Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung

Karina Weichold

(letzte Aktualisierung am 29.11.2024)

Zitierhinweis: Weichold, K. (2024). Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i070-3.0

Zusammenfassung

Lebenskompetenzen umfassen all jene Fähigkeiten, die Menschen benötigen, um mit den Herausforderungen des täglichen Lebens erfolgreich umzugehen. Im Rahmen von Kompetenzen- und Entwicklungsförderungsprogrammen in Kindertagesstätten und Schulen sollen Kinder und Jugendliche darin unterstützt werden, allgemeine personale und interpersonale Kompetenzen wie Selbstsicherheit, Kommunikations- und Problemlösefähigkeiten auszubilden, die allgemein eine positive Entwicklung wahrscheinlicher machen und Verhaltensprobleme verhindern. Besonders nachhaltig effektiv ist die Förderung solcher Lebenskompetenzen, wenn sie zum Herzstück eines umfassenden Präventions- und Entwicklungsförderungskonzepts in Bildungseinrichtungen werden und mit Maßnahmen in anderen Lebensbereichen kombiniert sind.

Schlagworte

Kompetenz, Lebenskompetenzen, Kompetenzförderung, Entwicklungsförderung, Risikokompetenz, Gesundheitsförderung, Prävention


Als klassische Anwendung des Kompetenzbegriffs wurde in den 1990-er Jahren durch das Engagement der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Begriff Lebenskompetenzen geprägt und die Förderung von Lebenskompetenzen in vielen Ländern der Welt angestoßen. Bis heute hat dieser Ansatz nicht an Aktualität verloren, insbesondere nicht im Rahmen der Entwicklungs- und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen. Im Folgenden werden die konzeptuellen Grundlagen zu Kompetenz vorgestellt und die Rolle von Kompetenzförderung im Rahmen der Prävention von Verhaltensproblemen verdeutlicht. Lebenskompetenzenprogramme sind dafür effektive Maßnahmen, von denen nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch die gesamte Bildungslandschaft profitieren können.

Konzeptuelle Grundlagen zu Kompetenz und Kompetenzförderung

Kompetenz (von lateinisch competentia „Eignung“) steht für Fähigkeit. Im Rahmen der pädagogischen Begriffsbestimmung geht es bei Kompetenz im engeren Sinne um die situationsangemessene Verwendung von Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skills), die man braucht, um bestimmte Aufgaben durchzuführen und Probleme zu lösen. Kompetenz umfasst mindestens drei Dimensionen:

  • Eine kognitive Dimension, die sich auf ausreichendes Faktenwissen bezieht, wodurch sachbezogene Einsichten in Problemzusammenhänge gewonnen und wertneutrale objektive Urteile gefällt werden können.
  • Eine Wertdimension, die sich einerseits auf das Vorhandensein von verbindlichen Werten als Richtlinien des Handelns bezieht, andererseits die Fähigkeit zur situationsangemessenen Bewertung unter Berücksichtigung notwendiger Interessensabwägungen einschließt.
  • Eine Handlungsdimension als die Fähigkeit, komplexe Problemsituationen zu analysieren, Mittel zu ihrer Lösung bereitzustellen, den gewählten Lösungsansatz umzusetzen und abschließend die Qualität der Ergebnisse zu bewerten.

Kompetenz bedeutet demnach, etwas bewirken zu können und sich als „wirkmächtig“ zu erleben. Dazu gehört, Entscheidungen zu treffen, sie umzusetzen und deren Angemessenheit zu beurteilen – sowohl im Hinblick auf die Anforderungen einer Situation (einschließlich der längerfristigen Handlungsfolgen) als auch im Hinblick auf persönliche Faktoren. Die Voraussetzung für die Erlangung von Kompetenz ist demnach die Fähigkeit zum selbstständigen und selbstbestimmten Handeln auf der Basis eines reflektierten und verantwortungsbewussten Entscheidungsprozesses (Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung).

In der Psychologie wird Kompetenz eher im Zusammenhang mit allgemeinen Fähigkeiten und Fertigkeiten gesehen, die prinzipiell veränderbar sind. Gemäß entwicklungspsychopathologischen Konzepten (Resilienz und Schutzfaktoren) umfasst Kompetenz einerseits die externale Anpassung eines Menschen an verschiedene Lebensumwelten. Als wichtiger Indikator wird die erfolgreiche Bewältigung alters- und kulturtypischer Entwicklungsaufgaben gesehen (angezeigt z. B. durch Schulerfolg oder positive Peerbeziehungen). Andererseits bezieht sich Kompetenz auf das Aufrechterhalten einer positiven internalen Anpassung, gespiegelt durch großes Wohlbefinden (Wohlbefinden/Wellbeing), Zufriedenheit oder psychische Gesundheit.

Hohe externale und internale Kompetenz (im Sinne einer erfolgreichen Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, einer gelungenen Anpassung in verschiedenen Lebenswelten und einem großen Wohlbefinden) wird durch die Förderung von Schutzfaktoren in sogenannten adaptiven Systemen vorangetrieben. Dazu zählen Problemlösekompetenzen, unterstützende soziale Beziehungen in Familie, Schule und Freundeskreis, Selbstwirksamkeit, positiver Umgang mit Stress und eine effektive Emotionsregulation.

Solche symptomunspezifischen Schutzfaktoren stehen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Verhaltensproblemen, hoher internaler und externaler Anpassung und einer erhöhten Resilienz gegenüber außergewöhnlichen Belastungen in Beziehung. Dabei gilt das Prinzip, dass positive Entwicklungswege bei Belasteten besonders durch Schutzfaktoren in der Kindheit gefördert werden. Zudem wird angenommen, dass die kompetente Bewältigung einer Lebensphase den Erfolg in der nächsten begünstigt (Masten & Obradovic 2006).

Angesichts aktueller Megatrends im Bereich der Digitalisierung und Migration sowie globaler Krisen wie Pandemien und Kriege und den damit verbundenen Herausforderungen wird besonders auf junge Menschen fokussiert, gelten Kinder und Jugendliche doch als besonders empfindsam für die negativen Effekte weltweiter Entwicklungen. Gerade zu Beginn des Jugendalters stehen sie einer Vielzahl normativer Entwicklungsaufgaben gegenüber, deren erfolgreiche Bewältigung durch aversive Umstände erschwert wird (Weichold 2024). Dementsprechend wird heute die Förderung zukunftsfähiger Kompetenzen (Soft/Future/Transferable/ Life Skills) als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen (D‘Angelo 2022).

Das Modell der Positiven Jugendentwicklung bezieht sich auf gesamte junge Populationsgruppen und stellt dabei Stärken von Jugendlichen (z. B. Engagement in der Schule, intentionale Selbstregulation und hoffnungsvolle Zukunftserwartungen) sowie Entwicklungsressourcen in der Umwelt (z. B. soziale Netzwerke, unterstützende Personen und Institutionen, Zugang zu Ressourcen wie Optionen zur Partizipation in Schule und Gesellschaft oder zur Teilhabe an Freizeitangeboten) als besonders wichtige Faktoren heraus. Diese tragen allgemein zu einem positiven Entwicklungsverlauf, einer hohen externalen und internalen Anpassung sowie einem geringen Problemverhalten bei.

Ähnlich geht das Konzept des sozioemotionalen Lernens davon aus, dass die frühe Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen mit positiver psychosozialer Anpassung in Kindheit und Jugend verbunden ist (Weichold 2024; Weichold & Blumenthal 2018a). Solche Konzepte bilden die Basis für eine allgemeine Entwicklungs- und Kompetenzförderung in Kindheit und Jugend.

Prävention durch Kompetenz- und Entwicklungsförderung

Moderne Präventionsansätze im Gesundheitsbereich streben eine evidenzbasierte Prävention an, bei der Kinder und Jugendliche allgemein in ihrer positiven Entwicklung unterstützt und in ihren persönlichen und sozialen Kompetenzen gefördert werden. Dies wird mit der Aufklärung über Gesundheitsgefahren, gesundheitliche Risiken und Risikoverhaltensweisen als Teil einer ganzheitlichen salutogenetischen Ausrichtung von Gesundheitsförderung verbunden (Salutogenese).

Im Kontext der Suchtprävention wurde darüber hinaus in den letzten Jahren das Thema „Risikokompetenz“ diskutiert. Gemeint ist, dass junge Menschen sich mit legal verfügbaren psychoaktiven Substanzen auseinandersetzen und entsprechend den kulturellen Gegebenheiten den angemessenen und verantwortungsvollen Umgang damit erlernen sollen, auch weil dies zu den Entwicklungsaufgaben Jugendlicher gehört. Realistische Präventionsziele für die Gesundheitsförderung sind demnach der Aufschub von Konsum- und Probierbeginn bei legalen Drogen, möglichst lebenslange Abstinenz gegenüber illegalen Drogen und die Beschränkung des substanzbezogenen Konsums. Der Substanzmissbrauch soll auf einen experimentellen, zeitlich begrenzten Probierkonsum beschränkt werden. Dazu dient eine umfassende und glaubwürdige Aufklärung über Wirkungen des Konsums psychoaktiver Substanzen. In der Regel sind solche Präventionsansätze effektiver als jene mit strikten „Zero Tolerance-Botschaften“ (Weichold & Blumenthal 2018b).

Strukturierte Programme, die besonders erfolgreich den Ansatz Prävention durch allgemeine Kompetenz- und Entwicklungsförderung umsetzen, werden in der Regel über Bildungseinrichtungen (Kita, Schule) an Kinder und Jugendliche vermittelt. Auch werden sportbasierte Interventionen z. B. in Vereinen oder außerschulischen Freizeitangeboten durchgeführt. Über die Schule sind Kinder und Jugendliche besonders gut erreichbar, und geschultes Fachpersonal steht zur Verfügung. Darüber hinaus wird der Auftrag der Schule adressiert, Prävention verschiedener Problemverhaltensweisen durchzuführen und sich in der Kompetenz- und Persönlichkeitsförderung zu engagieren.

Schulbasierte Programme sind besonders effektiv, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (vgl. Cuijpers 2002; Cuijpers 2003; Onrust et al. 2016; Tobler et al. 2000):

  • Die Grundlage bilden wissenschaftliche Konzepte und Erkenntnisse (Entwicklungspsychopathologie, Entwicklungspsychologie).
  • Die Implementierung beginnt rechtzeitig vor dem ersten Auftreten des Problemverhaltens und ist langfristig angelegt.
  • Die Programme orientieren sich am Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen.
  • Das Modell der Sozialen Einflussnahme ist eine Grundlage des Programms.
  • Die Vermittlung von Normen und Werten wird entsprechend gesellschaftlichen Standards umgesetzt.
  • Allgemeine Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie themenspezifische Kompetenzen (z. B. negativem Peereinfluss zu widerstehen) werden trainiert.
  • Tragfähige und unterstützende soziale Beziehungen werden gefördert.
  • Positive Veränderungen in der Klasse und Schule werden angeschoben.
  • Ausreichende Intensität ist gewährleistet.
  • Strukturiertes und aufeinander aufbauendes Lernen wird ermöglicht.
  • Interaktive Vermittlungsmethoden im Kontext Gleichaltriger werden genutzt.

Diese Aspekte sind im Rahmen der seit Dekaden erfolgreichen, sehr gut evaluierten und in Deutschland und weltweit verbreiteten schulbasierten Lebenskompetenzenprogramme am besten reflektiert (WHO 1997; 2020).

Lebenskompetenzen

Lebenskompetenz betont die Verbindung von Leben und Kompetenz und bezeichnet laut Definition der WHO den effektiven und kompetenten Umgang mit altersadäquaten Herausforderungen und Aufgaben des täglichen Lebens. Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die dies befördern, sind Lebenskompetenzen (Life Skills) (WHO 1994; 1997).

Die WHO hat zehn zentrale Kernkompetenzen (Core Life Skills) definiert, die eine kompetente und erfolgreiche Entwicklung junger Menschen vorantreiben und Problemverhalten verhindern:

  • Selbstwahrnehmung, die sich auf den eigenen Charakter sowie auf eigene Stärken und Schwächen, Wünsche und Abneigungen bezieht.
  • Empathie als die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen.
  • Kreatives Denken, das es ermöglicht, adäquate Entscheidungen zu treffen und Probleme konstruktiv zu lösen.
  • Kritisches Denken als die Fertigkeit, Informationen und Erfahrungen zu analysieren.
  • Die Fähigkeit, informierte Entscheidungen zu treffen, die dazu beiträgt, mit Entscheidungen im Alltag konstruktiv umzugehen.
  • Problemlösefertigkeit, Schwierigkeiten und Konflikte im Alltag konstruktiv anzugehen.
  • Kommunikative Kompetenz, die dazu beiträgt, sich situationsgemäß auszudrücken.
  • Interpersonale Beziehungsfertigkeiten, die dazu befähigen, tragfähige soziale Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten.
  • Bewältigung von starken Gefühlen als die Fertigkeit, sich der eigenen Gefühle und denen anderer bewusst zu werden, angemessen mit ihnen umzugehen und zu erkennen, wie Gefühle Verhalten beeinflussen.
  • Stressbewältigung, um Ursachen und Auswirkungen von Stress im Alltag zu erkennen sowie Stress reduzierende Verhaltensweisen zu erlernen (vgl. Bühler & Heppekausen 2005).

Konzeptuell basiert die Liste der zentralen Lebenskompetenzen auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Bereichen Resilienz und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen. Sie haben eine große inhaltliche Überlappung mit allgemeinen entwicklungsfördernden Faktoren basierend auf der Forschung zu Resilienz (Masten & Obradovic 2006) und den Entwicklungsressourcen im Modell der Positiven Jugendentwicklung (Weichold 2007).

Es herrscht ein breiter Konsens, dass die Core Life Skills universell relevant sind, um bei Einzelnen Risikoverhalten zu verhindern (z. B. Drogenkonsum, Gewalt, sexuelles Risikoverhalten) sowie die psychosoziale Anpassung positiv zu beeinflussen (z. B. durch Bildung, berufliche Entwicklung) – und damit auch auf gesellschaftlicher Ebene einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben, Teilhabe und Engagement sowie weniger Armut zu leisten (Wehmeyer & Kern 2021).

Kompetenzen spielen eine besondere Rolle im Schulkontext. Wenn Kinder und Jugendliche über allgemeine soziale und personale Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, fällt das Miteinander und das Lernen im Klassenverband leichter. Schulleistungen und der weitere Bildungswerdegang gestalten sich insgesamt positiver (OECD 2023).

Für Risikogruppen, die von vielfältigen teilweise massiven Ungleichheiten betroffen sind, wird diskutiert, dass die Core Life Skills stärker auf eine proaktive Veränderung des sozialen Umfelds abzielen sollten (sogenannte Transformative Skills). So könnte beispielsweise Empathie einer gegenseitigen Unterstützung und Pflege oder der Selbstwahrnehmung einer allgemeinen Würde (durch das Anerkennen des Wertes eines jeden Menschen) entsprechen (DeJaeghere & Murphy-Graham 2022).

Zusammenfassend ist das Konzept der Lebenskompetenzen seit Jahren etabliert, breit anwendbar und hat für junge Menschen bis heute eine ungebrochene Relevanz, auch im Spiegel moderner Konzepte zur Förderung positiver Entwicklungswege in Zeiten immer komplexerer Herausforderungen (Wehmeyer & Kern 2021). Die Kernkompetenzen sind auch zuträglich für die Erfüllung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (2015): Kinder und Jugendliche sollen durch die Förderung von Lebenskompetenzen mit übertragbaren und zukunftsfähigen Fähigkeiten ausgestattet werden, die nicht nur die Entstehung von Verhaltensproblemen verhindern, sondern auch Relevanz für eine erfolgreiche bildungs- und berufsbezogene Laufbahn haben (Kwauk & Braga 2017).

Lebenskompetenzenprogramme in der Gesundheitsförderung

Lebenskompetenzenprogramme sollen junge Menschen zur angemessenen Bewältigung alterstypischer Herausforderungen befähigen, ohne dass problematische Verhaltensweisen wie Substanzkonsum oder Gewalt gezeigt werden (Weichold 2024). Lebenskompetenzenprogramme basieren auf der Annahme, dass durch die Förderung allgemeiner und spezifischer intrapersonaler und interpersonaler Kompetenzen sowie durch die Vermittlung spezifischer Wissensinhalte und von normativen Werten und Einstellungen positive Entwicklungsverläufe angestoßen werden. Diese sind geprägt durch Wohlbefinden, Gesundheit und eine erfolgreiche Anpassung in verschiedenen Lebensbereichen (WHO 1994).

In der Regel werden Lebenskompetenzenprogramme in Bildungseinrichtungen als primärpräventive und universelle Maßnahme durchgeführt, basierend auf strukturierten Materialien. Sie nutzen interaktive Lehrmethoden (z. B. Rollenspiele, Diskussionsrunden, Entspannungsübungen), die Reflexion von Verhaltensweisen mit Gleichaltrigen und die Einübung von Alternativverhalten in alterstypischen und lebensnahen Situationen. Im Mittelpunkt stehen die zentralen Lebenskompetenzen als grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zuerst allgemein sind und dann in immer spezifischeren, für das jeweilige Problemverhalten relevanten Situationen angewandt werden. Ergänzend wird spezifisches Wissen vermittelt (z. B. zu Prävalenzen und Konsequenzen). Lebenskompetenzenprogramme werden in der Regel durch geschultes Fachpersonal, das vor Ort mit den Kindern und Jugendlichen arbeitet, in Form eines mehrjährigen Teils des Curriculums durchgeführt. So wird ermöglicht, dass positive Verhaltensweisen nachhaltig verstärkt werden können.

Erste Anwendungen der Förderung von Lebenskompetenzen fanden in verschiedenen Ländern der Welt bezogen auf verschiedene Themen statt – allen voran in Indien bei Kindern, die aus Slums stammten (Ziel war eine bessere Bildung und berufliche Entwicklung), oder in Afrika mit dem Fokus auf der Prävention von HIV/AIDS. In den 1980-er bis 1990-er Jahren wurde der Ansatz durch Publikationen der WHO verbreitet und koordiniert (WHO 1994; 1997).

In der Wissenschaft stand und steht besonders die Anwendung im Bereich Suchtprävention im Fokus. Eines der ersten strukturierten und evaluierten Programme dieser Art legten Botvin und Kollegen in den USA vor (Dusenbury & Botvin 1990; Botvin & Griffin 2015), danach folgten weitere Programme mit Bezug zu unterschiedlichen spezifischen Verhaltensproblemen (z. B. Gewalt, Essstörungen, Depressionen) in vielen Ländern der Welt.

Lebenskompetenzenprogramme in Deutschland

Auch in Deutschland haben sich seit den 1990-er Jahren zunehmend Lebenskompetenzenprogramme verbreitet. Die Forschung zu ihrer Effektivität belegt, dass durch das Training unspezifischer und allgemeiner intra- und interpersonaler Kompetenzen in Kombination mit themenspezifischen Ergänzungen problematische Auffälligkeiten wirksam verhindert werden können (z. B. Bühler 2016; Leiblein et al. 2022; Onrust et al. 2016).

Eine Empfehlungsliste zu den verfügbaren erfolgreich evaluierten Lebenskompetenzenprogrammen in Deutschland findet sich unter www.gruene-liste-praevention.de. Im Folgenden werden einige Beispiele für erfolgreiche und weit verbreitete Lebenskompetenzenförderungen über Kita und Schule genannt, die anhand der Auswahl- und Bewertungskriterien der Grünen Liste mit der höchsten Stufe ausgezeichnet wurden („Effektivität nachgewiesen“) und aktuell Schulungen, Materialien und Unterstützung zur Implementation anbieten.

  • Als ein gelungenes Beispiel für die wirksame Umsetzung von Lebenskompetenzenprogrammen im Elementarbereich gilt „Papilio“, ein pädagogisches Programm für Kindergärten und Kitas (Altersbereich drei bis sechs Jahre), das sich mit der frühen Prävention von Verhaltensproblemen durch die Förderung von sozial-emotionaler Kompetenz befasst. Ergänzt wird das Programm durch Module für Kitas mit Unterdreijährigen (Papilio-U3), Angebote für Eltern (Papilio-Elternclub), Erzieherinnen und Erzieher in Kitas zum Umgang mit Kindern mit Fluchterfahrung (Papilio-Integration) sowie ein Programm für Grundschulen mit Nachmittagsbetreuung, um Kinder und Jugendliche in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung von Beginn an langfristig und nachhaltig zu fördern.
  • Zu den bundesweit am weitesten verbreiteten Programmen, die den Lebenskompetenzenansatz im Grundschulalter umsetzen, gehört „Klasse2000“ für die Jahrgangsstufen 1 bis 4. Ziel des interaktiven Programms ist, eine positive Haltung zu einem aktiven und gesunden Leben frühzeitig zu fördern („1x1 des gesunden Lebens“). Weiterhin werden Kenntnisse über Körper, Ernährung und Bewegung aktiv und anschaulich vermittelt sowie persönliche und soziale Kompetenzen gestärkt. Klasse2000 legt Wert auf die Einbindung und Information der Eltern und bietet eine Internetplattform (Klaro-Labor).
  •  „IPSY (Information + Psychosoziale Kompetenz = Schutz)“ ist ein effektives, universelles und primärpräventives Lebenskompetenzenprogramm für Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5 bis 7 mit Fokus auf Suchtprävention. IPSY basiert explizit auf dem Lebenskompetenzenansatz der WHO, indem es durch die Förderung von Kompetenzen, die eine positive Auseinandersetzung mit anstehenden allgemeinen Entwicklungsaufgaben unterstützen bzw. spezifische in Konsumsituationen bedeutsame Kompetenzen stärkt. Zusätzlich zielt IPSY auf die Förderung einer positiven Beziehung zur Schule und das Klassenklima ab und vermittelt Wissen zu kurzfristigen Konsequenzen, Wirkungsweisen und Prävalenzen von legalen Drogen. IPSY folgt einem umfassenden und evidenzbasierten, nachhaltigen, interaktiven und ressourcenorientierten Modus und wird durch geschultes pädagogisches Fachpersonal in Schulen durchgeführt.
  • Unplugged“ ist ein Suchtpräventionsprogramm für Jugendliche in der achten Klasse, das auf dem Konzept der sozialen Einflussnahme fußt. Es ist interaktiv, bezieht die Familie ein, liefert Informationen zu verschiedenen psychoaktiven Substanzen und kombiniert die Korrektur normativer Überzeugungen über Substanzkonsum mit der Förderung von Sozial- und Lebenskompetenzen. Demnach werden in Unplugged kritisches Denken, strukturiertes Problemlösen, kreatives Denken, effektive Kommunikation, Beziehungskompetenzen, Selbstwahrnehmung, Empathie und die Bewältigung von Emotionen entwickelt. Dies soll dazu beitragen, dass Jugendliche legalen wie illegalen Substanzen kritisch begegnen und sich bewusst für gesunde Verhaltensweisen entscheiden.

Lebenskompetenzenprogramme und Gesundheitsförderung

Lebenskompetenzenprogramme haben im Bereich der Gesundheitsförderung einen hohen Stellenwert. Sie gelten als die derzeit effektivsten universellen verhaltensbezogenen Programme, sind in der Praxis breit implementiert und gut über Bildungsinstitutionen in den ersten beiden Lebensdekaden evaluiert.

Evaluationsergebnisse zeigen, dass Lebenskompetenzenprogramme nicht nur allgemeine personale und interpersonale Kompetenzen fördern können, sondern auch allgemeine und spezifische Risikofaktoren für Verhaltensprobleme (z. B. Substanzmissbrauch, Depressionen, Gewalt) sowie die Entstehung von Störungen selbst beeinflussen. Auch liegen empirische Belege für langfristige Effekte für eine positive Entwicklung und in Bezug auf eine Verhinderung späterer psychischer Störungen über die gesamte Schulzeit bis ins frühe Erwachsenenalter vor. Schließlich profitiert das gesamte Schulumfeld durch verbesserte Beziehungen und einer klassen- und schulklimatischen Situation, die auch das Lernen erleichtert (Weichold & Blumenthal 2018b; Weichold et al. 2023).

Optimalerweise ist ein Lebenskompetenzenprogramm Teil eines umfassenden, generischen und themenübergreifenden Ansatzes von Schulen, um Gesundheit, Wohlbefinden und gute Bildungswege zu fördern und Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern (Health Promoting Schools; WHO & UNESCO 2021;Whole School Approach; WHO 2020).

Während in einzelnen Ländern Lebenskompetenzenförderung in den Schulcurricula verankert sind (z. B. in skandinavischen Ländern), müssen Bildungseinrichtungen in Deutschland selbst die Konzeption und Umsetzung ihres Präventionsauftrages leisten, die viele Themenbereiche abdecken soll. Eine relativ ressourcenschonende Option bieten hierfür Lebenskompetenzenprogramme, die das Herzstück themenübergreifender schulischer Präventions- und Entwicklungsförderung sein können (vgl. Blumenthal & Weichold 2024), besonders dann, wenn sie langfristig (optimal über die gesamte Schulzeit) implementiert werden. Maßnahmen für Eltern und die Bereiche Freizeit, Sport und Kommune können flankierend die Wirksamkeit des Whole School Approaches erhöhen. Effektive Beispiele liegen für den Sportbereich vor, der sich mit schulbasierter Lebenskompetenzenförderung exzellent koppeln lässt (Bruner et al. 2021).

Zukünftig gilt es, das Potential von Lebenskompetenzenprogrammen weiter auszuschöpfen. Es sollte überprüft werden, inwieweit die Anwendung des grundlegenden Konzepts der Lebenskompetenzenförderung auf Erwachsene und ältere Menschen erfolgen kann, und wie die Bedürfnisse nicht nur unterschiedlicher Altersgruppen, sondern auch hinsichtlich anderer Aspekte von Heterogenität (Geschlecht, soziale Herkunft etc.) adressiert werden können.

Literatur:

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Internetadressen:

Grüne Liste Prävention – die Empfehlungsliste evaluierter Präventionsprogramme: www.gruene-liste-praevention.de/nano.cms/datenbank/information

IPSY – Ein suchtpräventives Lebenskompetenzenprogramm: www.ipsy.uni-jena.de

Klasse2000 – Gesundheitsförderung und Prävention in der Grundschule: www.klasse2000.de

Papilio: Chancengerechtigkeit für Kinder von 0 bis 9 Jahren: www.papilio.de

Unplugged – Suchtprävention im Unterricht: https://finder-akademie.de/unplugged

Verweise:

Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, Resilienz und Schutzfaktoren, Salutogenese, Wohlbefinden / Well-Being

Die Autorin dankt Jürgen Hallmann für seine Vorarbeiten zu diesem Leitbegriff in den bisherigen Auflagen.