Gesundheitsbezogene Lebensqualität

Christiane Otto , Ulrike Ravens-Sieberer

(letzte Aktualisierung am 24.03.2020)

Zitierhinweis: Otto, C. & Ravens-Sieberer, U. (2020). Gesundheitsbezogene Lebensqualität. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i030-2.0

Zusammenfassung

Die  gesundheitsbezogene Lebensqualität umfasst das subjektive Wohlbefinden in verschiedenen Lebensbereichen. Eine einheitliche Definition existiert bislang nicht, meist werden jedoch körperliche, psychologische, soziale, familiäre und arbeitsbezogene Faktoren berücksichtigt. Dieses Verständnis führt zunehmend zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin: So wird der Erfolg einer Behandlung nicht mehr nur an körperlichen Befunden gemessen, sondern auch an den individuellen Einschätzungen der Patienten. Zahlreiche Studien haben die gesundheitsbezogene Lebensqualität in den vergangenen Jahren untersucht – allerdings ohne auf eine bereits entwickelte Theorie zurückgreifen zu können.

Schlagworte

Subjektive Gesundheit, Wohlbefinden, Weltgesundheitsorganisation, Erfassung mit Fragebögen, Computer-adaptiver Test


Der Begriff der Lebensqualität wird in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. In die Politikgestaltung hat Lebensqualität als qualitatives Gegenkonzept zu einem quantitativen Verständnis von Lebensstandard seit den 1970er-Jahren Eingang gefunden (Lebensqualität – ein Konzept der individuellen und gesellschaftlichen Wohlfahrt). Dabei werden quantifizierbare Lebensbedingungen in Bezug gesetzt zur subjektiven Wahrnehmung dieser Bedingungen und dem damit verbundenen Wohlbefinden. Versuche der Operationalisierung eines Konzepts der Lebensqualität sind gegenwärtig nicht mehr nur auf Ökonomie, Soziologie und Philosophie beschränkt, sondern werden auch in der Psychologie, Gesundheitsforschung und in der Medizin unternommen. Lebensqualität ist ein übergreifendes interdisziplinäres Forschungsfeld, in das sich die „gesundheitsbezogene Lebensqualität“ konzeptionell einordnen lässt.

Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität handelt es sich um ein multidimensionales Konstrukt, welches die Funktionsfähigkeit bzw. das subjektive Wohlbefinden in verschiedenen wichtigen Lebensbereichen umfasst. Es existieren zahlreiche Definitionen dieses Konstrukts, in der Regel werden körperliche, emotionale bzw. psychologische, soziale, familiäre und oftmals auch arbeits- bzw. schulbezogene Aspekte berücksichtigt.

Im Rahmen der Entwicklung des Fragebogens WHOQOL durch die Quality of Life Assessment Group der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde ein sechsdimensionales Konstrukt definiert (WHOQOL Group 1995). Nach dieser Definition umfasst die gesundheitsbezogene Lebensqualität eine körperliche und eine psychische Domäne sowie Domänen zum Grad der Unabhängigkeit zu sozialen Beziehungen, zu Lebensbedingungen und zur Spiritualität bzw. zur Religion oder zu persönlichen Überzeugungen.

Kritik erfährt das Konstrukt bzw. die zugehörige Forschung vor allem aufgrund eines Theoriemangels; es existiert keine fundierte Theorie, noch konnte bis dato eine erfolgreiche Anbindung des Konstrukts an eine bereits entwickelte Theorie geleistet werden. Bestimmte Befunde wie beispielsweise die Assoziation zwischen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und dem sozio-ökonomischen Status von Personen sind jedoch vielfach repliziert worden. Die aktuelle Forschung nutzt zur Hypothesenbildung Befunde aus vorherigen Studien, die je nach Untersuchungsgruppe zahlreich bzw. manchmal auch rar sind.

In der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität einer Person durch ihre individuelle gesundheitliche Situation und/oder medizinische Behandlung beeinflusst wird. Dementsprechend nimmt man an, dass sich der Erfolg einer Behandlung in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Patientinnen und Patienten widerspiegelt. Messverfahren zur Erfassung subjektiver Aussagen von Patientinnen und Patienten erfahren in der Medizin zunehmendes Interesse und ihre Berücksichtigung stellt eine sinnvolle Ergänzung zu der in der Medizin üblichen Fokussierung auf körperliche Befunde dar.

Dieser Paradigmenwechsel in der Medizin geht unter anderem auf eine Definition der WHO zurück, wonach neben dem körperlichen Zustand auch psychische und soziale Dimensionen die Gesundheit ausmachen. Die Zunahme chronischer Erkrankungen, die Auswirkungen dieser Erkrankungen sowie ihrer Behandlung auf das Wohlbefinden und die Funktionsfähigkeit der Patientinnen und Patienten sind von wachsendem Interesse in der Medizin, in der Pflege und in zugehörigen Forschungsbereichen (Epidemiologie und Sozialepidemiologie, Determinanten von Gesundheit).

Zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wird grundsätzlich zwischen generischen und krankheitsspezifischen Instrumenten unterschieden. Generische Instrumente sind geeignet zum Einsatz in der Allgemeinbevölkerung (d. h. in gesunden Stichproben) als auch in Populationen erkrankter Personen. Krankheitsspezifische Instrumente sind hingegen speziell für Patientinnen und Patienten mit bestimmten Erkrankungen entwickelt worden. Sie erfragen auch spezifische Beeinträchtigungen durch die vorliegende Erkrankung und dienen so beispielsweise der Erfassung der rheuma-spezifischen Lebensqualität.

Weiterhin wird zwischen Instrumenten für Kinder bzw. Jugendliche und Messverfahren für Erwachsene unterschieden. Speziell für Kinder bzw. Jugendliche entwickelte Instrumente gewährleisten eine altersgemäße Erfassung des Konstrukts. Als anerkannte Instrumente zur Erfassung der generischen gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen können der KINDL-R (Ravens-Sieberer & Bullinger 1998) und der KIDSCREEN (Ravens-Sieberer & The KIDSCREEN Group Europe 2006) gelten. Die genannten Instrumente wurden unter anderem in der bundesweiten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) eingesetzt (Robert Koch-Institut 2018). Als Instrumente zur Erfassung der krankheitsspezifischen Lebensqualität liegen für verschiedene Erkrankungen explizit entwickelte Fragebögen vor (z. B. DISABKIDS; The DISABKIDS Group Europe 2006). Die genannten Instrumente für Kinder und Jugendliche werden jeweils sowohl als Selbstberichtsversionen (Kinder bzw. Jugendlichen beantworten die Fragen selbst) als auch als Fremdbeurteilungsversionen (Eltern oder andere Betreuungspersonen beurteilen die gesundheitsbezogene Lebensqualität des Kindes) angeboten. Die beschriebenen Instrumente liefern jeweils sowohl ein Profil als auch einen Gesamtwert bzw. Index-Wert.

Für Befragte ab 14 Jahren bis in das hohe Erwachsenenalter liegt der „Short-Form-36“ (SF-36) als vielfach eingesetzter und anerkannter Fragebogen vor (Ware & Sherbourne 1992; deutsche Version: Morfeld, Kirchberger & Bullinger 2011). Der SF-36 liefert ein Profil basierend auf den Werten zu den erfassten acht Dimensionen sowie zwei Summenwerte aus Skalen, welche die körperliche und die psychische Komponente jeweils zusammenfassend abbilden. Als weltweit sehr anerkanntes Instrument wurde der SF-36 auch im Bundesgesundheitssurvey bei erwachsenen Befragten eingesetzt (Ellert & Kurth 2013).

Darüber hinaus seien Computer-Adaptive Tests (CATs) besonders erwähnt. CATs sind psychometrisch reliabel und erlauben eine valide Messung anhand weniger Items, die für jeden Befragten individuell ausgewählt werden. Mit Hilfe eines statistisch anspruchsvoll entwickelten deutschsprachigen CATs, des Kids-CAT, lässt sich die generische gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen erfassen (Barthel et al. 2017).

In den vergangenen Jahren wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität in zahlreichen Studien sowohl im Rahmen der Gesundheitsforschung als auch in klinischen Studien untersucht, wobei unterschiedliche Ziele verfolgt wurden. So kann die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Bereich der Therapieforschung sinnvoll sein, um Therapieerfolge auch auf subjektiver Patientenebene zu evaluieren. Die Berücksichtigung des Konstrukts kann auch im Rahmen der Entwicklung und Evaluation von Präventionsmaßnahmen wertvolle Informationen liefern. Weiterhin ist die gesundheitsbezogene Lebensqualität ein wichtiger Indikator des subjektiven Wohlbefindens für die Gesundheitsberichterstattung und kann für die Gesamtbevölkerung als auch für Bevölkerungsgruppen (z. B. Ost- versus Westdeutschland) wichtige Informationen liefern. Somit hat das Konstrukt auch eine Bedeutung für die Public Health Forschung (Gesundheitswissenschaften/Public Health). Darüber hinaus wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität vielfach in ausgewählten Populationen (z. B. in spezifischen Krankheitsgruppen) untersucht, und die Resultate können zur näheren Beschreibung der jeweiligen Gruppen genutzt und mit Normdaten aus der Allgemeinbevölkerung verglichen werden.

Perspektivisch sollte geprüft werden, ob eine Implementierung regelmäßiger Messungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in die medizinische Routineversorgung dazu beitragen kann, die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise die Frage interessant, ob und inwieweit die Arzt-Patienten-Kommunikation durch eine regelmäßige Messung des subjektiven Wohlbefindens der Patientinnen und Patienten unterstützt werden kann.

Literatur:

Barthel, D. et al. (2017). The validation of a computer-adaptive test (CAT) for assessing health-related quality of life in children and adolescents in a clinical sample: Study design, methods and first results of the Kids-CAT study. Quality of Life Research, 26(5), S. 1105–1117. doi: 10.1007/s11136-016-1437-9.
Ellert, U. & Kurth, B.-M. (2013). Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 56, S. 643–649. doi: 10.1007/s00103-013-1700-y.
Morfeld, M., Kirchberger, I. & Bullinger, M. (2011). SF-36. Fragebogen zum Gesundheitszustand – Deutsche Version des Short Form-36 Health Survey. 2. Auflage, Göttingen: Hogrefe.
Ravens-Sieberer, U. & Bullinger, M. (1998). Assessing health-related quality of life in chronically ill children with the German KINDL: First psychometric and content analytical results. Quality of Life Research, 7(5), S. 399–407.
Ravens-Sieberer, U. & The KIDSCREEN Group Europe (2006). The KIDSCREEN questionnaires: Quality of life questionnaires for children and adolescents. Handbook. Lengerich: Pabst Science Publishers.
Robert Koch-Institut (2018). KiGGS – Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Zugriff am 23.07.2019 unter www.kiggs-studie.de/deutsch/home.html.
The DISABKIDS Group Europe (2006). The DISABKIDS-questionnaires for children with chronic conditions. Lengerich: Papst Science Publishers.
Ware, J. E. Jr. & Sherbourne, C. D (1992). The MOS 36-Item short-form health survey (SF-36): I. Conceptual framework and item selection. Medical Care, 30(6), S. 473–483.
WHOQOL Group (1995). The World Health Organization quality of life assessment (WHOQOL): Position paper from the World Health Organization. Social Science & Medicine, 41(10), S. 1403–1409.

Weiterführende Quellen:

International Society for Quality of Life Research – ISOQOL (2019). Zugriff am 23.07.2019 unter www.isoqol.org.
Mapi Research Trust (2019). PROQOLID [Patient-reported outcome and quality of life instruments database]. Zugriff am 23.07.2019 unter https://eprovide.mapi-trust.org/about/about-proqolid.
RAND Corporation (1994–2019). 36-Item Short Form Survey (SF-36). Zugriff am 23.07.2019 unter www.rand.org/health-care/surveys_tools/mos/36-item-short-form.html.
Ravens-Sieberer, U. (2013). Kids-CAT-Studie zum Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Zugriff am 23.07.2019 unter www.kids-cat.org.
Ravens-Sieberer, U. (2011). KIDSCREEN – Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mittels Selbstauskunft und Fremdurteil. Zugriff am 23.07.2019 unter www.kidscreen.org.
Ravens-Sieberer, U. & Bullinger, M. (1998). KINDL R Revidierter Fragebogen für KINDer und Jugendliche zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Zugriff am 23.07.2019 unter www.kindl.org.
Ravens-Sieberer, U., Klasen, F., Bichmann, H., Otto, C., Quitmann, J. & Bullinger, M. (2013). Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen. [Assessment of health-related quality of life in children and adolescents]. Das Gesundheitswesen, 75(10), 667–678. doi: 10.1055/s-0033-1349555.
Robert Koch-Institut (o. D.). Gesundheit in Deutschland aktuell. Zugriff am 23.07.2019 unter www.geda-studie.de/deutsch/home.html.
Robert Koch-Institut (o. D.). Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Zugriff am 23.07.2019 unter www.degs-studie.de/deutsch/home.html.
Schumacher, J., Klaiberg, A. & Brähler, E. (2003). Diagnostik von Lebensqualität und Wohlbefinden – Eine Einführung. In: J. Schumacher, A. Klaiberg & E. Brähler (Hrsg.). Diagnostische Verfahren zu Lebensqualität und Wohlbefinden. Göttingen: Hogrefe.
Springer Nature Switzerland AG (o. D.). Quality of life research – An international journal of quality of life aspects of treatment, care and rehabilitation – An official journal of the International Society of Quality of Life Research. Zugriff am 23.07.2019 unter https://link.springer.com/journal/11136.
The DISABKIDS Group (2018). DISABKIDS [The DISABKIDS project and questionnaires on health-related quality of life in chronically ill children]. Zugriff am 23.07.2019 unter www.disabkids.org.

Verweise:

Gesundheitswissenschaften / Public Health, Lebensqualität - ein Konzept der individuellen und gesellschaftlichen Wohlfahrt

Wir danken Frau Bärbel Kurth für Ihre aktive Mitarbeit an früheren Versionen dieses Leitbegriffs.