- und Krankheitswissen (Risikofaktoren). Hauptzielgruppen waren Kinder und Jugendliche bzw. deren Eltern, die in ihren Wertvorstellungen, ihrer Motivation und ihren Verhaltensweisen zu gesundheitsgerechtem Verhalten angeleitet werden sollten. Dabei wurde ein weites Themenspektrum angesprochen, das sich von der Vermeidung von Alkoholmissbrauch über Drogenerziehung, Sexualerziehung, Unfallverhütung bis hin zur Zahngesundheit nahezu über alle relevanten gesundheitlichen Problembereiche erstreckte.

In der Praxis fand dies u.a. seinen Ausdruck in der Entwicklung zahlreicher Unterrichtsmaterialien für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte und andere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie eine entsprechende Berücksichtigung in den Lehrplänen aller Schularten in allen Bundesländern (z.B. Biologie und Sport).

Seit Ende der 1980er-Jahre werden diese Maßnahmen ergänzt durch eine kaum mehr überschaubare Anzahl von Programmen und Projekten unterschiedlichster Komplexität, Themenstellung und Trägerschaft. Sie nehmen dabei aber nicht nur Bezug auf pädagogische Theorien, sondern machen Anleihen bei anderen Fachdisziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaften), die sie in der Praxis miteinander verbinden.

Im Zentrum steht dabei weiterhin das Individuum, insbesondere die Steigerung psychosozialer Kompetenzen und lebenspraktischer Fertigkeiten (life skills). Allerdings ist bei diesen Ansätzen, die auf die Vermittlung bestimmter alters- und geschlechtsspezifischer Fertigkeiten (Lebenskompetenzen) zielen, die Vorstellung von Erziehung als zentralem Leitkonzept zur Herstellung und zum Erhalt von Gesundheit aufgegeben worden.

Kritisiert wird deshalb, dass versäumt wurde, das explizite pädagogische Verständnis der GE hinreichend zu klären. So schlägt Wulfhorst (2002) vor, GE als Anwendungsebene einer sich erst langsam entwickelnden Theorie der Gesundheitspädagogik zu verstehen. Diese könnte dann als „essenzielle Komponente“ in die übergreifenderen Basisstrategien der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention integriert werden. In diesem Sinne sind auch die von Wulfhorst und Hurrelmann (2009) veröffentlichten Publikationen einzuordnen, die den Begriff der Gesundheitserziehung damit wieder einer breiteren Aufmerksamkeit zuzuführen versuchen.

Obwohl der Begriff GA in der gleichen Tradition steht wie die GE, lassen sich schon in Bezug auf die adressierten Personen erste Unterschiede kenntlich machen. Während Erziehung als Konzept zur Verhaltensänderung vor allem auf Kinder und Jugendliche zielt und neben Handlungswissen auch Werte und Normen an die Adressatinnen und Adressaten vermitteln will, wird mit dem Begriff Aufklärung eher eine distante Position des Absenders verbunden, die den Adressatinnen und Adressaten mehr eigene Entscheidungsfreiheit zubilligt. GA bietet in diesem Sinne eine geprüfte, sachliche Information an und appelliert an die Eigenverantwortung der meist erwachsenen Individuen. Sie wird daher als eine Strategie im Kontext von massenmedialen Interventionen, insbesondere bei bevölkerungsweiten Gesundheitskampagnen, angewandt.

Kennzeichnend sind dabei zwei Leitgedanken:

  • das Recht auf vollständige und angemessene Gesundheits- und Krankheitsinformation sowie
  • die Vorstellung, dass nur aufgeklärte Menschen autonome und angemessene Entscheidungen in Bezug auf ihr Gesundheitsverhalten treffen können.

Damit stellt sich zum einen die Frage nach der Vollständigkeit und Verständlichkeit der Information (health literacy). Zum anderen kommt darin die etwas vereinfachende Vorstellung zum Ausdruck, Verhalten sei überwiegend ein Ergebnis rationaler und aufgeklärter Entscheidungsfindung.

In einigen Themenfeldern wie der Aids-, Sexual- und Drogenaufklärung kommt der Aufklärung aber nicht nur die Aufgabe der Vermittlung von adäquater Information zu, sondern auch die Funktion der gesellschaftlichen Enttabuisierung bzw. Entmystifizierung „falscher“ Vorstellungen. Gesundheitliche Aufklärung hat hier die Schwierigkeit zu bewältigen, auch Tabus bzw. Verdrängungs- und Vermeidungsverhalten anzusprechen. In der öffentlichen Debatte über solche heiklen Themen schwingt dabei häufig die Sorge mit, ein Zuviel an Aufklärung könne sogar schaden. Dabei wird unterstellt, dass die gegebene Information die Rezipientinnen und Rezipienten erst „auf falsche Gedanken“ bringen würde und so z.B. zu unerwünschter Schwangerschaft oder Drogenkonsum beitragen könnte.

Gesundheitliche Aufklärung wird in Deutschland durch eine Vielzahl unterschiedlicher Träger angeboten. Es handelt sich u.a. um staatliche, halbstaatliche, nichtstaatliche, gemeinnützige, private, kommerzielle, religiöse und politische Träger auf bundesweiter, regionaler und kommunaler Ebene.

Wichtige Träger der institutionalisierten gesundheitlichen Aufklärung in Deutschland sind

  • die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung,
  • die gesetzlichen und privaten Krankenkassen und ihre Verbände,
  • staatliche und kommunale Gesundheitsämter,
  • niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und ihre Verbände,
  • Verbraucherverbände und Fachgesellschaften,
  • Volkshochschulen und andere Bildungseinrichtungen,
  • die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung, Landeszentralen, Landesvereinigungen und -arbeitsgemeinschaften für Gesundheit, Gesundheitsförderung bzw. -erziehung.

Darüber hinaus leisten die Medien - Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet - einen eigenständigen Beitrag zur gesundheitlichen Aufklärung. Mit Berichten, Serien oder Spezialsendungen und Portalen informieren sie über gesundheitliche Risiken und ihre Prävention wie auch über Krankheiten, ihre Therapie und Bewältigung.

Bedingt durch eine weiter zunehmende Medialisierung der Gesellschaft (Internet, mobile Dienste) und durch einen vom expandierenden Gesundheitsmarkt ausgehenden Boom an neuen Informationsquellen und Gesundheitsthemen (Social Media) steht die gesundheitliche Aufklärung vor neuen Herausforderungen:

  • So ist in Folge der Informationsvielfalt nicht der Informationsmangel, sondern die Informationsselektion zum Problem geworden. Dies schließt die Frage der Qualitätssicherung und der Wahrung von wirtschaftlicher Interessenneutralität mit ein. Die im wachsenden Gesundheitsmarkt auftretenden finanzstarken privaten Anbieter von Gesundheitsinformationen (Pharmaindustrie, Apotheken, Kliniken u.a.) erzeugen dabei mit ihrer Kundenorientierung und ihren Vermarktungsinteressen eine Dynamik, bei der die aus öffentlichen Mitteln geförderte Gesundheitsaufklärung zunehmend an den Rand gedrängt wird.
  • Damit einher geht ein erkennbarer Autoritätsverlust der traditionellen Akteure der institutionalisierten Gesundheitsaufklärung (staatliche Gesundheitsagenturen, Ärzteschaft). Dies zeigt nicht nur die Zahl neuer Selbsthilfeinitiativen, Ratgeberangebote und Diskussionsforen unterschiedlicher Güte, sondern auch die geringe Akzeptanz staatlich empfohlener Vorsorgemaßnahmen (z.B. Impfbereitschaft - „Neue Grippe“ 2009).
  • Hinzu kommt, dass in einer medialen Welt, in der Informationen und Desinformation (alternative Fakten) zunehmend gegeneinander stehen, auch individuelle Gesundheitsentscheidungen schwieriger werden und öffentliche Kommunikation über Gesundheit noch bedeutsamer wird. Der GA kommt hier für die Verbreitung evidenzbasierter Information eine zentrale Rolle bei der Verteidigung des Vernunftprinzips (wahr ist, was sich belegen lässt) gegen Manipulation und Täuschung zu.
  • Schließlich bieten die neuen Medien auch neue Chancen, so z.B. in vereinfachten und erweiterten Zugangswegen zu Information, Beratung und Behandlung (e-health) und der Möglichkeit aktiver Beteiligung (soziale Medien). Dabei wird jedoch unter dem Aspekt der gesundheitlichen Chancengleichheit zunehmend auf negative Selektionseffekte zu achten sein.

Literatur:

Franzkowiak P/Wenzel E, Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung, in: Otto HU/Thiersch H (Hg.), Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik, Neuwied 2001, 716-722;
Hörmann G, Erziehungswissenschaften und Gesundheitserziehung, in: Wulfhorst B/Hurrelmann K 2009, 35-48; Wulfhorst B/Hurrelmann K, Handbuch Gesundheitserziehung, Bern 2009;
World Health Organization, Health Promotion Glossary, Geneva 1986 und 1998 WHO/HPR/HEP/98.1 36
World Health Organization, Health education: theoretical concepts, effective strategies and core competencies, Regional Office for the Eastern Mediterranean, Cairo 2012
Wulfhorst B, Theorie der Gesundheitspädagogik. Reihe Grundlagentexte Gesundheitswissenschaften, Weinheim und München 2002

Internetadressen:

www.bzga.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
www.educationforhealth.net/home/defaultnew.asp (Education for Health [EfH])
www.wegweiser.bzga.de (Wegweiser Gesundheitsförderung [BZgA])

Verweise:

Gesundheitsberatung, Gesundheitsbildung, Gesundheitsförderung 1: Grundlagen, Gesundheitskommunikation und Kampagnen, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Social Media / Gesundheitsförderung mit digitalen Medien