Public Health Action Cycle / Gesundheitspolitischer Aktionszyklus
Susanne Hartung , Rolf Rosenbrock
Zitierhinweis: Hartung, S. & Rosenbrock, R. (2022). Public Health Action Cycle / Gesundheitspolitischer Aktionszyklus. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Der Public Health Action Cycle ist ein idealtypisches Vier-Phasen-Modell, das zur theoretischen Analyse sowie zur Planung, Umsetzung und Bewertung von Gesundheitsinterventionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen einsetzbar ist – von der Intervention mit Projektcharakter bis zur politischen Gesamtstrategie. Der Public Health Action Cycle wird im deutschsprachigen Raum auch als Gesundheitspolitischer Aktionszyklus bezeichnet.
Schlagworte
Gesundheitspolitik, Gesundheitsförderung, Qualitätsentwicklung, Evaluation, Prävention
Der Public Health Action Cycle (PHAC) wird in unterschiedlichsten Bereichen angewendet, u. a. in der Gesundheitspolitik, der gesundheitsförderlichen Settingentwicklung (Betrieb, Kita, Schule, Kommune etc.), der Interventionsentwicklung sowie in der Qualitätsentwicklung im Kontext von Gesundheitsförderung und Prävention. Beispiele für seine Anwendung in der Qualitätsentwicklung sind Qualitätsentwicklungsinstrumente wie „quint-essenz“ oder „Partizipative Qualitätsentwicklung“.
Der Public Health Action Cycle umfasst vier Phasen (Abb. 1):
- Problembestimmung: Definition und Bestimmung des zu bearbeitenden Problems
- Strategieformulierung: Konzipierung und Festlegung einer zur Problembearbeitung geeignet erscheinenden Strategie und daran anschließender Ziele und Maßnahmen
- Umsetzung: Durchführung der definierten Maßnahmen
- Bewertung: Prüfung der Ergebnisse und erzielten Wirkungen
Wird das Ergebnis der Bewertung mit der ursprünglichen Problembestimmung in Beziehung gesetzt, so kommt es zu einer neuen Problembestimmung. Dann wiederholt sich der Zyklus und wird zur Lernspirale. Der Public Health Action Cycle ist ein idealtypisches Modell, dessen Phasen in der Realität nicht immer trennscharf sind und in dieser idealtypischen Reihenfolge durchlaufen werden.
Ursprünglich wurde der Public Health Action Cycle 1988 vom US-amerikanischen Institute of Medicine entwickelt. Ausgangspunkt war eine Studie zu den Public Health-Aufgaben des Staates und seinem diesbezüglichen Vorgehen (Institute of Medicine 1988). In den 1990er Jahren wurde der Public Health Action Cycle auch in Deutschland aufgegriffen (Rosenbrock 1995) und für das Feld der Gesundheitspolitik eingesetzt (Rosenbrock & Gerlinger 2014). Frühzeitig genutzt wurde das Vier-Phasen-Modell auch in der Qualitätsentwicklung und zudem für die strategische Planung von Projekten im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung weiterentwickelt (Ruckstuhl, Somaini & Twisselmann 1997; Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement).
Die Anwendung des Modells wird im Folgenden beispielhaft anhand der Gesundheitspolitik aufgezeigt. Denn durch die Anwendung des Public Health Action Cycle lassen sich Antworten auf die wichtigen Leitfragen der Gesundheitspolitik erarbeiten (Rosenbrock & Gerlinger 2014, S. 30):
- Welche Problematiken wie Gefährdungen und Erkrankungen sollen und können mit der Gesundheitspolitik bearbeitet werden? (Problembestimmung)
- Welche Ziele sollen mit welchen Akteurinnen und Akteuren und Instrumenten erreicht werden? (Strategieformulierung)
- Wie kann die Anwendung der Interventionsinstrumente sichergestellt werden? (Umsetzung)
- Welche Wirkungen hat die Gesundheitspolitik – sowohl gesundheitliche als auch andere? (Bewertung)
Der große der Wert dieses Modells liegt darin, dass es nicht nur Diskussionen und Planungsprozesse strukturiert, sondern auch die Vorteile sowie die Notwendigkeit der Planung und Systematik gesundheitspolitischen Handelns für die Beteiligten verdeutlicht. Zudem können durch einen Vergleich unterschiedlicher Antworten auf die Leitfragen unterschiedliche Muster der Problembearbeitung identifiziert werden. Diese Muster können dann z. B. im Hinblick auf Effektivität, Chancengleichheit und Effizienz (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit) analysiert, verglichen und bewertet werden. So kann beispielsweise zwischen verhaltenspräventiven Maßnahmen und Setting-Interventionen oder zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Interventionen begründet abgewogen werden. Damit erfüllt der Public Health Action Cycle wichtige erkenntnisleitende Funktionen für Politik, Praxis und Forschung.
Beachten von Interessen- und Machtkonstellationen und das Mitdenken der Erprobung
Die Interessen- und Machtkonstellationen im Interventionsfeld müssen bei der Anwendung des Public Health Action Cycles beachtet und mitgedacht werden, denn sie beeinflussen häufig bereits die Auswahl der zu bearbeitenden Gesundheitsprobleme, ihre Ursachenzuschreibungen sowie Dimensionierungen. Zusätzlich können Problemdruck und Messprobleme, d. h., dass bestimmte Aspekte noch nicht umfänglich erfasst werden können, die Durchführung von Strategien nach politischen Interessen erzwingen, bevor eine vollständige Problem- bzw. Bedarfsbestimmung möglich ist. Der Public Health Action Cycle verortet die politischen Prozesse, durch die ein als gesundheitlich relevant wahrgenommenes Problem als gesundheitspolitisches Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt wird (Agenda Setting), implizit in der Phase der Problembestimmung. Zur Auseinandersetzung mit den politischen Prozessen des Agenda Settings bietet die Politikwissenschaft weiterführende Konzepte und Forschungsergebnisse (Jann & Wegerich 2014).
Rosenbrock und Gerlinger (2014) merken zudem an, dass in der Darstellung des Public Health Action Cycles keine eigene Phase der Erprobung eingeschlossen ist, wie sie sich in dem aus der industriellen Qualitätssicherung stammenden Deming-Cycle (plan – act – check – do) findet. Die Phase „act“ meint hierbei das Ausprobieren der Neuerung an einem einzelnen Arbeitsplatz gefolgt von „check“ als der Überprüfung und „do“ als der breiten Einführung der entwickelten Neuerung. Die Erprobung ist im Public Health Action Cycle stattdessen breiter angelegt und in der Darstellung als Lernspirale umgesetzt, da ein erstes Durchlaufen aller vier Phasen eine Erprobung (z. B. Modellversuch) impliziert, an die sich im zweiten Durchlaufen des Aktionszyklus die breitere Umsetzung anschließen kann.
Gesundheitspolitik in der COVID-19-Pandemie – eine beispielhafte Darstellung nach dem PHAC
Die Phasen des Public Health Action Cycles entsprechen nicht unbedingt zeitlich exakt aufeinander folgenden und trennscharfen Phasen des Politikprozesses und spiegeln die realen Abläufe nur idealtypisch wider. Deutlich wird dies an realen Beispielen der Gesundheitspolitik wie dem Umgang mit COVID-19, der an dieser Stelle nur für den Beginn in 2020 – und auch nur sehr verkürzt – vorgestellt wird (eine ausführlichere Darstellung findet sich in Rosenbrock & Gerlinger 2022).
Im Frühjahr 2020 stand die Gesundheitspolitik in Deutschland vor der Herausforderung, auf die durch den Corona-Virus SARS-CoV-2 ausgelöste Pandemie zu reagieren. Dabei sollten die politischen Maßnahmen so weit als möglich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und sowohl gesundheitswissenschaftlichen als auch ethischen Kriterien der Prävention und Gesundheitsförderung entsprechen.
Die Problembestimmung, als erste Phase des PHAC, fiel in das Frühjahr 2020, als der Corona-Virus Europa erreichte, sich rasch ausbreitete und die dramatischen Folgen von Infektionen u. a. in Italien, Spanien und Frankreich sichtbar wurden. In dieser Phase des PHAC soll das Problem in seinen wesentlichen Eigenschaften analysiert werden, um geeignete Strategien sowie Maßnahmen der Prävention, der Krankenversorgung und für weitere gesellschaftliche Bereiche abzuleiten. Das Problem entsteht aus dem Zusammenspiel der Eigenschaften des Virus und der sozialen und gesundheitlichen Zusammensetzung der Bevölkerung.
Auf der Basis eines zu Beginn der Pandemie noch lückenhaften Wissens über das Infektionsgeschehen des neuartigen Corona-Virus musste eine Strategie gewählt werden, die möglichst wirksam die Pandemie eindämmt und die dabei gleichzeitig möglichst wenige unerwünschte soziale Wirkungen hat, z. B. auf den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, die Kultur sowie die Lebensbedingungen der Menschen insgesamt.
Aufgrund des massiven Drucks, der durch das internationale Infektionsgeschehen entstand, und entsprechender Modellrechnungen für Deutschland, wurde die Strategie „Hammer und Tanz“ („Hammer and Dance“) (Pueyo 2020) gewählt. Der „Hammer“ ist als starke soziale Distanzierung durch Lockdown zu verstehen, der Tanz beschreibt die Maßnahmen, die die Inzidenz von Infektionen geringhalten sollen, z. B. Kontaktnachverfolgung, Quarantäne und Testungen. Die Strategie sollte den Weg bis zur Impfung vorgeben, die wiederum aus der Pandemie herausführen sollte. Um das Präventionsziel zu erreichen, wurde es als unabdingbar angesehen, dass Politik und Bevölkerung zusammen agieren und verhältnisgestützte Verhaltensprävention gelingt. Dafür wurde u. a. das Mittel der Kampagne eingesetzt als eine Kombination von Maßnahmen, um gesundheitsbezogene Ziele auf Bevölkerungsebene und in Bezug auf Teilgruppen zu erreichen.
In der Umsetzungsphase im Frühjahr 2020 wurden die realisierten Maßnahmen zum Infektionsschutz von einer Reihe von sozialen Unterstützungsmaßnahmen begleitet wie z. B. Kurzarbeitergeld für Unternehmen und Einrichtungen, die von coronabedingten Einkommensverlusten betroffen waren.
Die Bewertung der getroffenen Maßnahmen zum Infektionsschutz konnte und kann fortlaufend über die verfügbaren Daten der Infektionen, Erkrankungen und der an einer COVID-19-Infektion gestorbenen Menschen erfolgen. Einzubeziehen waren und sind hierbei auch die im Zeitverlauf seit 2020 deutlicher werdenden unerwünschten Wirkungen der Pandemiebekämpfung z. B. die durch das Freihalten von Krankenhausbetten verschobenen Behandlungen, die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche aufgrund der sozialen Isolation im Lockdown und Homeschooling sowie die psychischen Folgen von Existenzängsten und Arbeitslosigkeit.
Umsetzung und Bewertung können keine strikt getrennten Phasen eines gesundheitspolitischen Prozesses sein. Insbesondere in einer Pandemie erfolgen sie in einem beständigen Wechsel und führen zu Korrekturen der beschlossenen Strategie und umgesetzter Maßnahmen. Eine abschließende Evaluation der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in Bezug auf die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Auswirkungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen kann es erst nach Beendigung der Pandemie geben, die aktuell noch aussteht. Dann wird der PHAC als Lernspirale mehrmals durchlaufen sein.
In der ausführlicheren Betrachtung der Gesundheitspolitik zur Bekämpfung der Pandemie wird deutlich, dass, wie Rosenbrock und Gerlinger es formulieren, „der PHAC zwar die sachlogische Entwicklung einer rationalen Antwort der Gesundheitspolitik modelliert und insofern auch als normative Anforderung an die Gesundheitspolitik gelten kann. Allerdings weichen die tatsächlichen Prozesse der Problembearbeitung im Vieleck von staatlichen Akteuren, beteiligten Wissenschaftsdisziplinen, Wirtschaftsunternehmen, Medien und der Bevölkerung in vielen Fällen von diesem Leitbild ab – aufgrund der Wirkungen von Partikularinteressen, von normativ-ideologischen Einstellungen, von wahrgenommenen oder tatsächlichen Handlungseinschränkungen, von unzureichendem Wissen oder anderen Faktoren.“ (Rosenbrock & Gerlinger 2022)
Fazit
Festzuhalten bleibt, dass der Public Health Action Cycle als Modell helfen kann, Prozesse in verschiedenen Bereichen gesundheitlichen Handelns zu steuern. Gute Beispiele für die Umsetzung finden sich u. a. auf den Ebenen der kommunalen und landespolitischen Gesundheitspolitik z. B. in Sachsen-Anhalt (Gesundheitskonferenzen). In der Qualitätsentwicklung, aber auch in der Entwicklung von Maßnahmen und Projekten im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung wird er erfolgreich angewendet. Sein Einsatz insbesondere in der Gesundheitspolitik (wenn auch nicht ausschließlich dort) erfordert allerdings eine kontinuierliche kritische Reflexion der Voraussetzungen und Rahmenbedingungen seiner Anwendung durch die beteiligten Akteurinnen und Akteure. Rein technokratisch als ein von Interessen und Werten z. B. der Gesundheitsförderung unabhängiges Instrument sollte er nicht angewendet werden.
Literatur:
Institute of Medicine (1988). The Future of Public Health. Washington, National Academy Press.
Jann, W. & Wegrich, K. (2014). Phasenmodelle und Politikprozesse: Der Policy Cycle. In K. Schubert & N. C. Bandelow (Hrsg.). Lehrbuch der Politikfeldanalyse (S. 97−131). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.
Pueyo, T. (2020). Coronavirus: The hammer and the dance. What the next 18 months can look like, if leaders buy us time. Zugriff am 09.12.2021 unter https://tomaspueyo.medium.com/coronavirus-the-hammer-and-the-dance-be9337092b56.
Rosenbrock, R. (1995). Public Health als soziale Innovation. Das Gesundheitswesen, 57(3), 140−144.
Rosenbrock, R. & Gerlinger, T. (2022). Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung. Bern: Huber.
Rosenbrock, R. & Gerlinger, T. (2014). Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung. Bern: Huber.
Ruckstuhl, B., Somaini, B. & Twisselmann, W. (1997). Förderung der Qualität in Gesundheitsprojekten. Der Public Health Action Cycle als Arbeitsinstrument. Herausgegeben vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin Zürich, Bundesamt für Gesundheit. Zugriff am 12.05.2021 unter www.quint-essenz.ch/de/files/Foerderung_der_Qualitaet.pdf.
Internetadressen:
GKV-Bündnis für Gesundheit www.gkv-buendnis.de
Partizipative Qualitätsentwicklung: www.pq-hiv.de/de/kapitel/partizipative-qualitaetsentwicklung
quint-essenz Gesundheitsförderung Schweiz www.quint-essenz.ch
Verweise:
Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Gesundheitskonferenzen, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement