Mundgesundheit: Gesundheitsförderung und Prävention

Stefan Listl , Habib Benzian

(letzte Aktualisierung am 29.05.2023)

Zitierhinweis: Listl, S. & Benzian, H. (2023). Mundgesundheit: Gesundheitsförderung und Prävention. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i153-1.0

Zusammenfassung

Mundgesundheit ist der Zustand der Zähne und der orofazialen (d. h. den Mund und das Gesicht betreffenden) Strukturen, der dem Menschen wesentliche Funktionen wie Essen, Atmen und Sprechen ermöglicht, und beinhaltet psychosoziale Dimensionen wie Selbstvertrauen oder Wohlbefinden. Gute Mundgesundheit ermöglicht es dem Menschen, ohne Einschränkungen durch Schmerzen, Unbehagen oder Scham am sozialen Leben teilzunehmen und produktiv zu sein. Die Mundgesundheit variiert im Laufe des Lebens bis ins hohe Alter, ist ein integraler Bestandteil der allgemeinen Gesundheit und unterstützt den Menschen dabei, an der Gesellschaft teilzuhaben und sein volles Potential auszuschöpfen.

Schlagworte

Mundgesundheit, Gesundheitsförderung, Prävention


Bedeutung des Themas

Orale Erkrankungen sind ein signifikantes globales Gesundheitsproblem über alle Länder und Bevölkerungsgruppen hinweg. Mit ca. 3,5 Milliarden Erkrankungsfällen sind so viele Menschen betroffen wie von keiner anderen Krankheitsgruppe (WHO 2022a). Die Haupterkrankungen sind unbehandelte Karies der bleibenden oder der Milchzähne, fortgeschrittene Erkrankungen des Zahnfleisches und des Zahnhalteapparates (Parodontopathien), Zahnlosigkeit sowie Krebs (Karzinome) der Mundhöhle und der Lippen. Außerdem spielen seltenere Erkrankungen wie angeborene Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten sowie Mundschleimhauterkrankungen und orale Manifestationen von anderen Grunderkrankungen eine relevante Rolle (Peres et al. 2019).

Die Zähne und der Mund sind ein integraler Bestandteil des Körpers. Sie ermöglichen wesentliche menschliche Funktionen und sind ein grundlegendes Merkmal der persönlichen Identität. Die Mundgesundheit umfasst physische, psychische, emotionale und soziale Dimensionen und ist ein integraler Bestandteil der allgemeinen Gesundheit und des Wohlbefindens. Mundgesundheit ist subjektiv, verändert sich dynamisch im Lebensverlauf und ermöglicht Essen, Sprechen, Lächeln und gesellschaftliche Partizipation ohne Unbehagen, Schmerzen oder Scham (WHO 2022b).

Gute Mundgesundheit spiegelt die Fähigkeit eines Individuums wider, sich an physiologische Gegebenheiten und Veränderungen im Laufe des Lebens anzupassen und die eigenen Zähne und den Mundraum durch eigenständige Selbstfürsorge gesund zu erhalten. Obwohl sich Erkrankungen der Zähne und der Mundhöhle größtenteils vermeiden lassen, sind orale Erkrankungen in allen Altersstufen weit verbreitet und haben erhebliche negative Auswirkungen auf Einzelpersonen und die Gesellschaft insgesamt (Peres et al. 2019; Listl, Quiñonez & Vujicic 2021; WHO 2022a). Dazu zählen z. B. akute und chronische Schmerzen, akute und chronische Entzündungen bis hin zu Komplikationen wie z. B. Sepsis, eine verminderte Lebensqualität, Verlust an Schultagen oder verminderte Arbeitsproduktivität. Die Kosten für die zahnmedizinische Versorgung können nicht nur für Einzelpersonen erheblich sein, sondern zählen gesamtgesellschaftlich zu den Erkrankungen mit den in der Summe höchsten Versorgungskosten (Listl, Quiñonez & Vujicic 2021).

Orale Erkrankungen sind oft chronisch und fortschreitend. Karies betrifft beispielsweise nicht nur Kinder, sondern kann ein lebenslanger Zustand sein, der sich im Jugend-, Erwachsenen- und späteren Lebensalter fortsetzt. Orale Erkrankungen betreffen überproportional ärmere und sozial benachteiligte Mitglieder der Gesellschaft, was sich in starken Ungleichheiten bei der Häufigkeit und Schwere oraler Erkrankungen zeigt. In Deutschland haben beispielsweise jüngere Erwachsene sowie jüngere Seniorinnen und Senioren mit niedriger Schulbildung 2,4 bzw. 2,8 mehr Zähne mit Karieserfahrung als solche mit höherer Schulbildung (Strippel 2021). Orale Erkrankungen teilen die gemeinsamen Risikofaktoren mit anderen nicht übertragbaren Krankheiten (Watt & Sheiham 2012). Dazu gehören insbesondere Zucker-, Tabak- und schädlicher Alkoholkonsum sowie die umfassenden sozialen, kommerziellen und politischen Determinanten der Gesundheit (siehe Abbildung 1).

Gesundheitsförderung und Prävention für die Mundgesundheit

Eine Reihe von Optionen zur Prävention bzw. Förderung der Mundgesundheit über das gesamte Wirkungsspektrum von Upstream- bis Downstream-Ansätzen sind in Abbildung 2 zusammengefasst. Individualistische, klinische oder pädagogisch präventive Ansätze können kurzfristige Gesundheitsverbesserungen erzielen, die aber nicht nachhaltig sind, wenn die zugrundeliegenden Ursachen der Erkrankungen nicht angegangen werden. Im Sinne der gesundheitsfördernden Gesamtpolitik und der Health-in-All-Policies-Strategie (Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy) (Geene, Köckler & Trojan 2022) sollten daher auch bevölkerungsorientierte politische Initiativen, Gesetze, Vorschriften und steuerliche Maßnahmen genutzt werden, um die Mundgesundheit auf lokaler, nationaler oder sogar internationaler Ebene zu fördern (Watt 2007).

Vorrang sollten daher Investitionen in vorgelagerte, kohärente und integrierte bevölkerungsweite Politiken eingeräumt werden, die ebenfalls für andere chronische nichtübertragbare Erkrankungen wirksam sind, wie beispielsweise höhere Steuern auf zuckerhaltige Getränke, strengere Regulierungen der Werbung und Verkaufsförderung für zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke für Kinder sowie die Förderung einer angemessenen Exposition gegenüber Fluorid durch Fluoridzahnpasta und Trinkwasserfluoridierung. Dies gilt ebenso für einen gemeinsamen Risikofaktoransatz zur Verringerung des Tabakkonsums und des schädlichen Alkoholkonsums (Watt et al. 2019).

In Deutschland wurden seit 1989 insbesondere Programme zur Gruppenprophylaxe in Schulen und Kitas, Individualprophylaxe und Früherkennung in Zahnarztpraxen sowie zur Individualprophylaxe in Pflegeeinrichtungen eingeführt (Strippel 2021; siehe Tabelle 1).

Jahr der Einführung

Bezeichnung, Arbeitsfeld

Zielgruppe

Ansatz

Inhalte

1989

Gruppenprophylaxe in Schulen und Kitas

Bis 16-Jährige

Primär- und Sekundärprävention

Untersuchung, Fluoridanwendung, Ernährungs- und Mundhygieneerziehung

1989, 1993

Individualprophylaxe in Zahnarztpraxen

6- bis 18-Jährige

Primär- und Sekundärprävention

Untersuchung, Fluoridanwendung, Ernährungs- und Mundhygieneberatung

1999, 2019

Früherkennung in Zahnarztpraxen

Bis 6-Jährige

Primär- und Sekundärprävention

Untersuchung, Fluoridanwendung, Ernährungs- und Mundhygieneberatung

2014, 2018

Individualprophylaxe in Pflegeeinrichtungen und Zahnarztpraxen

Pflegebedürftige, Einrichtungshilfe-beziehende

Primär- und Sekundärprävention

Untersuchung, Fluoridanwendung, Ernährungs- und Mundhygieneberatung

Tab. 1: Mundgesundheitserziehung und -förderung in Deutschland (Quelle: Strippel 2021)

Forschung und Leitlinien

Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (DGZMK) veröffentlicht zahnmedizinische Leitlinien gemäß der methodischen Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF). Hinsichtlich Prävention empfehlen diese Leitlinien beispielsweise das Zähneputzen unter Verwendung einer fluoridhaltigen Zahnpasta (AWMF 2018).

Ein epidemiologisches Monitoring der Mundgesundheit erfolgt in Deutschland im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung (Lüders et al. 2021). Im Auftrag der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) wird die bevölkerungsrepräsentative Deutsche Mundgesundheitsstudie durchgeführt (IDZ 2022). Zudem gibt es im Auftrag der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe (Team DAJ 2017).

Die Mundgesundheitsziele für Deutschland bis zum Jahr 2030 (Ziller, Oesterreich & Jordan 2021) beinhalten Empfehlungen für die Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention aus Sicht der Zahnärzteschaft.

Literatur:

AWMF − Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (2018). S3-Leitlinie „Häusliches mechanisches Biofilmmanagement in der Prävention/Therapie von Gingivitis“. AWMF-Registernummer: 083-022.

IDZ − Institut der Deutschen Zahnärzte (2022). Deutsche Mundgesundheitsstudie.

Listl S., Quiñonez, C. & Vujicic, M. (2021). Including oral diseases and conditions in universal health coverage. In: Bulletin of the World Health Organization Jun 1;99(6):407.

Lüders, A., Brettner, J., Hausmann, J. et al. (2021). Mundgesundheit in der Gesundheitsberichterstattung. In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 64, S. 812–820. https://doi.org/10.1007/s00103-021-03346-5.

Peres, M. A., Macpherson, L. M. D., Weyant, R. J., Daly, B., Venturelli, R., Mathur, M. R., Listl, S., Celeste, R. K., Guarnizo-Herreño, C. C., Kearns, C., Benzian, H., Allison, P. & Watt, R. G. (2019). Oral diseases: A global public health challenge. In: Lancet 20;394(10194):249−260.

Strippel, H. (2021). Mundgesundheit für alle – wie kann zahnmedizinische Public Health in Deutschland nachhaltig gestärkt werden? In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 64, S. 879–887.

Team DAJ (2017). Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege, Bonn.

Watt, R. G. (2007). From victim blaming to upstream action: Tackling the social determinants of oral health inequalities. In: Community Dentistry & Oral Epidemiology Feb;35(1):1−11.

Watt, R. G. & Sheiham, A. (2012). Integrating the common risk factor approach into a social determinants framework. In: Community Dentistry & Oral Epidemiology Aug;40(4):289−96.

Watt, R. G., Daly, B., Allison, P., Macpherson, L. M. D., Venturelli, R., Listl, S., Weyant, R. J., Mathur, M. R., Guarnizo-Herreño, C. C., Celeste, R. K., Peres, M. A., Kearns, C. & Benzian, H. (2019). Ending the neglect of global oral health: time for radical action. In: Lancet Jul 20;394(10194):261−272.

WHO − World Health Organization (2022a). Global oral health status report—towards universal health coverage for oral health by 2030. Zugriff am 29.05.2023 unter www.who.int/team/noncommunicable-diseases/global-status-report-on-oral-health-2022.

WHO − World Health Organization (2022b). Draft global strategy on oral health (A75/10 Add.1). Zugriff am 29.05.2023 unter https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA75/A75_10Add1-en.pdf.

Ziller, S., Oesterreich, D. & Jordan, A. R. (2021). Mundgesundheitsziele für Deutschland bis zum Jahr 2030. Zahnmedizinische Forschung und Versorgung 4:1. Zugriff am 29.05.2023 unter www.idz.institute/fileadmin/Content/Publikationen-PDF/ZahnmedForschVersorg-1_2021_4_1.pdf.

Internetadressen:

Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF): www.awmf.org

Bundeszahnärztekammer (BZÄK): www.bzaek.de

Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ): https://daj.de

Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (DGZMK): www.dgzmk.de

Institut der Deutschen Zahnärzte: www.idz.institute

Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV): www.kzbv.de

Verweise:

Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy