Health Technology Assessment (HTA) / Technikfolgenabschätzung
Ansgar Gerhardus , Matthias Perleth
Zitierhinweis: Gerhardus, A. & Perleth, M. (2023). Health Technology Assessment (HTA) / Technikfolgenabschätzung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Health Technology Assessment (HTA) / Gesundheitstechnologiebewertung bewertet den Nutzen von gesundheitlichen Technologien überwiegend auf der Basis bereits vorhandener Studien. Der Begriff Technologie umfasst dabei nicht nur Medizinprodukte und Arzneimittel, sondern auch Programme und organisatorische Maßnahmen mit dem Ziel, Gesundheit zu stärken und Krankheiten zu vermeiden bzw. zu versorgen. HTA-Berichte dienen vorwiegend den die Gesundheitsversorgung finanzierenden Organen als Entscheidungsgrundlage für Erstattungsfragen. HTA geht dabei über die einfache Bewertung der medizinischen Wirksamkeit einer Technologie hinaus und berücksichtigt u. a. auch ökonomische, ethische, soziale und organisatorische Aspekte.
Schlagworte
HTA, Health Technology Assessment, PTA, Parliamentary Technology Assessment, Gesundheitliche Technologien, Gesundheitliche Verfahren
Gesundheitliche Technologien und Verfahren
Unter gesundheitlichen Technologien und Verfahren werden neben Arzneimitteln und Medizinprodukten auch physikalische und edukative Maßnahmen wie Rückenschulen und Rauchentwöhnungsprogramme, Screeningprogramme oder organisatorische Maßnahmen wie die Einführung von Mindestmengen zu definierten Eingriffen (z. B. Operationen an der Bauchspeicheldrüse) in Krankenhäusern verstanden.
Health Technology Assessment
Mittels Health Technology Assessment (HTA) werden gesundheitliche Technologien und Verfahren unter medizinischen, ökonomischen, ethischen, sozialen, kulturellen und organisatorischen Aspekten systematisch und transparent bewertet. Ziel von HTA ist es, zwischen nützlichen und weniger nützlichen gesundheitlichen Technologien zu unterscheiden und dadurch Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen wissenschaftlich zu unterstützen.
HTA greift dafür in der Regel auf bereits vorhandene Studien und Daten zurück. Für die Bewertung gesundheitlicher Parameter werden oft systematische Reviews erstellt, für gesundheitsökonomische Fragestellungen können verschiedene Formen der Kostenanalysen zum Einsatz kommen. Für die Bewertung weiterer Aspekte können ebenfalls systematische Reviews erstellt oder ggf. auch Primärdaten erhoben werden.
In Box 1 werden am Beispiel eines HTAs zur Bewertung eines Kurses zur Rauchentwöhnung mögliche Fragestellungen aufgelistet und Methoden vorgeschlagen, mit denen sie bearbeitet werden können.
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Box 1: Beispiel-HTA zur Bewertung eines Kurses zur Rauchentwöhnung (eigene Darstellung)
Entwicklung und Rolle von HTA
HTA-Berichte werden meist von staatlichen Einrichtungen wie Ministerien oder von Versicherungsträgern in Auftrag gegeben. Als weltweit erste HTA-Einrichtung gilt das 1975 eingeführte „Congressional Office of Technology Assessment“ (OTA) in den USA. Im Rahmen der parlamentarischen Politikberatung sollte es insbesondere die sozialen Implikationen medizinischer Technologien einordnen.
International bildeten sich im weiteren Verlauf zwei Richtungen heraus: Die parlamentarische Technologieberatung (Parliamentary Technology Assessment / PTA) – in Deutschland repräsentiert durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) – kommt der Idee des OTA nahe. So verfasst das TAB Gutachten zu den gesellschaftlichen Konsequenzen von größeren Themen wie Gendoping oder Biobanken. Anders als PTA betrachtet HTA, die zweite Richtung, gesundheitliche Technologien meist aus der Perspektive der Versorgung von Individuen.
In Deutschland förderte das Bundesgesundheitsministerium 1996 zunächst mehrere, von der Medizinischen Hochschule Hannover koordinierte Verbundprojekte zu HTA. Später wurden die Projekte in Form einer Arbeitsgruppe beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) als Deutsche Agentur für HTA (DAHTA@DIMDI) institutionalisiert.
2015 ging die Aufgabe, HTA-Berichte zu erstellen, an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) über. Unter dem Titel „ThemenCheck Medizin“ können alle Bürgerinnen und Bürger Vorschläge für die Bearbeitung von Themen einreichen. Die Themenauswahl erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren. Pro Jahr können bis zu fünf Themen an externe Sachverständige vergeben werden. Anders als die „evidenzbasierten Gutachten“ zu Arzneimitteln und nichtmedikamentösen Behandlungsmethoden des IQWiG werden die HTA-Berichte also nicht gezielt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt. Ob sie einen Einfluss auf gesundheitliche Entscheidungen ausüben ist daher unklar.
In vielen anderen Ländern dagegen bildet HTA die wissenschaftliche Grundlage für alle relevanten Entscheidungen über die Erstattung von gesundheitlichen Technologien.
Auf europäischer Ebene wird die Bedeutung von HTA in den nächsten Jahren deutlich zunehmen: Entsprechend der EU-Regulation 2021/2282 werden ab dem Jahr 2025 Krebsmedikamente einer europäischen klinischen Bewertung unterzogen. In den darauffolgenden Jahren sollen dann alle Arzneimittel sowie ausgewählte Medizinprodukte mit großer Relevanz für die Versorgung dem europäischen Bewertungsverfahren unterzogen werden. Das heißt, dass es in der EU ein zentrales HTA-Verfahren geben wird, das in den Mitgliedsstaaten in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen ist. Es handelt sich um ein ambitioniertes Projekt, in das alle EU-Mitgliedsländer mit ihren jeweiligen HTA-Agenturen eingebunden sind.
Durch die gemeinsamen Bewertungen sollen Synergien erreicht werden, da dann nicht mehr jedes Land seine eigenen Bewertungen durchführen muss, sondern für die nationale Entscheidungsfindung auf die europäische Bewertung zurückgreifen kann. Zudem soll eine Beschleunigung der Entscheidungsfindung für die nationale Vergütung und Preisfindung erreicht werden. Neben den Bewertungsverfahren sollen auch europäische Beratungen für Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie ein horizon scanning (d. h. die frühzeitige Identifikation relevanter neuer Gesundheitstechnologien) etabliert werden.
Health Technology Assessment (HTA) im Kontext von Prävention und Gesundheitsförderung
Weil HTA weit über die Bewertung der rein medizinischen Aspekte einer Technologie hinausgeht, ist es prinzipiell gut geeignet, Bewertungen im Bereich von Gesundheitsförderung vorzunehmen. In Evidence-based Public Health (EbPH) werden bereits Elemente von HTA aufgenommen. Der derzeitige, vorwiegend reduktionistisch geprägte Ansatz von HTA muss allerdings auf den besonderen Charakter der Gesundheitsförderung abgestimmt werden. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit komplexen Interventionen und komplexen Endpunkten.
Literatur:
Gerhardus, A., Breckenkamp, J., Razum, O., Schmacke, N. & Wenzel, H. (Hrsg.) (2010). Evidence-based Public Health. Bern: Springer.
Perleth, M., Busse, R., Gerhardus, A., Gibis, B., Lühmann, D. & Zentner, A. (Hrsg.) (2014). Health Technology Assessment. Konzepte, Methoden, Praxis für Wissenschaft und Entscheidungsfindung. 2. Auflage, Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Internetadressen:
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag: www.tab-beim-bundestag.de
Datenbankinformation DAHTA: https://www.bfarm.de/DE/Das-BfArM/Aufgaben/HTA/Datenbankinformation/_node.html
Health Technology Assessment / Informationssystem HTA: www.bfarm.de/DE/Das-BfArM/Aufgaben/HTA/_node.html
IQWiG (Themencheck Medizin): www.iqwig.de/sich-einbringen/themencheck-medizin
The International Network of Agencies for Health Technology Assessment: www.inahta.org
Verordnung (EU) 2021/2282 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung von Gesundheitstechnologien und zur Änderung der Richtlinie 2011/24/EU: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32021R2282&from=EN