Peer Education

Roger Keller

(letzte Aktualisierung am 27.09.2024)

Zitierhinweis: Keller, R. (2024). Peer Education. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.).Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i088-2.0

Zusammenfassung

Peer Education bezeichnet verschiedene pädagogische Handlungsansätze, die auf Aspekte der Entwicklung, des Lernens oder der Überzeugung von bestimmten Peers oder Peer Groups fokussieren. Ziel ist es, Wissen zu vermitteln oder Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei der Zielgruppe anzuregen. Peer Education wird in zahlreichen Präventionsgebieten umgesetzt. Häufige Settings für Peer Education-Projekte sind die Schule, Betriebe bzw. der Arbeitsplatz, Jugendzentren oder die Freizeit ganz allgemein. Die Auswahl eines geeigneten Rahmens für eine Intervention hängt in der Regel von der Zielgruppe ab. Im Kontext von Gesundheitsförderung und Prävention finden sich Peer Education-Projekte in vielen Bereichen, darunter Suchtprävention, Gewaltprävention, Schuldenprävention, sexuelle Gesundheit und Medienbildung. Zudem bieten sie Unterstützung für Menschen in psychischen Krisen und anderen herausfordernden Lebenssituationen, ebenso für Personen, die mit formalen Bildungsangeboten nur schwer erreicht werden können.

Schlagworte

Gesundheitsförderung, Lebensweltbezug, Modelllernen, Peer Education, Prävention


„Peers“ sind Menschen, die persönliche Eigenschaften, Umstände, Erfahrungen, Einstellungen oder Rollen miteinander teilen. Sie gehören zu einer vergleichbaren sozialen Gruppe, zum Beispiel in Bezug auf das Alter, den kulturellen Hintergrund, den Gesundheitszustand oder die sexuelle Orientierung.

„Peer Educators“ teilen zahlreiche Merkmale mit den Peers, was sie zu idealen Partnerinnen und Partnern für die Kommunikation mit Zielgruppen macht, die Schwierigkeiten haben, durch formale Bildungs- und Unterstützungsangebote erreicht zu werden. Peer Educators dienen als Rollenmodelle und können eher auf Augenhöhe Wissen, Werte, soziale Normen und Problemlösestrategien an ihre Peer Group vermitteln sowie Einstellungs- und Verhaltensänderungen anregen (Keller et al. 2017).

„Peer Involvement“ ist ein Sammelbegriff für eine Vielfalt von Angeboten, bei denen Peers als Übermittlerinnen und Übermittler von Botschaften zum Einsatz kommen (Backes & Schönbach 2002; Kern-Scheffeldt 2005).

Die Begriffe werden nicht immer einheitlich verwendet. Aufgrund der Vielfalt der Angebote finden sich in der Praxis neben dem Begriff „Peer Education“ verschiedene Mischformen (Keller 2023):

  • Peer Tutoring: Peer Educators vermitteln Wissen und regen zu Verhaltensänderungen im Unterricht an.
  • Peer Counseling: Peer Educators beraten andere Peers in einer 1:1 Situation.
  • Peer Mediation: Peer Educators vermitteln bei Konflikten zwischen Peers.
  • Peer Support: Peer Educators moderieren Gespräche im Rahmen der organisierten Selbsthilfe.

Peer Involvement-Ansätze

Aus folgenden Bereichen liegen positive Erfahrungen mit Peer Involvement-Ansätzen vor:

  • Vermittlung von Schul- und Lernstoffen jeder Art.
  • Bewältigung von Stress, „Stress-Impfung“ und „Stress-Immunisierung“, Stärkung individueller Widerstandskompetenzen gegen negativen sozialen Druck.
  • Universelle Prävention von Rauchen und Risikominimierung von Alkoholkonsum/-missbrauch.
  • Universelle Prävention von Drogenkonsum.
  • Schadensminimierung bei Drogenmissbrauch.
  • HIV-/Aidsprävention.
  • Verhütung ungewollter Schwangerschaften (Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung).
  • Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen.
  • Prophylaxe von Infektionskrankheiten wie z. B. Grippe.
  • Ernährungsberatung und Prävention von Essstörungen.
  • Bekämpfung von Wohnungslosigkeit.
  • Prävention von Gewalt.

In den USA ist der Peer Education-Ansatz Teil vieler schulischer Curricula. Im europäischen Sprachraum waren Peer Education-Programme bis vor einigen Jahren nur in Großbritannien bekannt, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Inzwischen sind sie auch in Europa verbreitet und haben auch in Deutschland stark an Bedeutung gewonnen.

Auf europäischer Ebene findet etwa seit 2005 eine Vernetzung der Peer Education-Projekte durch die Etablierung des EuroPeer-Projekts statt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin waren als Vertreter Deutschlands an der Entwicklung des Netzwerks aktiv beteiligt.

Die im Rahmen des Projekts entstandene Website als Fokus der Zusammenarbeit informiert über aktuelle Projekte aus vielen Ländern Europas, eine fortlaufend aktualisierte Literaturauswahl, Rahmenrichtlinien für die Peer Education-Arbeit in Zusammenhang mit sexueller Gesundheit, HIV/Aids und anderen Präventionsthemen. Aus den Aktivitäten des EuroPeer-Projekts ist u. a. das „Europäische Netzwerk für praxisorientierte Suchtprävention“ entstanden, das seine Ziele vor allem durch den Einsatz von Peer-Projekten zu erreichen sucht.

Theoriebezüge und Handlungsansätze

Theoretisch stützt sich der Peer Education-Ansatz im Wesentlichen auf entwicklungspsychologische Ansätze und soziale Lerntheorien. Aus entwicklungspsychologischer Sicht haben Peers eine wichtige Bedeutung bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Entwicklungsproblemen. Insbesondere Jugendlichen, die sich in einem Prozess der Ablösung vom Elternhaus befinden und auf der Suche nach eigenen Werten sind, hilft die Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion von Peer Groups. Da die Interaktionsformen des Sozialsystems der Peers durch Kooperation und Egalität gekennzeichnet sind, bieten sich auch neue und eigene Entwicklungsmöglichkeiten. Soziale Lerntheorien (insbesondere Lernen am Modell Lernpsychologische Perspektive) gehen davon aus, dass neue Verhaltensweisen durch Beobachtung von existierenden oder symbolischen Modellen entstehen. Eine Person wird ein Verhalten vor allem dann nachahmen, wenn das Modell auf eine gewisse Weise ähnlich ist.

Peer Education-Ansätze eignen sich insgesamt gut für die Umsetzung der theoretischen Grundlagen der Gesundheitsförderung. Sie zielen auf Netzwerkförderung ab (Soziale Netzwerke und Netzwerkförderung) sowie auf die Bildung von Freiwilligengruppen, die an subjektiv bedeutsamen Themen arbeiten. Peer Education erfordert zudem die Unterstützung von Selbstorganisation und autonomen Lebensformen sowie die Förderung von Empowerment/Befähigung bei Jugendlichen. Partizipation der Jugendlichen (Partizipation/Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) findet Eingang in alle Ebenen der Programmrealisierung (Zielsetzung, Programmentwicklung, -durchführung und -evaluation) und ist damit ein weiteres Schlüsselelement von Peer Education-Ansätzen.

Wirksamkeit von Peer Education

Inzwischen nutzen viele Organisationen Peer Education-Ansätze mit dem Ziel, durch glaubwürdige Rollenmodelle und einen starken Lebensweltbezug das Wohlbefinden und die Gesundheit von Peers zu fördern. Aktuell liegen verschiedene Meta-Analysen von Studien im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention vor, die zeigen konnten, dass sich in Peer Education-Projekten neben einem Wissenszuwachs bei den Peers auch Einstellungs- und Verhaltensänderungen feststellen ließen (siehe z. B. Hu & Chen 2023; Topping 2022; Watts et al. 2024). Die Meta-Analysen bieten wertvolle Einblicke und tragen maßgeblich zum besseren Verständnis von Peer Education bei. Dennoch sind dabei die zahlreichen Limitationen der Studien zu berücksichtigen; die Durchführung belastbarer Studien zur Wirksamkeit von Peer Education-Ansätzen ist nach wie vor notwendig.

Evidenzbasierte Qualitätskriterien für erfolgreiche Peer Education

Evidenzbasierte Peer Education-Angebote geben Antwort auf die Fragen, warum ein Angebot funktioniert, welche unerwünschten Wirkungen auftreten können (z. B. Vermittlung unvollständiger Informationen an Peers oder Überforderung der Peer Educators) und was in der Praxis umsetzbar ist. Hier wird gleichermaßen aktuelles Wissen aus der Forschung und Erfahrungswissen von Fachpersonen, Peer Educators und Peers berücksichtigt.

Damit Peer Education eine nachhaltige Wirkung entfalten kann, ist es wichtig, dass die Angebote zentrale Handlungsprinzipien der Gesundheitsförderung und Prävention berücksichtigen: Partizipation (Partizipation/Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger), Empowerment Empowerment/Befähigung, Chancengleichheit und der Settingansatz/Lebensweltansatz.

Zudem basieren evidenzbasierte Peer Education-Angebote auf Theorien und Modellen zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Wichtig ist, dass die Angebote in eine Organisation eingebettet sind, um Kontinuität zu gewährleisten, und von allen Beteiligten mitgetragen werden. Peer Educators sind zudem keine Fachpersonen: Bei Schwierigkeiten oder Unsicherheiten müssen sie während der gesamten Dauer des Programms Supervision und professionelle Unterstützung durch die Programmverantwortlichen nutzen können (Keller 2023; Keller et al. 2017).

Als allgemeines und strukturell bedingtes Problem soll darauf verwiesen werden, dass die Herstellung von Kontinuität innerhalb von Peer Education-Projekten oft nur schwer erreichbar ist. Damit ist u. a. gemeint, dass Peers aus ihrer Rolle schnell „herauswachsen“ und mehrjährige Projekte daher regelmäßig neue Peers rekrutieren und ausbilden müssen. Schließlich ist festzuhalten, dass Peer Education das Wissen, das von Fachpersonen vermittelt wird, lediglich ergänzen kann. Die Angebote dürfen die professionelle Unterstützung durch Fachpersonen nicht ersetzen – weder aus Kostengründen noch aus Mangel an professionellem Personal.

Literatur:

Backes, H. Schönbach, K. (2002). Peer Education − ein Handbuch für die Praxis (2. Auflage). Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Hu, L. Chen, G. (2023). A systematic review and meta-analysis of productive peer talk moves. Journal of Behavioral Education. https://doi.org/10.1007/s10864-023-09513-9.

Keller, R. (2023). Peer Involvement − Auf Augenhöhe. laut & leise, 1, S. 8−10.

Keller, R., Kern-Scheffeldt, W. Reinhard, I. (2017). PeerWork Schweiz. Grundlagenpapier für ein gemeinsames Verständnis. Bern: Netzwerk PeerWork Schweiz.

Kern-Scheffeldt, W. (2005). Peer Education und Suchtprävention. SuchtMagazin, 05, S. 3−10.

Topping, K. J. (2022). Peer education and peer counselling for health and well-being: A review of reviews. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19(10:6064). https://doi.org/10.3390/ijerph19106064.

Watts, L. L., Hamza, E. A., Bedewy, D. A. & Moustafa, A. A. (2024). A meta-analysis study on peer influence and adolescent substance use. Current Psychology, 43(5), pp. 3.866−3.881. https://doi.org/10.1007/s12144-023-04944-z.

Internetadressen:

Deutsche Agentur für das EU-Programm „Jugend in Aktion“: www.europeers.de und www.jugendfuereuropa.de

European Network for Practical Approaches in Addiction Prevention:www.euronetprev.org

Europeer UK:www.projects.exeter.ac.uk/europeeruk

Netzwerk PeerWork Schweiz:www.aebi-hus.ch/peerwork

Peer-Aktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:www.kenn-dein-limit.info oder www.bist-du-staerker-als-alkohol.de

Verweise:

Empowerment/Befähigung, Lernpsychologische Perspektive, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Settingansatz/Lebensweltansatz, Soziale Netzwerke und Netzwerkförderung

Der Autor dankt Herbert Backes und Christiane Lieb für ihre Vorarbeiten zu diesem Leitbegriff in den bisherigen Auflagen.