Kinderschutz und Prävention ‒Gesundheitsförderung

Tanja Jungmann

(letzte Aktualisierung am 19.02.2024)

Zitierhinweis: Jungmann, T. (2024). Kinderschutz und Prävention ‒ Gesundheitsförderung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i068-3.0

Zusammenfassung

Der Begriff „Kinderschutz“ umfasst alle rechtlichen Regelungen und Maßnahmen, die dem Schutz von Kindern dienen. Sie zielen darauf ab, Kindeswohlgefährdung, Kindeswohlvernachlässigung und Kindesmisshandlung abzuwenden. Langfristig sollen die Maßnahmen auch gesundheitliche Störungen verhindern und Entwicklungschancen erhalten. Präventionsmaßnahmen werden dabei nach drei Gesichtspunkten unterschieden: (1) Zeitpunkt der Maßnahme (primär, sekundär, tertiär), (2) Zielgruppe (universell, selektiv, indiziert) und (3) Ansatzpunkt (personal, strukturell). Bestehende Programme setzen vorrangig im Bereich der Vernachlässigung, Misshandlung oder des sexuellen Missbrauchs an. Zunehmend werden auch generelle Entwicklungsrisiken beachtet. Neue Themen sind die Auswirkungen von Pandemien auf das Kindeswohl und die zunehmende Digitalisierung von Gesellschaft und Sozialer Arbeit.

Schlagworte

Kindeswohlgefährdung, Entwicklungsrisiken, Frühe Hilfen, Corona-Pandemie, Digitalisierung


Definitionen und rechtliche Rahmenbedingungen

Kindeswohl ist kein abschließend definierter Begriff. Aus rechtlicher Perspektive ist das Kindeswohl sowohl national als auch international die zentrale Norm und der wichtigste Bezugspunkt im Bereich des Kindschafts- und Familienrechts. Der Begriff impliziert das gesamte Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen sowie deren gesunde Entwicklung. Darunter fällt u. a. das Recht des Kindes auf die Förderung seiner Entwicklung und seine Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

In Deutschland obliegt nach Art. 6, Abs. 2 des Grundgesetzes den Eltern das Recht auf die Erziehung der Kinder. Seit der Novellierung des § 8a im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) im Jahr 2005 kommt dem kommunalen Jugendamt explizit der Schutzauftrag als staatliches Wächteramt bei Kindeswohlgefährdungen zu. Laut der Neufassung aus dem Jahr 2021 sind bei der Gefährdungseinschätzung Personen, die dem Jugendamt Daten übermittelt haben, in geeigneter Weise zu beteiligen.

Der Begriff Kindeswohlgefährdung ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verschiedentlich geregelt. Im Zentrum steht dabei § 1666 Abs. 1. Kindeswohlgefährdung bezeichnet hier eine andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns durch sorgeberechtigte oder -verantwortliche Personen und kann zu langfristigen körperlichen, seelischen und geistigen Beeinträchtigungen bei der Entwicklung des Kindes bis hin zum Tod führen.

Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne einer Vernachlässigung liegt dann vor, wenn über einen längeren Zeitraum Versorgungsleistungen ausbleiben, die zur physischen und psychischen Versorgung des Kindes notwendig wären. Hierbei kann zwischen körperlicher Vernachlässigung (Nahrung, Kleidung, Hygiene etc.), kognitiver und erzieherischer Vernachlässigung (Delinquenz, Mangel an Konversation, Spiel und anregenden Erfahrungen etc.) sowie emotionaler Vernachlässigung (fehlende Reaktion auf Signale des Kindes etc.) unterschieden werden. Darunter fällt auch eine unzureichende Beaufsichtigung des Kindes.

Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne der Kindesmisshandlung umfasst körperliche Misshandlungen (Schläge, Tritte etc.), sexuelle Misshandlungen (sexuelle Handlungen am Kind oder vom Kind gefordert etc.) und/oder emotionale Misshandlungen (Herabsetzung, Entwertung, Beschimpfung etc.) (vgl. auch Deegner & Körner 2005; Kindler, Lillig, Blüml, Meysen & Werner 2006).

Prävalenz und Inzidenz von Kindeswohlgefährdungen

Systematische, verlässliche Daten zum Ausmaß von Kindeswohlgefährdungen gibt es in Deutschland bislang nicht. Allerdings melden Jugendämter seit 2012 jede abgeschlossene Gefährdungseinschätzung an die amtliche Statistik. Hier müssen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, ebenso für die eine Einschätzung des Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgt ist. Erst dadurch sind Auswertungen zu Art, Umfang und Ergebnis von Gefährdungseinschätzungen sowie den meldenden Personen bzw. Institutionen in Deutschland möglich geworden.

Nach der Pressemitteilung Nr. 304 des Statistischen Bundesamtes (Destatis) vom 2. August 2023 meldeten Jugendämter im Jahr 2022 rund 62.300 Kindeswohlgefährdungen. Dabei handelte es sich um 2 % weniger latente (Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls), aber 10 % mehr akute (eindeutige) Fälle als im Jahr 2021. Etwa vier von fünf betroffenen Kindern waren jünger als 14 Jahre. Hinweise von Polizei und Justiz an die Jugendämter haben sich über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als verdreifacht. Dagegen gaben Schulen und Kitas aufgrund der pandemiebedingten Schließungen vor allem im Jahr 2020 weniger Hinweise auf mögliche Kinderschutzfälle an die Jugendämter als in den Jahren davor und danach. Lockdowns und Homeoffice könnten zudem zu einem Anstieg der Meldungen aus der Bevölkerung beigetragen haben.

Die meisten der Kinder, bei denen eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde, wiesen Anzeichen von Vernachlässigung auf (rund 60 % aller Fälle). Bei über einem Drittel (35 %) lagen psychische Misshandlungen wie beispielsweise Demütigungen, Einschüchterung, Isolierung und emotionale Kälte vor. In 27 % der Fälle gab es Hinweise auf körperliche Misshandlung und in 5 % der Fälle Hinweise auf sexuelle Gewalt. Verschiedene Arten der Kindeswohlgefährdung können auch gleichzeitig vorliegen. Dieser Anteil ist seit dem Jahr 2015 von 16 % auf 22 % aller Fälle gestiegen.

Sowohl bei akuten als auch bei latenten Kindeswohlgefährdungen sind die Jugendämter verpflichtet, mit Hilfen oder Schutzmaßnahmen zu reagieren: In 20 % der akuten und latenten Fälle von Kindeswohlgefährdung wurde das Familiengericht eingeschaltet. In 15 % aller Fälle wurden die Betroffenen zu ihrem Schutz vorläufig vom Jugendamt in Obhut genommen.

Führt die Prüfung durch das Jugendamt zu der Einschätzung, dass keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, aber weiterer Hilfe- und Unterstützungsbedarf besteht, greifen Maßnahmen der Erziehungsberatung oder sozialpädagogischen Familienhilfe.

Neben der größeren körperlichen Verletzlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern und deren starker Abhängigkeit von der elterlichen Fürsorge stellen Geburtsrisiken, Entwicklungsrückstände und Behinderungen spezifische Risikofaktoren für eine Kindeswohlgefährdung dar. Den Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ist laut Neufassung des § 8a SGB VIII insbesondere Rechnung zu tragen. Bei den Eltern werden verstärkt psychische Erkrankungen, wie Persönlichkeitsstörungen oder generelle Lebensumstände, die sich aus finanzieller Armut und sozialer Benachteiligung ergeben, als Risikofaktoren beachtet. Das Risiko, an den Folgen einer Misshandlung zu versterben, ist für Säuglinge und Kleinkinder am größten; etwa die Hälfte aller Fälle betrifft Kinder unter einem Jahr, zu 90 % sind die Kinder unter drei Jahren.

Im Zuge der Digitalisierung auch von sozialer Arbeit nimmt die Entwicklung elektronischer Dokumentations- und Risikoeinschätzungssysteme zu. Daraus ergeben sich neue Chancen, aber auch Herausforderungen im Kinderschutz. Einerseits versprechen sie effizientere Arbeitsabläufe und Unterstützung bei der Einschätzung, andererseits ersetzen sie aber nicht professionelle Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse. Daher sind die Ergebnisse dieser Risikoeinschätzungssysteme mit kritisch-forschender Distanz zu betrachten“ (Ackermann 2020, S. 176).

Prävention von Kindeswohlgefährdung

Präventionsmaßnahmen müssen so früh wie möglich ansetzen, da gesundheitliche Störungen und gesundheitsschädigende Verhaltensweisen nicht nur die Entwicklung im Kindesalter beeinträchtigen können, sondern auch nachhaltig die Entwicklungschancen im Erwachsenenalter beeinflussen (z. B. gesundheitliche Folgeschäden, Chancenungleichheit).

Um Erfahrung und Wissen über Frühe Hilfen zu gewinnen und diese als wirksame präventive Unterstützungsangebote dauerhaft einzurichten, wurden im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und Soziale Frühwarnsysteme“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ab 2005 in den Bundesländern Modellprojekte gefördert und durch das „Nationale Zentrum Frühe Hilfen“ fachlich begleitet und evaluiert. Vorrangiges Ziel des Aktionsprogramms war und ist die wirksame Vorbeugung von Vernachlässigung und Misshandlung: Risiken sollten frühzeitig erkannt und die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt werden.

Seit Januar 2018 hat die Bundesstiftung Frühe Hilfen als wichtiger Bestandteil des Bundeskinderschutzgesetztes die Aufgabe übernommen, die regionalen Netzwerke Frühe Hilfen und die psychosoziale Unterstützung von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern von null bis drei Jahren zu fördern. Im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ sollen zudem die Folgen der Corona-Pandemie abgemildert und noch mehr junge Familien mit zusätzlichen präventiven Angeboten erreicht werden (vgl. BMFSFJ 2022).

Präventionsmaßnahmen werden nach drei Gesichtspunkten kategorisiert: dem Zeitpunkt der Maßnahme (primär, sekundär, tertiär), der Zielgruppe (universell, selektiv, indiziert) und dem Ansatzpunkt (personal, strukturell).

Liegt keine besondere Gefährdung vor, greifen Maßnahmen der primären Prävention, die als Vorbeugung und Verhütung häuslicher Gewalt und einer Kindeswohlgefährdung definiert sind (z. B. Information und Aufklärung, Elternkurse wie „Das Baby verstehen“ von Cierpka und Köhler (2013) oder „Auf den Anfang kommt es an“ (Ziegenhain, Schöllhorn, Künster, Hofer, König & Fegert 2006). Die Nutzung der Angebote ist freiwillig, ihr Hauptansatzpunkt ist das elterliche Verhalten (personale oder Verhaltensprävention) mit dem Ziel, die Bedingungen des kindlichen Aufwachsens möglichst risikoarm und ressourcenreich zu gestalten (strukturelle Prävention, Verhältnisprävention).

Frühe Hilfen erfüllen oftmals schon die Definitionskriterien der sekundären Prävention, nämlich die Früherkennung sich anbahnender Gewaltprobleme sowie gezielte Interventionen bei Risikofamilien. Dies erfordert die Kenntnis der Risikofaktoren für häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung, der Zuständigkeiten, der Ansprechpartner und -partnerinnen sowie der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten.

Lotsinnen und Lotsen im Netzwerk der Frühen Hilfen

Der gesetzliche Schutz vor Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) sieht zudem die intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Früherkennung von Gewaltproblemen vor. Frühe Hilfen zielen auf den Ausbau der formellen Unterstützungsnetzwerke ab, wobei möglichst gemeinsam mit der Familie nach passgenauen Angeboten gesucht wird. In diesem Zusammenhang sollten alle Praxisakteurinnen und -akteure auf ihren potenziell sekundär-präventiven Auftrag vorbereitet sein (z. B. durch eine Ausbildung zur Kinderschutzfachkraft, Schulungen zur Verbesserung der Kompetenzen zur Früherkennung von Risiken und Anzeichen für Kindeswohlgefährdung).

In diesem Zusammenhang kommt den Familienhebammen (FamHeb) und den Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pflegern (FGKiKP) eine besondere Bedeutung zu.

Die Familienhebammen gehen in die Familien und helfen den Eltern, den Familienalltag auf das Leben mit dem Baby umzustellen. Sie geben u. a. Informationen und Anleitung zu Pflege, Ernährung, Entwicklung und Förderung des Kindes und binden dabei alle Familienmitglieder ein (Lange & Liebald 2014, S. 10). Die Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger stärken v. a. die Kompetenz von Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern, Frühgeborenen, Kindern mit Regulationsstörungen und in anderweitig belastenden Lebenssituationen, was vor allem in der Zeit der Corona-Pandemie und danach einen besonderen Stellenwert hatte (Lux, Neumann, Renner & Ulrich 2024). Sie vermitteln den Eltern Informationen zu den Meilen- und Grenzsteinen der motorischen, kognitiven, sprachlichen und sozial-emotionalen Entwicklung und zum entwicklungsfördernden Umgang mit ihren Kindern. Ihre Leistungen erbringen sie bei Hausbesuchen. Sie begleiten auch zu weiteren Angeboten und Hilfen oder vermitteln diese bei Bedarf. Damit sind sie – ebenso wie z. B. die Familienhebammen – Lotsinnen und Lotsen im Netzwerk der Frühen Hilfen.

Für die Familienhebammen und die Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger sind die Wahrnehmung von Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung und das professionelle Handeln in dieser Situation Querschnittsaufgaben (Hahn & Sandner 2014).

Inobhutnahmen

Maßnahmen der tertiären Prävention werden ergriffen, wenn es in einer Familie bereits zu körperlicher Gewalt gekommen ist bzw. weitere gewaltsame Übergriffe wahrscheinlich sind. Ziel ist dann die Vermeidung von Wiederholungstaten, z. B. durch eine Kombination aus psychologischer Beratung/Therapie, Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe oder vorübergehenden Veränderungen der Wohnsituation. Besteht ein erhebliches Risiko für weitere massive Gewalthandlungen, muss das Kind aus der Familie genommen werden (Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII).

Bei Verdacht auf oder dem Vorliegen von Kindeswohlgefährdung sollten die Akteurinnen und Akteure in der Praxis einem Ablaufplan folgen, der möglichst in Absprache mit Sozialbehörden und Jugendämtern entstanden ist. Die Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt geschieht nicht ohne das Wissen, aber unter Umständen ohne das Einverständnis der Eltern. Hier schließt sich dann eine Intervention im Kinderschutz an. Die Begleitung durch das Angebot der Frühen Hilfen wird möglichst fortgesetzt, in jedem Fall aber der Übergang gestaltet. Nach erfolgter Intervention besteht das Angebot der Wiederaufnahme der Begleitung für die Teilnehmerin bzw. den Teilnehmer.

Länder- und kommunenspezifische Präventionskonzepte

Laut Mitteilung des BMFSFJ (2022) gibt es inzwischen in 98 % der Jugendamtsbezirke ein Netzwerk Frühe Hilfen. In rund 86 % der geförderten Kommunen sind Familienhebammen und/oder Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen aktiv. In fast 77 % der Kommunen kooperieren Geburtskliniken mit den Netzwerken Frühe Hilfen, in annähernd 62 % der Kommunen werden Familien von ehrenamtlichen Familienpaten und -patinnen unterstützt.

Gleichwohl ist die Präventionslandschaft weiterhin durch eine Vielzahl von länder- bzw. kommunenspezifischen Konzepten geprägt. Die Kinderschutzkonzepte der Bundesländer informieren über die vielfältigen Einzelaktivitäten im Kinderschutz und sind unter www.fruehehilfen.de/qualitaetsentwicklung-kinderschutz/kinderschutzkonzepte-der-bundeslaender einsehbar.

Zusammengenommen fokussieren die gesetzlichen Regelungen in den 16 Bundesländern stark auf die Steigerung der Teilnahme an den ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen. Viele Bundesländer favorisieren ein verbindliches Einladungswesen nach § 26 des SGB V. Dies erhöht die Aufmerksamkeit auf die Gesundheitshilfe zur Sicherstellung von Kindergesundheit und Kinderschutz. Mit landesrechtlicher Unterstützung sollte die Verantwortungsübernahme für den Kinderschutz in der Gesundheitshilfe verbindlich eingefordert und gestärkt werden. Elterntrainings bzw. Elternkurse können zu einer Verbesserung des Kinderschutzes durch die Stärkung der Elternkompetenz beitragen.

Kinder aus sozial benachteiligten Familien (Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit) zeigen vermehrt Auffälligkeiten in allen Entwicklungsbereichen sowie gesundheitliche Probleme wie z. B. Übergewicht und ein erhöhtes Unfallrisiko. Problematisch für die Prävention und Intervention erweist sich die Erreichbarkeit, sodass eine lückenlose Erfassung nahezu unmöglich ist. Gesundheitsförderung im Kindergarten (Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe) oder in Grundschulen (Gesundheitsförderung und Schule) – z. B. Bewegungsförderung, Aufklärung über gesunde Ernährung und Sprachförderung – sind dagegen noch immer Einzelaktivitäten.

Ausblick und Desiderate

Aus den Ausführungen wird deutlich, dass Präventionsprogramme vorrangig im Bereich der Vernachlässigung, Misshandlung oder des sexuellen Missbrauchs ansetzen. Neben der Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen gilt es im Bereich der Prävention von Entwicklungsrisiken, weitere Maßnahmen zu entwickeln, die den gesundheitlichen Schutz der Kinder verbessern, auf eine aufsuchende Struktur ausgerichtet sind und das naheliegende Interesse von Eltern an Informationen etwa über Säuglingspflege und die kindliche Entwicklung während der Schwangerschaft und nach der Geburt aufgreifen. Entsprechende Informationen sollten risikogruppenadäquat vermittelt werden.

Hier kommt dem NEST-Material eine besondere Bedeutung zu. Es wurde von der Stiftung Pro Kind und dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) entwickelt und dient dem präventiven Ansatz der Frühen Hilfen. Bei den Materialien handelt es sich um zielgruppenspezifische Arbeitshilfen für die Fachkräfte, die sie flexibel in ihrem jeweiligen Arbeitsfeld einsetzen können, um Familien darin zu unterstützen, ihren Kindern eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Die Materialien sind modular aufgebaut und können programmunabhängig verwendet werden. NEST deckt ein breites Spektrum an Themen der Frühen Hilfen ab, die für Familien von der Schwangerschaft bis zum Ende des zweiten Lebensjahres wichtig sind. Zudem sind die Inhalte speziell auf bildungsferne Familien zugeschnitten.

Die Chancen der kostenlosen kinderärztlichen Untersuchungen gilt es weiterhin zu propagieren, da sie die tragende Säule in der staatlichen Gesundheitsvorsorge sind und die Kinder besser als andere Institutionen erreichen würden. Zielführende Kooperationsstrukturen zwischen Gesundheitshilfe und Jugendhilfe können zu einem verbesserten Kinderschutz beitragen und stellen eine verbindliche Verantwortungsübernahmestruktur dar.

Literatur:

Ackermann, T. (2020). Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe und im Kinderschutz: Von Risikoeinschätzungsbögen über Fallbearbeitungssoftware bis zu Big Data. Soziale Passagen, 12, S. 171−177.

BMFSFJ (2022). Kinder- und Jugendschutz. Bundesstiftung Frühe Hilfen. Hintergrundinformation. Zugriff am 19.02.2024 unter www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und-jugendschutz/bundesstiftung-fruehe-hilfen/bundesstiftung-fruehe-hilfen-80722.

Cierpka, M. & Köhler, H. (2013). Praxisportrait: Die Elternschule Das Baby verstehen. In W. Stange, R. Krüger, A. Henschel & C. Schmitt (Hrsg.), Erziehungs- und Bildungspartnerschaften (S. 91-96). Berlin: Springer VS

Destatis (2023). Kindeswohlgefährdungen 2022: Neuer Höchststand mit 4 % mehr Fällen als 2021. Pressemitteilung Nr. 304 vom 2. August 2023. Zugriff am 19.02.2024 unter www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/08/PD23_304_225.html.

Hahn, M. & Sandner, E. (2014). Kompetenzprofil Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger in den Frühen Hilfen. Zugriff am 19.02.2024 unter www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation_NZFH_Kompetenzprofil_FGKiKP_2014.pdf.

Kindler, H., Lillig, S., Blüml, H., Meysen, T. & Werner, A. (2006). Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München: Deutscher Jugenddienst, Abteilung Familie. Zugriff am 19.02.2024 unter www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/asd_handbuch.pdf.

Lange, U. & Liebald, C. (2014). Der Einsatz von Familienhebammen in Netzwerken Frühen Hilfen. Leitfaden für Kommunen. Zugriff am 19.02.2024 unter www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/downloads/Leitfaden_Einsatz_Familienhebammen.pdf.

Lux, U., Neumann, A., Renner, I. & Ulrich, S. M. (2024). Aufwachsen während Corona – Wie geht es Familien mit Kindern mit erhöhten Fürsorgeanforderungen und welche Angebote nutzen sie? Psychologie in Erziehung und Unterricht, 71, S. 3−17.

NZFH − Nationales Zentrum Frühe Hilfen (2018). Datenreport Frühe Hilfen. Ausgabe 2017. Köln: DJI. Zugriff am 19.02.2024 unter www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation-NZFH-Datenreport-Fruehe-Hilfen-2017.pdf.

Ziegenhain, U., Schöllhorn, A., Künster, A. K., Hofer, A., König, C. & Fegert, J. M. (2010). Modellprojekt Guter Start ins Kinderleben – Werkbuch Vernetzung – Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer Kooperation und Vernetzung im Bereich Früher Hilfen und im Kinderschutz. Zugriff am 19.02.2024 unter www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Werkbuch_Vernetzung__NZFH_2010_.pdf.

Weiterführende Quellen

Deegener, G. & Körner, W. (2005). Kindesmisshandlung und Vernachlässigung: Ein Handbuch. Göttingen: Hogrefe.

Gerber, C. & Lillig, S. (2018). Gemeinsam lernen aus Kinderschutzverläufen. Eine systemorientierte Methode zur Analyse von Kinderschutzfällen und Ergebnisse aus fünf Fallanalysen. Bericht. Beiträge zur Qualitätsentwicklung im Kinderschutz 9. Köln: NZFH. Zugriff am 20.02.2024 unter www.dji.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen/LaPK/Publikation_QE_Kinderschutz_9_Bericht_Gemeinsam_lernen_aus_Kinderschutzverl%C3%A4ufen.pdf.

NZFH − Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH). Kinderschutzkonzepte der Bundesländer. Zugriff am 20.02.2024 unter www.fruehehilfen.de/qualitaetsentwicklung-kinderschutz/kinderschutzkonzepte-der-bundeslaender.

Internetadressen:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutzzentren: www.kinderschutz-zentren.org

Bundesinitiative Frühe Hilfen: www.fruehehilfen.de/grundlagen-und-fachthemen/grundlagen-der-fruehen-hilfen/bundesstiftung-fruehe-hilfen/bundesinitiative-fruehe-hilfen

Deutscher Kinderschutzbund e.V.: https://kinderschutzbund.de

Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH): www.fruehehilfen.de

NEST-Materialien: www.fruehehilfen.de/service/publikationen/einzelansicht-publikationen/titel/nest-startpaket

Statistisches Bundesamt: www.destatis.de

Verweise:

Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitsförderung und Schule, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit