Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
Zitierhinweis: Beerlage, I. (2021). Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) bildet ein System psychosozialer Maßnahmen, Strukturen und Regelungen im Kontext der Gefahrenabwehr. Akteurinnen und Akteure agieren in der kurz-, mittel- und langfristigen Unterstützung, Beratung und Therapie für Betroffene von Notfällen und Katastrophen sowie für Einsatzkräfte der zivilen Gefahrenabwehr nach psychisch belastenden Einsatzsituationen. Für Einsatzkräfte schließt sie auch Maßnahmen der psychosozialen Gesundheitsförderung und Prävention ein. PSNV ist in das System der Gefahrenabwehr eingebettet. Ihr Ziel ist die Förderung der Verarbeitung der belastenden Erfahrungen, um anhaltende psychosoziale Belastungsfolgen zu vermeiden bzw. zu verringern.
Schlagworte
Psychosoziale Notfallversorgung, Bevölkerungsschutz, Katastrophenschutz, Zivilschutz, Psychosoziales Krisenmanagement
Definition
Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) ist ein System psychosozialer Maßnahmen der kurz-, mittel- und langfristigen Unterstützung, Beratung und Therapie im Zusammenhang mit Notfallereignissen (z. B. Naturkatastrophen, Unfällen, Terrorakten, häuslichem Todesfall, plötzlichem Kindstod) und belastenden Einsatzsituationen (z. B. Einsätze mit vielen Toten und Verletzten, mit Kindern, bei eigener Lebensgefahr). Für Einsatzkräfte der Gefahrenabwehr (Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei, Technisches Hilfswerk u.a.) schließt sie auch Maßnahmen der psychosozialen Gesundheitsförderung 1 Grundlagen und Prävention und Krankheitsprävention ein (z. B. die Vorbereitung auf belastende Einsatzsituation und die generelle Förderung psychosozialer Gesundheit in der Einsatzorganisation (Beerlage & Helmerichs, 2011).
Die PSNV ist interdisziplinär wissenschaftlich fundiert durch Erkenntnisse aus Psychologie, Medizin, Soziologie, Pädagogik und Recht etc.) und wird interprofessionell in der Praxis der Gefahrenabwehr geleistet. Zugleich erfordert sie intersektorielle Kooperationen, insbesondere zwischen dem Innen- und Gesundheitsressort auf allen föderalen Ebenen, aber auch mit gesellschaftlichen Bereichen, in denen Unglücke eintreten (können).
Neben den PSNV-Angeboten umfasst die PSNV die Anbieterinnen und Anbieter mit spezifischen Qualifikationen (z. B. aus Notfallseelsorge, Krisenintervention im Rettungsdienst, Notfallpsychologie, psychosozialer Beratung und Psychotherapie u. v. m). Sie schließt aber auch andere Akteursgruppen ein: politisch Verantwortliche oder Fachkräfte der Medien und Krisenkommunikation sowie die beteiligten nutzenden und anbietenden Organisationen. Die PSNV-Gesamtstruktur umfasst ebenso die politischen, professionellen und ehrenamtlichen Organisationsformen und -strukturen dieser Angebote sowie rechtliche Regelungen als strukturellen Rahmen für alle Maßnahmen.
„Die PSNV hat ihre Wurzeln in der Erkenntnis, dass von plötzlichen Todesfällen und weiteren Notfallereignissen »Betroffene« (zu ihnen werden Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und Vermissende gezählt) und Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen nicht nur medizinische und technische Hilfeleistungen benötigen, sondern auch auf der psychischen, sozialen [und praktischen, Ergänzung I. B.] Ebene wirksame Hilfen zur Bewältigung der erschütternden und potenziell traumatisierenden Erlebnisse erfahren sollten“ (Beerlage, Helmerichs, Waterstraat & Bellinger, 2010, S. 131).
Ziele
Das Ziel der PSNV-Maßnahmen besteht darin, die Verarbeitung eines Notfallereignisses oder belastenden Einsatzes durch Ressourcenstärkung und -ergänzung zu ermöglichen, zu unterstützen sowie anhaltende psychische und soziale Belastungen zu vermeiden und/oder abzupuffern. Die Stärkung der individuellen und sozialen Bewältigungsressourcen, die Förderung der Resilienz (Resilienz und Schutzfaktoren) und Prävention psychischer Traumafolgestörungen ist darin ebenso eingeschlossen wie das Ziel, Menschen im individuellen und sozialen Bewältigungsprozess zu unterstützen, ihnen erforderliche Hilfen/Beratung sowie durch Früherkennung rechtzeitige und angemessene Behandlung zukommen zu lassen, wenn diese psychische Störungen mit Krankheitswert herausgebildet haben (Beerlage, Helmerichs, Waterstraat & Bellinger, 2010). Die PSNV berücksichtigt dabei, dass sich psychosoziale Bedürfnisse im Verlauf der Bewältigung verändern und dann entsprechend differenzierte, aufeinander folgende oder auch parallel bestehende unterschiedliche Hilfsangebote erforderlich werden können, ebenso wie ihre Beendigung.
Die PSNV ist eingebettet in das umfassende Psychosoziale Krisenmanagement (PsychKM) (Helmerichs, Karutz & Geier, 2017). Zum einen wird darin die Stärkung der individuellen und sozialen Notfallbildung und -kompetenz im Vorfeld von Notfällen eingeschlossen, um die individuelle Resilienz sowie die Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften zu fördern (Beerlage, 2017a; Knauer & Beerlage, 2019). Dies erfordert auch eine organisationsübergreifende Veränderung von Bildungshaltungen und -prozessen (Karutz & Mitschke, 2018; Guerrero Lara & Gerhold, 2020). Zum Psychosozialen Krisenmanagement zählt auch die Gestaltung der Risiko- und Krisenkommunikation (Risikokommunikation) unter psychosozialen Gesichtspunkten, damit Informationen die Menschen gut verständlich und schnell erreichen und sie nicht zusätzlich beunruhigen (Geenen, 2017). Auch die Stärkung der Kompetenzen der Einsatz- und Führungskräfte in der Führung und (interorganisationalen) Kommunikation im Wach- und Einsatzdienst im Dienste der psychosozialen Gesundheit zählt dazu (Beerlage, 2017 b; Hering, Beerlage & Kleiber, 2010; Helmerichs, Karutz & Geier, 2017).
Die PSNV zählt mittlerweile in Deutschland zum Versorgungsstandard in der zivilen und militärischen Gefahrenabwehr und hat in zahlreiche Felder ausgestrahlt, in denen Notfälle, Gefahren und Gewalt erfahren werden können (z. B. Justiz-, Umwelt- und Bildungssystem, Verkehrswesen, Humanitäre Hilfen, Innerklinische Medizinische Versorgung). Auch international gilt sie als integraler und interdisziplinärer Bestandteil des Krisenmanagements unter Berücksichtigung der Selbsthilfekompetenzen in den betroffenen Gemeinden und Gemeinschaften. Grundsätzlich ist ihr Handeln ressourcenkomplementär angelegt: die PSNV-Kräfte respektieren und stärken bestehende Bewältigungsressourcen oder ergänzen sie. Nur im seltenen Fall eines psychiatrischen Notfalls (Selbst- und Fremdgefährdung und Versagen der Selbststeuerung nach Notfallerfahrungen) (<0,1 % aller Notfallbetroffenen) handelt sie stellvertretend für die Betroffenen (Seynaeve, 2001; NATO 2008, IASC, 2017; 2020; Red Cross & Red Crescent, 2019; WHO, 2020; UNDRR, 2015).
Entwicklungslinien in Praxis, Politik und Forschung
Das heutige System der PSNV ist das Ergebnis eines von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben im Jahr 2000 angestoßenen gesundheitsförderlichen Vernetzungs- sowie Qualitäts-, System- und Organisationsentwicklungsprozesses, der zwischen 2002 und 2010 stattgefunden hat (Beerlage, Arndt, Hering & Springer, 2020) (Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung). Drei Entwicklungslinien im föderalen politischen System des Zivil- und Katastrophenschutzes/ Bevölkerungsschutzes sowie in Praxis und Forschung wurden zunächst in einem partizipativen Forschungs- und Vernetzungsprozess und darauf aufbauend in einem Konsensusprozess zusammengeführt. Forschungsbegleitung und Konsensusprozess wurden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), einer Oberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, moderiert (seit 14. März 2018 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat).
Die im Folgenden skizzierten Entwicklungen hatten maßgeblichen Einfluss darauf, wie die PSNV sich heute inhaltlich versteht. Die PSNV hat in dieser Entwicklung eine Umorientierung von einer pathogenetischen zu einer gesundheitsförderlichen Sicht erfahren und sich strukturell und organisatorisch als integraler Bestandteil der Gefahrenabwehr etabliert.
Entwicklungslinien in der Praxis: Das Spektrum der Angebote für die betroffene Bevölkerung (heute bezeichnet als PSNV-B, B für Betroffene) entwickelte sich ab Ende der 1980er-Jahre (Bengel, 1997; Müller-Cyran & Zehentner, 2013; Müller-Lange, 2001). Das Flugschau-Unglück von Ramstein 1988, bei dem Flugzeuge in der Luft zusammengestoßen waren und eines davon in die Zuschauermenge abstürzte, offenbarte erstmalig, dass Betroffenen nach katastrophalen Ereignissen einer kurz- und langfristigen und vor allem organisationsübergreifend koordinierten psychosozialen Begleitung bedurften (Jatzko, Jatzko & Seidlitz, 1995).
Es zeigte sich bei nachfolgenden Großschadenslagen, dass eine große Zahl von PSNV-Angeboten mit unterschiedlichen organisationsspezifischen Hintergründen und Ausbildungen zu koordinieren waren, die z. B. auf kirchlichen, organisationsspezifischen und föderalen Strukturen basierten und die heterogene Bezeichnungen, Arbeitsweisen und Kennzeichnungen im Einsatz nutzten. Durch „Selbstalarmierung“ von PSNV-Teams mit Feldkompetenz kam es zu Koordinationsproblemen, zu regionaler Über- oder Unterversorgung und/oder auch zu einer Fehlversorgung mit nicht zielgruppenadäquaten Maßnahmen. Zudem boten sich spontan psychosoziale Kräfte aus der regulären psychosozialen Praxis an, die keinerlei Erfahrung aufwiesen, in Führungsstrukturen der Gefahrenabwehr zu handeln (sogenannte Feldkompetenz). Vernetzung und bessere Koordinierung sollten hier Abhilfe schaffen (BVA/ZfZ, 2002).
Für Einsatzkräfte standen ab Beginn der 1990er Jahre Polizeiseelsorger/Seelsorger in Feuerwehr und Rettungsdienst, weitere interne, für die Einsatznachsorge qualifizierte und beauftragte „psychosoziale Fachkräfte“ (z. B. aus der Psychologie, Pädagogik, Sozialen Arbeit) und ehrenamtlich engagierte Peers (speziell psychosozial geschulte Einsatzkräfte) zur Verfügung.
Die Angebote für Einsatzkräfte werden heute unter der Bezeichnung PSNV-E zusammengefasst. Sie entwickelten sich aus dem in den USA entwickelte System des Critical Incident Stressmanagements (CISM) weiter (Everly & Mitchell, 2002) Das CISM basiert auf dem Präventionskonzept von Caplan (1961) (Prävention und Krankheitsprävention) und bildet seit 1990 die Grundlage für die Einsatzvorbereitung und -nachsorge (siehe auch SbE e.V.Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen).
Insbesondere nach dem ICE-Unglück von Eschede 1998 strebten zahlreiche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben die feste Implementierung des CISM als Element der Arbeitgeberfürsorge an. Jedoch war der Implementierungsprozess verzögert, weil zu diesem Zeitpunkt widersprüchliche Ergebnisse zur Wirksamkeit bzw. Schädlichkeit strukturierter Einsatznachsorgegespräche vorlagen (Butollo, Karl & Krüsmann, 2012; Bengel u. a., 2019). Die Behörden forderten erstmals im Jahr 2000 Wirksamkeitsbelege sowie Qualitätsstandards in Ausbildung und Einsatz – zunächst nur bezogen auf die Angebote der PSNV-E, denn dafür zeichneten sie verantwortlich. Sie forderten auch Standards für die länderübergreifend harmonisierte strukturelle Einbindung der PSNV in die Einsatz-Führungsstrukturen (BVA/AKNZ, 2002).
Entwicklungslinien im politischen System des Zivil- und Katastrophenschutzes/Bevölkerungsschutzes: Einige Großereignisse zu Beginn der 2000-er Jahre stießen politische Veränderungen im Zivil- und Katastrophenschutz an, die es erst ermöglichten, dass auf der Ebene des Bundes im Auftrag der Länder für die Länder länderübergreifende Harmonisierungsprozesse durch Forschung unterstützt werden konnten. Dies betraf auch die PSNV und machte erst den Prozess der Leitlinienentwicklung möglich. Einige Impulse seien hier besonders hervorgehoben:
- Beim Terroranschlag am 11. September 2001, als zwei der vier entführten Flugzeuge in die New Yorker Gebäude des World Trade Centers einschlugen und ein weiteres in das Gebäude des Pentagon in Arlington, war zunächst unklar, ob es sich um einen Verteidigungsfall handelte. Bei einem analogen Ereignis in Deutschland hätte zunächst geklärt werden müssen, ob nun der Zivilschutz (Schutz der Zivilbevölkerung bei militärischen Angriffen auf der Ebene des Bundes) oder der Katastrophenschutz in der Verantwortung der Länder den Schutz der Bevölkerung leisten sollten. Am Ende braucht(e) man aber alle verfügbaren Helfer, deren Zusammenarbeit reibungslos verlaufen sollte.
- Beim, die Bundesländergrenzen überfließenden Elbe-Hochwasser im Sommer 2002, das zu erheblichen Überflutungen und Schäden in den angrenzenden Gebieten entlang der Elbe und entlang der rückgestauten Zuflüsse führte, wurde offenbar, dass es eines länderübergreifend harmonisierten Vorgehens im Katastrophenschutz bedurfte – auch in der PSNV. Die erforderliche Zusammenarbeit in der PSNV an den Grenzen zu Tschechien und Österreich warf damals noch keine strukturellen Fragen auf; die Helferinnen und Helfer lösten diese spontan vor Ort.
- Der Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002, bei dem ein ehemaliger Schüler 12 Lehrer, zwei Schüler, eine Schulsekretärin, einen Polizisten und dann sich selbst erschoss, offenbarte, dass trotz der begründeten grundgesetzlichen Trennung von polizeilicher und nicht-polizeilicher Gefahrenabwehr im Einsatz auch in psychosozialen Fragen das Handeln besser koordiniert werden müsste (z. B. koordinierte Angebote der Einsatznachsorge für die polizeiliche und nichtpolizeilichen Einsatzkräfte, aber auch ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Betreuung und Zeugenbefragung).
Diese Herausforderungen und Erfahrungen veranlassten die Innenminister der Länder und des Bundes im Juni 2002 zur Verabschiedung der „Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung“ (BVA/ZfZ, 2003). Darin wird eine engere Zusammenarbeit des Zivilschutzes in der Zuständigkeit des Bundes (Art. 73 Grundgesetz) und des Katastrophenschutzes in der Zuständigkeit der Länder (Art 70 Grundgesetz) sowie eine verbesserte und harmonisierte länderübergreifende Zusammenarbeit bei Großunglücken und großflächigen Gefahrenlagen beschrieben. Sie wurde im neuen Zivilschutz- und Katastrophenhilfe-Gesetz (ZSKG) im Jahr 2009 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie die harmonisierte länderübergreifende Zusammenarbeit in der nichtpolizeilichen und nichtmilitärischen Gefahrenabwehr wird darin unter dem Begriff des Bevölkerungsschutzes zusammengeführt: „Der Bevölkerungsschutz umfasst nichtpolizeiliche und nichtmilitärische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen […] auch Maßnahmen zur Vermeidung, Begrenzung und Bewältigung der genannten Ereignisse“ (BBK, 2018, S. 14). Im ZSKG erhält der Bund mehr Kompetenzen: er kann die Länder bei einer Naturkatastrophe, besonders schweren Unglücksfällen und bei großflächigen Gefahrenlagen unterstützen sowie ressourcenergänzende bzw. koordinierende Maßnahmen der Katastrophenhilfe leisten.
Erst vor dem Hintergrund der erweiterten Kompetenzen des Bundes im Katastrophenschutz der Länder konnte 2002 das Zentrum für Zivilschutz (später Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – BBK) den Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (kurz: Innenministerkonferenz) erhalten, Forschungsaufträge zur Qualitätssicherung, Vernetzung, Organisation und strukturellen Einbindung der PSNV zu vergeben und damit eine fachliche Dienstleistung für die Länder zu erbringen. Damit waren die Voraussetzungen für einen Forschungs- und Qualitätsentwicklungsprozess in der PSNV angesiedelt auf der Bundesebene für die Bundesländer geschaffen.
Seit 2004 nimmt das BBK auf der gesetzlichen Grundlage des ZSKG als Oberbehörde für Bund und Länder eine zentrale fachliche Rolle in Forschung, Ausbildung und Innovation ein. Die Forschungsbegleitung zur Qualitätssicherung in der PSNV wurde nahtlos im neuen Bundesamt weitergeführt.
Entwicklungslinien in der Forschung: Für die Entwicklung des Systems der psychosozialen Notfallversorgung war die Forschung im Auftrag des BBK von entscheidender Bedeutung. Drei Forschungsaufträge sollten ab 2002 a) die Wirksamkeit der einsatzvorbereitenden Maßnahmen, b) die Wirksamkeit der strukturierten Einsatznachsorgegespräche untersuchen (Butollo, Karl & Krüsmann, 2012) c) Standards und Empfehlungen für ein Netzwerk zur bundesweiten Strukturierung und Organisation psychosozialer Notfallversorgung (Beerlage, Hering & Nörenberg, 2006) zu entwickeln.
Anfangs sollten sich die Projekte nur auf die Qualitätssicherung und strukturelle Einbindung der auf extreme Einsatzsituationen fokussierten Maßnahmen für Einsatzkräfte der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr beziehen. Dies ist aus der politischen Zuständigkeit des Bundes(-amtes) für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr zu erklären. Der Fokus lag aus pathogenetischer Perspektive auf der Prävention der PTBS. Überlegungen zur Angebotsplanung trugen noch starke Züge einer paternalistisch verstandenen Versorgungslogik. Im Forschungsprozess erfolgten aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive Erweiterungen des Auftrags, der Perspektiven und damit verbunden auch eine Erweiterung der zu beteiligenden Partner (Beerlage, Arndt, Hering & Springer, 2020).
- Erweiterung des Forschungsziels. Wegen der im Einsatz bestehenden engen Zusammenarbeit der polizeilichen und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, wurden Empfehlungen für die PSNV-E der gesamten zivilen Gefahrenabwehr erarbeitet. Es wurde der koordinierte Einsatz aller verfügbaren und teilweise für multiple Aufgaben qualifizierten PSNV-Kräfte in einem integrierten und zugleich arbeitsteiligen Gesamtsystem der PSNV-E und PSNV-B empfohlen.
- Erweiterung des klinischen Trauma-Fokus zu einem umfassenden Verständnis von Erfahrungsverarbeitung: Ein stresstheoretisch bzw. salutogenetisch fundiertes Verständnis von Krise und Bewältigung führte zur stärkeren Berücksichtigung von personalen, sozialen und organisationalen Ressourcen und zur Wahrnehmung der Betroffenen als aktive, zur Selbsthilfe und sozialen Unterstützung fähige Menschen. Der Unterstützung des Bewältigungsverlaufs, des Empowerments (Empowerment/Befähigung) der Schicksalsgemeinschaften sowie der Einbeziehung Soziale Unterstützung im privaten, aber auch kollegialen sozialen Umfeld kam konzeptionell eine größere Bedeutung zu.
- Erweiterung der Angebotslogik: Die Konzeptualisierung der Betroffenen als aktiv Bewältigende führte auch von der Bedarfsorientierung zur Bedürfnisorientierung in der Maßnahmenplanung. Der mehr oder weniger ressourcengestützte Bewältigungsweg und die darin entstehenden vielgestaltige (Beratungs-)Bedürfnisse und Belastungsfolgen erfordertet ressourcenkomplementäre, (ggf. auch parallele) Unterstützungsformen im sozialen Netzwerk, in Beratungsangeboten, aber auch in der Psychotherapie.
- Erweiterung des Kooperationsspektrums in der Nachsorge: Aus der Notwendigkeit einer engeren Verzahnung der notfall- und einsatznahen Angebote mit dem psychosozialen Beratungssystem und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖDG) und Gesundheitsförderung) wurde der Aufbau verbindlicher Kooperationen mit dem System der Beratungsstellen, Krisendienste, kommunalen Behörden und der psychotherapeutischen Versorgung abgeleitet. Daraus ergab sich deren Einbeziehung in den Prozess der Forschungsbegleitung und Leitlinienentwicklung.
- Erweiterung des Verständnisses der Förderung der psychosozialen Einsatzkräftegesundheit: Die auf Maßnahmen der Vorbereitung auf belastende Einsätze beschränkte Psychosoziale Primärprävention wurde als nicht ausreichend kritisiert und die Einbettung ein umfassendes Betriebliches Gesundheitsmanagement empfohlen. Alltagsbelastungen und das arbeitsbezogene Wohlbefindens fanden verstärkte Aufmerksamkeit.
- Präzisierung der spezifischen Leistungsfähigkeit von vertikaler und horizontaler Vernetzung im „Netzwerk psychosoziale Notfallversorgung“: Im Dienste der Beschreibung arbeitsteiliger Zuständigkeiten in der Implementierung einer qualitätsgestützten PSNV wurden die vertikale Vernetzung für strukturellen Entscheidungen im föderalen politischen System der Innen- und Gesundheitsministerien von der horizontalen Vernetzung in Fachaustausch und Zusammenarbeit unterschieden und spezifische Aufträge definiert.
Die wissenschaftlich begründeten Empfehlungen beschrieben unter Einbeziehung internationaler Leitlinien das Selbstverständnis, die Terminologie, die Struktur und die zu treffenden Regelungen der PSNV (Beerlage, Hering & Nörenberg, 2006; Beerlage, 2009). Sie bildeten die Grundlage für einen zwischen 2008 und 2010 vom BBK moderierten Konsensusprozess. Dass innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit von acht Jahren zwischen Forschungsstart und Konsentierung von Leitlinien ein breiter Konsens unter einer so großen Zahl von beteiligten institutionalisierten Systemen hergestellt werden konnte, kann auf die bereits im forschungsbegleitenden Arbeitskreis erfolgte Partizipation eines breiten Spektrums von Bundes- und Landesministerien, Behörden und Organisationen der Gefahrenabwehr, Kammern und Fachverbänden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Anbietersysteme der Einsatznachsorge und Krisenintervention zurückgeführt werden. Sie förderte organisationsübergreifend die nachhaltige horizontale und vertikale Vernetzung und die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. Der Forschungs- und Konsensusprozess trug die Merkmale eines gesundheitsförderlichen Organisationentwicklungsprozesses (Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung) (Beerlage & Arndt, 2021).
Im Ergebnis wurden Qualitätsstandards und Leitlinien für eine koordinierte, strukturell eingebundene, qualitätsgesicherte sowie länder-, organisations- und ressortübergreifende Angebotsstruktur verabschiedet und im Sinne der Selbstverpflichtung unterzeichnet (BBK, 2011).
Nach dieser Forschungs- und Konsensusphase wurden weitere Forschungsprojekte durchgeführt, um die Maßnahmen für einzelne Zielgruppen und Ereignisarten zu spezifizieren. Nach 2010 wurde die Notwendigkeit der Anpassung der Maßnahmen an die besonderen Bedarfe von Kindern, Menschen mit Sinnes- oder kognitiven Beeinträchtigungen und Menschen mit Sprachbarrieren oder verschiedenen kulturellen Hintergründen untersucht (Karutz & Wagner, 2018; BBK, 2017; Schmidt u. a., 2018). Ebenso wurden die besonderen Realisierungsmöglichkeiten der PSNV in chemischen biologischen, physikalischen, radiologischen und nuklearen Lagen untersucht (BBK, 2009). Für Einsatzorganisationen folgten die Entwicklung wissenschaftlicher Empfehlungen zur Umsetzung (z. B. Beerlage, Springer, Hering, Nörenberg & Arndt, 2009; Mähler, Hofinger, Künzer, Zinke & Kather, 2019).
Grundannahmen und Maßnahmen der PSNV
Die skizzierten fachlichen Entwicklungen fundierten das konsentierte Selbstverständnis der PSNV: Das psycho-soziale Verständnis der Belastungsverarbeitung schlägt sich in den Leitlinien und Qualitätsstandards als Vereinbarung einer bedürfnis- und bedarfsorientierten, ressourcenkomplementären, interdisziplinären und gestuften Praxis nieder: „Grundannahme der PSNV ist es, dass zur Bewältigung von psychosozialen Belastungen und kritischen Lebensereignissen zunächst personale Ressourcen […] und soziale Ressourcen im informellen sozialen Netz der Betroffenen aktiviert werden. Maßnahmen der PSNV wirken ergänzend oder substituierend im Fall des (zeitweisen) Fehlens oder Versiegens dieser Ressourcen“ (BBK, 2011, S. 20). „Unterstützung und Hilfe sollen umso aktiver, aufsuchender und niedrigschwelliger angeboten werden, je belasteter und ressourcenärmer betroffene Menschen sind. Mit jedem Angebot von Unterstützung, Hilfe oder Intervention sollte zugleich auch ein hoher Respekt vor den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen, vor ihrem soziokulturellen „Eigen-Sinn“ und den Interaktionsgewohnheiten in ihren jeweiligen Lebenswelten verbunden sein“ (Beerlage, 2009, S. 16) (Systemisches Anforderungs-Ressourcen-Modell in der Gesundheitsförderung).
Die zeitlich gestuften Maßnahmen der PSNV-B und PSNV-E richten sich an den unterschiedlichen Dynamiken des Belastungserlebens und an den Bedürfnissen der Betroffenen aus. Aus ihnen leitet sich der jeweils zu deckende Bedarf ab.
Die PSNV-Maßnahmen tragen der Tatsache Rechnung, dass sich die Ausgangsbedingungen und Bedürfnissen sowie Perspektiven der unterschiedlichen Betroffenengruppen unterscheiden.
Sie sind daher untergliedert in:
- Maßnahmen für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/oder Vermissende und
- Maßnahmen für Einsatzkräfte des Rettungsdienstes, der Feuerwehren, des Katastrophenschutzes, der Polizeien, des Technischen Hilfswerkes und bei Zustandekommen von Unterstützungsleistungen auch der Bundeswehr.
Für die Maßnahmen für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Vermissende und Zeugen nach Unglücksfällen hat sich zwischenzeitlich das Kürzel PSNV-B (für Betroffene) sowie für Einsatzkräfte vor und nach extrem belastenden Einsätzen das Kürzel PSNV-E in der Praxis etabliert. Sie stellen getrennte Angebotsbereiche mit spezifischen Maßnahmen dar, die jeweils spezifische Qualifikationen und Kompetenzen und Strukturen erfordern, aber im Einsatz zusammengeführt und koordiniert werden. In einem Einsatz darf eine doppelt qualifizierte Person nie Maßnahmen für beide Zielgruppen durchführen.
Maßnahmen der PSNV für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/oder Vermissende (PSNV-B)
Im Rahmen der rettungsdienstlichen Maßnahmen sind es vor allem die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst, die im Rahmen der Versorgung neben der medizinischen Ersten Hilfe auch eine Psychische Erste Hilfe (PEH) (Lasogga & Gasch, 2002) leisten. Daher sehen die Leitlinien vor, Kompetenzen in der Psychischen Ersten Hilfe in der Ausbildung zu vermitteln. Es konnte gezeigt werden, dass subjektiv erlebte sozio-emotionale Kompetenzdefizite das Traumatisierungsrisiko der Einsatzkräfte erhöhen (Beerlage, Arndt, Hering & Springer, 2009; Arndt, 2012; Butollo, Karl & Krüsmann, 2012; Bengel u. a., 2019).
Die weiterführende Psychosoziale Akuthilfe (PAH) leisten dann in einem Zeitfenster von Stunden bis zu wenigen Tagen die Kräfte der Notfallseelsorge, der Kriseninterventionsteams oder der Notfallpsychologie. Sie erfassen die emotionalen, sozialen, spirituellen und praktischen Bedürfnisse der Betroffenen, ermitteln die Ressourcen- und Belastungsprofile, ermutigen zu Aktivitäten, die die Betroffenen selbst angehen können, leiten aus den fehlenden Ressourcen den notwendigen Hilfebedarf ab und (beg)leiten die Betroffenen dann in das geeignete Unterstützungs-, Hilfe oder Behandlungssystem. Dieses geht über psycho-soziale Beratungsangebote und Psychotherapie deutlich hinaus und schließt z. B. auch die häufig erforderliche finanzielle, rechtliche und administrative Beratung mit ein.
Psychische Erste Hilfe und Psychosoziale Akuthilfe sollen im gesamten Spektrum von Maßnahmen vor allem fünf Bedürfnisse erfüllen: die Bedürfnisse nach Sicherheit, Beruhigung, Wiedererlangung der Selbstwirksamkeit/Kontrolle, nach Verbundensein mit Nahestehenden und nach Zuversicht (Hobfoll u. a., 2007). Eine wichtige Rolle spielen dabei neben den Aufgaben der Psychoedukation auch die Vermittlung von validen Informationen zum aktuellen Handeln der Behörden, zu bevorstehenden Schritten und Aufgaben sowie die Psychoedukation (Müller-Cyran & Zehentner, 2013).
Nur sehr wenige Menschen weisen in der Akutsituation Merkmale eines psychiatrischen Notfalls oder krankheitswertige akute Belastungsreaktionen auf (NATO, 2008). Auch können psychische Traumafolgestörungen in den ersten Stunden und Tagen in der Regel nicht diagnostiziert werden (Zeitkriterium der Diagnosen). Das heißt, dass heilkundliche (ärztliche und psychologische) psychotherapeutische Maßnahmen in der Akutphase am Ort des Schadensereignisses eigentlich nicht benötigt würden. Um aber Menschen gerecht werden zu können, die bereits vor dem Ereignis psychische Störungen oder gar Vortraumatisierungen aufwiesen und unter den Betroffenen sind, sollte ein psychiatrisch-psychotherapeutischer Hintergrunddienst in der Akutphase erreichbar sein – auch falls eine rasche diagnostische Abklärung oder ein diagnostisches Screenings benötigt wird. (BBK, 2011; Bengel u. a. 2019).
Nach Notfallerfahrungen und extrem belastenden Einsatzsituationen können im weiteren Leben mit dem Erfahrenen auch langfristig punktuell, wellenförmig oder chronisch psychosoziale Hilfebedarfe entstehen. Daher sollten mittel- und langfristig unterschiedliche Angebote zur Verfügung stehen: Bei psychischen Traumafolgestörungen sollten ärztliche und psychologische psychotherapeutische Interventionen bzw. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (mit dem Schwerpunkt Traumatherapie) vermittelt und angeboten werden. Gleichzeitig oder unabhängig davon kann der Bedarf entstehen, psychosoziale Hilfen in Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und/oder Ämtern (psychosoziale Beratungsstellen, Sozial-, Gesundheits- und Versorgungsämter, Selbsthilfegruppen etc.) neben der sozialen Unterstützung im Alltag in Anspruch zu nehmen.
Maßnahmen der PSNV für Einsatzkräfte (PSNV-E)
In analoger Weise sind auch die PSNV-Maßnahmen für die Einsatzkräfte gestuft. Eine größere Bedeutung kommt hier allerdings der Einbettung in den Gesundheits- und Arbeitsschutz und die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber mit den entsprechenden internen Ressourcen und Diensten zu: Psychosoziale Kompetenzen der Führungskräfte, Peers sowie psychosoziale und medizinische Dienste. Für die Einsatzkräfte sind Maßnahmen umfassender alltagsbezogener psychosozialer Gesundheitsförderung und Prävention im Kontext eines integrierten betrieblichen Gesundheitsmanagements (Betriebliche Gesundheitsförderung) vereinbart, in das die Vorbereitung auf belastende Einsätze integriert ist (BBK, 2011).
Psychosozial besonders belastende Einsätze sollten in Form einer zurückhaltenden Anwesenheit von Peers (kollegialen Ansprechpartnern) und psychosozialen Fachkräften begleitet werden (Einsatzbegleitung). Zwei und mehr Wochen nach dem extrem belastenden Einsatz sollten nach einer entsprechenden Bedürfnis- und Bedarfserhebung Einzelberatungs- und Gruppennachsorgegespräche auf freiwilliger Basis angeboten werden. Belastete Einsatzkräfte, die daran nicht teilnehmen, können auch im Rahmen der nachgehenden Fürsorge von Vorgesetzten und Peers erreicht werden. Auch hier sollen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und verfügbaren personalen und sozialen Bewältigungsressourcen in privaten und kollegialen sozialen Netzwerken weiterführende Hilfebedarfe eruiert und vermittelt werden (BBK, 2011).
Strukturelle Komponenten der PSNV
Neben den PSNV-Angeboten umfasst die PSNV-Gesamtstruktur alle Akteurinnen und Akteure sowie Anbieter, die beteiligten Organisationen, die politischen, professionellen und ehrenamtlichen Organisationsformen und -strukturen dieser Angebote sowie rechtliche Regelungen. Diese bilden den strukturellen Rahmen für die konkreten PSNV-Maßnahmen. Mittlerweile können auch Leitlinien und anbieter- bzw. organisationsübergreifende Vereinbarungen zu Ausbildungscurricula und Arbeitsprinzipien zum fachlichen Rahmen der PSNV gezählt werden (Bengel u. a., 2019; ASB u. a., 2012; Bund-Länder-Arbeitsgruppe PSNV polizeilicher Einsatzkräfte, 2016).
Auf Länderebene wurden die bundesseitig erarbeiteten Empfehlungen zur Einbindung der PSNV in die Führungsorganisation (mit landesspezifischen Adaptationen) übernommen. PSNV-Führungskräfte werden als Dienstleistung des Bundes für die Länder in der dem BBK zugehörenden Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) qualifiziert (Mähler, Hofinger, Künzer, Zinke & Kather, 2019). Nach größeren Notlagen (überregional, große Anzahl an Betroffenen etc.) mit anhaltendem PSNV-Bedarf kann über den Gefahrenabwehreinsatz hinaus eine anlassbezogene Koordinierungsstelle PSNV in der Verantwortung des Bundeslandes eingerichtet werden, die mindestens bis über den ersten Jahrestag des Ereignisses hinaus alle erforderlichen Hilfen koordiniert. Hier ist eine enge Kooperation mit dem Gesundheitsressort und seinen Angeboten der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Regelversorgung erforderlich. Darüber hinaus sind je nach Ereignis (z. B. bei Terroranschlag, Amoklauf an Schulen, Bahnunglück, Busunglück, Flugzeugabsturz, Terroranschlag, Auslandsunglück) Kooperationen mit weiteren Ressorts erforderlich (Bildung, Verkehr, Justiz, Auswärtiges) (Beerlage, Hering & Nörenberg, 2006; BBK, 2011).
Auch für die Organisation der PSNV im Vorfeld sind mittlerweile in allen Bundesländern Landeszentralstellen PSNV (LZSt PSNV) oder Ansprechpartner PSNV etabliert worden. Sie fungieren als Knotenpunkte der Information und Vernetzung auf Landesebene. Als Ansprechstellen in den organisationsübergreifenden und föderalen politischen Strukturen von Bund und Ländern bereiten sie leistungsfähige Kooperationsstrukturen im Vorfeld vor, stellen die vertikale Vernetzung mit den Ministerien auf Landes- und Bundesebene sicher und fördern die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung. Im Ereignisfall können sie die anlassbezogene Koordinierungsstelle PSNV unterstützen oder (in einzelnen Bundesländern) deren Funktion nach gesonderter anlassbezogener Beauftragung übernehmen.
Die Perspektiven und Empfehlungen des BBK-Konsensusprozesses haben Eingang gefunden in die S2k-Leitlinie „Akuttrauma“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachverbände (AWMF) (Bengel u. a., 2019). Sie richten sich nicht nur an approbiertes ärztliches und psychologisches Personal, sondern auch an ehrenamtliche Kräfte der psychosozialen Akuthilfe und weiterer Hilfesysteme. Die zentralen Begrifflichkeiten der Angebote wurden aufgenommen in die DIN-Norm 13050:2015-04 (Begriffe im Rettungswesen).
Die Maßnahmen der PSNV-E sind im Arbeitsschutzgesetz sowie dem SGB VII rechtlich verankert und wurden in die Selbstverpflichtungen der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF), des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) und der Hilfsorganisationen übernommen. Die Maßnahmen der PSNV-B sind jedoch noch nicht gesetzlich verankert, so dass die Anbieter der Psychosozialen Akuthilfe (Notfallseelsorge, Krisenintervention und Notfallpsychologie) trotz belegter „Not-Wendigkeit“ noch ohne spezifische Rechtsgrundlage agieren. In einzelnen Bundesländern (z. B. Bayern, Thüringen, Berlin) sind daher Psychosoziale Notfallversorgungsgesetze in Vorbereitung (Stand 04/2021).
Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung auf andere Handlungsfelder mit Traumatisierungspotential
Während die aus gesundheitspsychologischen und psychotraumatologischen Rahmentheorien und Daten abgeleiteten Handlungsprinzipien der bedürfnis- und bedarfsgerechten, ressourcenkomplementären, gestuften und interdisziplinären Maßnahmen auf extreme Belastungen, Notfallerfahrungen bzw. potenziell traumatisierende Ereignisse in anderen Settings übertragen werden können, sind die strukturellen Komponenten der PSNV aus dem Kontext der Gefahrenabwehr nicht einfach auf andere Kontexte zu übertragen. Gegenwärtig (Stand 2021) wird die Übertragbarkeit auf innerklinische Krisenhilfen in der medizinischen Versorgung (insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie), auf Maßnahmen für Betroffene nach Terroranschlägen im System der Justiz, auf Krisenhilfen in Bildungskontexten und das Bedrohungsmanagement in allen Arbeits- und Bildungskontexten intensiv diskutiert. Die jeweiligen System-Spezifika müssen dabei zukünftig berücksichtigt und die Durchführung der Maßnahmen unter anderen Systembedingungen evaluiert werden. Ohne die Vereinbarung klarer struktureller, rechtlich und politisch verankerter Regelungen und gemeinsamer Standards – das hat der Prozess der Entwicklung der PSNV gezeigt – können Maßnahmen nicht dauerhaft und erfolgreich implementiert, koordiniert und fachlich weiterentwickelt werden (Beerlage, 2021).
Internationalisierung
In die Leitlinienentwicklung wurden bis 2008 bestehende internationale Leitlinien einbezogen und vor dem Hintergrund des theoretischen Rahmenmodells auf ihre Übertragbarkeit geprüft (Beerlage, 2009). Zudem waren Vertreter der ebenfalls föderal strukturierten deutschsprachigen Nachbarländer Österreich und Schweiz unmittelbar in den Konsensusprozess einbezogen (BBK, 2011). Dort sind auch – zumindest bezogen auf die Akutphase – vergleichbare Psychosoziale Notfallversorgungs-Strukturen etabliert. In der Folgezeit haben auch – nicht zuletzt aufgrund gegebener Anlässe, bei denen deutsche Bundesbürger zu den Notfallbetroffenen zählten – fachliche Austauschprozesse mit anderen Ländern stattgefunden, z. B. mit Frankreich und Luxemburg. Im Rahmen des von der EU-geförderten Projektes „European Guideline for Target Group – Oriented Psycho-Social Aftercare Implementation“ (Vymetal, Bering, Diestler, Rooze, Schedlich, Zurek & Orengo, 2011) wurden auch zielgruppenspezifische Manuale unter breiter europäischer Beteiligung entwickelt. In diesem Kontext vernetzte das europäischen Forschungsprojekt EUNAD-IP (European Network for Psychosocial Crisis Management – Assisting Disabled in Case of Disaster; BBK, 2017) Expertisen aus Österreich, Tschechien, Norwegen sowie Dänemark und bezog unter der Federführung des BBK Experten aus Israel, Spanien, Luxemburg und den Niederlanden ein. PSNV-Leitlinien für den gesamten Schengen-Raum bzw. die Europäische Union existieren noch nicht, was nicht nur mit den unterschiedlichen Strukturen in der Gefahrenabwehr und psychosozialen Versorgung, sondern auch durchaus mit berufsständischen Kontroversen erklärt werden kann.
Ausblick
Der Entwicklungsprozess der PSNV ist noch nicht abgeschlossen. Erforderlich sind umfassende Evaluationen der Maßnahmen und der Leistungsfähigkeit der Strukturen. Insbesondere ist der Generationenwechsel gelingend zu gestalten: das Erfahrungswissen der Pionierinnen und Pioniere in Notfallseelsorge und Krisenintervention sowie das gesundheitswissenschaftliche Begründungswissen für die entstandenen Strukturen sollten trotz notwendiger Weiterentwicklungen nicht verloren gehen. Wünschenswert wäre auch, dass die Gesundheitsförderung mit ihrem Menschenbild, ihrem Bildungs- und Veränderungsansatz (Settingansatz/Lebensweltansatz) sich in die Förderung der Psychosozialen Notfallkompetenz der Bürgerinnen und Bürger einbringen, damit auch diese in Notfallsituationen bereitwillig, unerschrocken und kompetent emotionale Unterstützung leisten können.
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Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BdP): www.bdp-verband.de
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK): www.bbk.bund.de/DE/Home/home_node.html
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW):www.thw.de/DE/Startseite/startseite_node.html
Bundesvereinigung Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e.V.: www.sbe-ev.de
Johanniter Unfallhilfe e. V.: www.johanniter.de
Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG): www.dlrg.de
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Deutsches Rotes Kreuz (DRK): www.drk.de
Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT): www.degpt.de
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Verweise:
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