Zielgruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

Stephan Blümel , Frank Lehmann , Susanne Hartung

(letzte Aktualisierung am 14.02.2024)

Zitierhinweis: Blümel, S., Lehmann, F. & Hartung, S. (2024). Zielgruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i128-2.0

Zusammenfassung

Damit Gesundheitsförderung effektiv wirken kann, müssen ihre Maßnahmen zielgruppengerecht formuliert und implementiert werden. Eine Zielgruppe wird nicht ausschließlich durch ein jeweiliges Risiko definiert, sondern anhand einer Reihe sozio-ökonomischer Merkmale bestimmt. Sie soll auf die Entwicklung von Zielen, Inhalten und Umsetzungsstrategien Einfluss nehmen können, wobei ihnen im Idealfall von der Projektleitung Entscheidungsmacht übertragen wird (Partizipation). Dadurch soll sich ihre Rolle und Selbstdefinition von Ausführenden vorgegebener Maßnahmen hin zu aktiv Gestaltenden entwickeln. So lassen sich Maßnahmen glaubwürdig in spezifischen Lebenswelten verankern. Entsprechend sorgfältig müssen auch Mittlerinnen und Mittler ausgewählt werden, die im Setting als kompetent und glaubwürdig gelten. Ihre Aufgabe ist der Transfer und die Verbreitung gesundheitsfördernder Maßnahmen in einer Zielgruppe, wobei sie als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Botschaft des Absenders bzw. der Absenderin lediglich weitergeben, während sie als Mediatorinnen und Mediatoren zwischen Absender- und Empfängerseite vermitteln.

Schlagworte

Zielgruppe, Partizipation, Multiplikatorin, Multiplikator, Mediator, Mediatorin, Mittlerin, Mittler


Definition Zielgruppe

Ursprünglich aus der Kommunikationswissenschaft stammend, definiert der Begriff Zielgruppe eine Gruppe von Menschen, an die sich Marketing- und Aufklärungsmaßnahmen richten. Ziel dieses Ansatzes in der Gesundheitsförderung und Prävention ist es, ausgewählte Bevölkerungsgruppen mit gemeinsamen Merkmalen oder in ähnlichen Lebensphasen und Lebenswelten (wie Alter, soziale Lage, Arbeitsplatz, Schule, erhöhtes Risiko) gezielter mit spezifischen Angeboten und Botschaften unter Einbindung verschiedener Trägerorganisationen bzw. Akteurinnen und Akteure zu erreichen (Quint-Essenz Gesundheitsförderung Schweiz 2010; BMG 2023).

Der Begriff Zielgruppe wird jedoch in der Fachöffentlichkeit kritisiert, da er die gewünschte Partizipation der Adressatinnen und Adressaten von Gesundheitsbotschaften nicht berücksichtige. Es werde auf eine Gruppe gezielt, und weniger gemeinsam ein Ziel entwickelt (Mielck 2014). Dies sollte im Folgenden für alle Erläuterungen berücksichtigt werden: Viele der Anforderungen einer erfolgreichen Gesundheitsförderung sollten mit den Zielgruppen auf Augenhöhe ermittelt und erreicht werden. In diesem Sinne sind sie Ansprechpersonen und/oder Kooperationspartnerinnen und -partner. Altgeld (2020) hat daher den Begriff „Zielgruppe“ in seinem Stufenmodell der Gesundheitsförderung in Settings durch „Dialoggruppe“ ersetzt. In Dialoggruppen steht das dialogische Prinzip, d. h. die „gemeinsame Problemdefinition im Vordergrund statt dem Übermitteln von Botschaften oder Abspulen von Programmen“ (ebd., S. 18).

Auch aufgrund empirischer Ergebnisse (u. a. Funk, Schaefer & Kolip 2019) kann davon ausgegangen werden, dass Projekte wirkungsvoller und nachhaltiger sind, wenn die angesprochenen Menschen aktiv in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Partizipation, als eines der Kriterien guter Praxis des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2021b) bedeutet, dass die Menschen, die von den Maßnahmen der Gesundheitsförderung profitieren sollen, von Planungsbeginn über die Umsetzung bis hin zur Bewertung der Maßnahme beteiligt werden. Dabei haben die partizipierenden Menschen Einfluss auf die Entscheidungen in möglichst allen Phasen der gemeinsamen Entwicklung und Gestaltung der Maßnahmen (Hartung & Wihofsky 2022).

Definition Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können Personen oder Institutionen sein, die gesundheitsförderliche Fachinformationen, Strategien und Kompetenzen innerhalb einer Gruppe oder Gemeinschaft vermitteln und fördern. Sie haben eine wichtige Transferfunktion, indem sie die Reichweite von Wissen und Erfahrungen erhöhen, Maßnahmen in der Praxis etablieren und die Nachhaltigkeit von Veränderungen unterstützen. Mit entsprechender Qualifizierung können sie beispielsweise Beratungen und Veranstaltungen durchführen und auch Gruppen anleiten.

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können sowohl Professionelle (z. B. Lehrkräfte, ärztliches und sozialarbeiterisches Personal) als auch Peers sein. Die letztgenannten finden als akzeptierte und glaubwürdige Zielgruppenmitglieder mitunter besser Zugang zu Gruppen als Professionelle (Fonds Gesundes Österreich o. J.; Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit 2021a). Hierzu gehören auch Personen, die aufgrund beispielsweise ihres Migrationshintergrundes, ihrer Situation als Beeinträchtigte, ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung oder anderen Eigenschaften einen guten Zugang zu Zielgruppen haben.

Die Begriffe Zielgruppe und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden in der Praxis häufig nicht so klar wie in den vorgestellten Definitionen unterschieden. Der Begriff Zielgruppe wird häufig weiter gefasst verwendet: Zielgruppen können nicht nur diejenigen sein, bei denen Akteurinnen und Akteure der Prävention und Gesundheitsförderung Veränderungen von gesundheitlichen Einstellungen und Verhalten anstreben (z. B. bei Schülerinnen und Schüler) oder deren Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert werden sollen, sondern auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Dies können beispielsweise Lehrende sein, an die sich Arbeitshilfen mit Sachinformationen und Vorschlägen für die Unterrichtsgestaltung richten.

Merkmale von Zielgruppen

Zur Identifizierung von Zielgruppen werden vielfältige Merkmale herangezogen (Tab. 1).

Zielgruppen­merkmale

Zielgruppen

Geschlecht/sexuelle Orientierung und Identität

Männer, Frauen, LGBTI* etc.

Alter

Kinder, Jugendliche, alte Menschen etc.

Lebenssituation und Lebenslage (Lebenslagen und Lebensphasen)/soziale LageArbeitslose, Alleinstehende, Alleinerziehende, Migrantinnen und Migranten, sozial benachteiligte Gruppen etc.

Lebensstile

Konsum-, Spaß-, Gesundheitsorientierte etc.

Konsum-/Verhaltensgewohnheiten

Raucherinnen und Raucher, Fast-Food-Konsumierende, Alkoholkonsumierende, Suchtmittelkonsumierende etc.

Formen des Beteiligtseins

Betroffene, Angehörige, Freunde, Bekannte etc.

Regionale und Standortmerkmale

Mitarbeitende eines Betriebes, Bewohnerinnen und Bewohner eines Landkreises, einer Stadt, eines Landes, Gebietes mit besonderem Entwicklungsbedarf (Kommunale Gesundheitsförderung) etc.

Bestimmte Interessen und Wünsche

Gesundheitsbewusste Menschen; Menschen, die abnehmen möchten; Menschen, die Anerkennung, Schönheit etc. suchen; Menschen, die sich in bestimmten Phasen der Verhaltensänderung befinden, z. B. ihr Verhalten innerhalb der nächsten 30 Tage ändern möchten (Erklärungs- und Veränderungsmodelle II: Stufen und Phasen von Planungs- und Veränderungsprozessen)

Bestimmte Gesundheitsrisiken

Übergewichtige, weitere Risikofaktorenträgerinnen und Risikofaktorenträger

Bestimmte Tätigkeiten und Funktionen

Hausfrauen/Hausmänner, Lehrende, Lernende, Erziehende, Eltern, ärztliches Personal, Patientinnen und Patienten etc.

Tab. 1: Merkmale für die Zielgruppenbildung (Beispiele) (Quelle: Lehmann & Sabo 2003, S. 243 ergänzt)
* LGBTQI* ist eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer and Intersexual (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer und intersexuell).

Die Wirksamkeit einer Maßnahme hängt mit davon ab, wie genau und wie umfassend eine Zielgruppe definiert wird. Je differenzierter sie beschrieben ist, umso effektiver können Zielgruppenansprache und Zielgruppenarbeit erfolgen. Dies ist allerdings mit einem höheren Aufwand verbunden: Wenn beispielsweise Konsumentengruppen differenziert nach Suchtmitteln adressiert werden sollen, erfordert dies mehr Ressourcen als bei einer weniger differenzierten Zielgruppenansprache.

Bei der Definierung von Zielgruppen kommt es darauf an, die richtige Balance zwischen Differenziertheit und Allgemeinheit herzustellen. Differenziert werden muss auch nach der Art der Maßnahme: Durch Massenmedien lässt sich in erster Linie Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Problem bei vielen Menschen generieren. Sollen bestimmte Verhaltensänderungen erreich werden, sind die individuelle Beratung bzw. Ansprache von Einzelnen mit Berücksichtigung ihrer speziellen Situation, ihren Erfahrungen und Eigenschaften am effektivsten. Soll vor allem Breitenwirksamkeit oder Einfluss auf die öffentliche Meinung erzielt werden, können mit Mitteln der Massenkommunikation viele Personengruppen angesprochen werden.

Möchte man das Optimum an beidem erreichen (möglichst viel Veränderung bei möglichst vielen Personen und geringen Kosten), muss ein gut abgestimmter und möglichst vorher erprobter Methodenmix eingesetzt werden, bei dessen Entwicklung das Partizipationsprinzip zentral ist. Beispielsweise kann es wichtig sein, Kindern und Jugendlichen zur Förderung ihrer Rechte die Beteiligung an Projekten, Vorhaben und Leistungen in verschiedenen Stufen zu ermöglichen, die von Mitsprache und Mitwirkung über Mitbestimmung bis hin zur Selbstbestimmung reichen (BMFSJ 2015, S. 8). Für schulische Lehr- und Lernprozesse bedeutet das zum Beispiel: „Die Schülerinnen und Schüler wirken aktiv an der methodischen und inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts und der außerunterrichtlichen Angebote mit. Sie werden bei der Notengebung einbezogen. Schülerprojekte, deren eigenverantwortliche Gestaltung, aktives Engagement und Initiativen werden weitreichend angeregt und gefördert.“ (ebd., S. 21)

Anspruch auf Beteiligung/Partizipation

Mit dem Präventionsgesetz (§ 20 SGB V) wurde der Anspruch auf Beteiligung der Zielgruppe(n) im Prozess der Gesundheitsförderung in den verschiedenen Lebenswelten sozialrechtlich verankert.

Wird Beteiligung als Partizipation im Prozess der Gesundheitsförderung ernstgenommen, zeigt sich allerdings die Problematik des Zielgruppenbegriffs: Wer Zielgruppe einer Maßnahme ist, wird meist aufgrund von Daten der Gesundheits- und Sozialberichterstattung festgelegt. Wird der Partizipationsgedanke (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) im Verlauf der Vorbereitung, Durchführung und Bewertung einer Maßnahme in der Form von Entscheidungsteilhabe umgesetzt, kann der von den Akteurinnen und Akteuren der Prävention und Gesundheitsförderung ursprünglich definierte Zielgruppenbegriff mitunter den Anspruch an die Beteiligung der Menschen beeinträchtigen, die von den Maßnahmen profitieren sollen.

D. h. der Begriff Zielgruppe kann zwar für die Identifikation einer Gruppe geeignet sein, aber möglicherweise nicht mehr für die Zusammenarbeit auf Augenhöhe passen. Beispielsweise können die von den in der Gesundheitsförderung tätigen Personen identifizierten Probleme (z. B. Rauchen, Fehlernährung) für Geflüchtete nicht im Vordergrund stehen, solange existentielle Probleme (wie ungesicherter Aufenthaltsstatus, fehlende Arbeitserlaubnis, Asylunterkunft) vordringlich sind. Wenn sich nun Gesundheitsförderinnen und -förderer während der Zusammenarbeit auf die Perspektive der Asylbewerbenden einlassen und diese zunächst bei der Bewältigung ihrer existentiellen Probleme unterstützen, verändert sich sowohl ihre ursprüngliche Rolle (z. B. von Verhaltenstrainerinnen und -trainern zu Vermittelnden von Rechtsberatung) wie die ihrer Zielgruppe (z. B. Rauchentwöhnungsbedürftige zu Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Rechte vertreten).

Beispiele gelingender partizipativer Gesundheitsförderung zeigen, dass der Zielgruppenbegriff wie auch die Partizipation eine zeitliche Dimension haben, da der Zielgruppenbegriff sich parallel zu mehr Partizipation über die Zeit des Prozesses verändert (Hartung 2020). Vor allem in der Umsetzungsphase wird der Begriff der Zielgruppe idealerweise von der Zielgruppe selbst infrage gestellt und ersetzt, z. B. durch „Stadtteilmütter“ statt „Frauen mit Migrationshintergrund“. „Die Änderung der Begrifflichkeit und damit die Wandlung von der Fremd- zu einer Selbstbeschreibung ist als Zeichen für eine gelingende partizipative Zusammenarbeit zu deuten.“ (ebd., S. 742)

Mehrebenenkampagnen

Um bevölkerungsweite Präventionswirkungen zu erzielen, wird eine kontextbezogene Mehrebenenkampagne (Gesundheitskommunikation und Kampagnen) empfohlen, bei der Maßnahmen für drei unterschiedliche Interventionsebenen (Person, Setting/Sozialer Nahraum, Gesellschaft) konzipiert werden. Der hierfür notwendige hoch komplexe und aufwendige Medien- und Maßnahmenmix geht weit über das Verständnis einer medialen Kampagne hinaus, indem er die kontextuellen Rahmenbedingungen für Gesundheitsverhalten im Sinne des Settingansatz/Lebensweltansatz berücksichtigt.

Dieser Ansatz enthält daher u. a. die Ansprache der gesamten Bevölkerung, um gesamtgesellschaftlich ein günstiges Klima für das Erreichen des präventiven Ziels zu schaffen (Bevölkerungsstrategie), kombiniert mit der Ansprache von Teilgruppen, um durch intensive, meist personalkommunikative Maßnahmen jene Zielgruppen mit besonderem Präventions- oder Gesundheitsförderungsbedarf (Hochrisikogruppenstrategie) zu erreichen. Hinzu kommen Health in all Policies-Maßnahmen (Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik/Healthy Public Policy) auf der Bundes-, Länder- und kommunalen Ebene, um die sozialen Determinanten auf die Gesundheit zu beeinflussen.

Im Hinblick auf die Planung, Durchführung und Evaluation zielgruppenorientierter Arbeit in der Gesundheitsförderung kann eine weitere Differenzierung wichtig sein nach

  • Zielgruppen (Bei wem werden Veränderungen angestrebt? [Z. B. Kita-Kinder]),
  • Adressatinnen und Adressaten (Wer muss dafür angesprochen werden? [Z. B. Eltern und Erzieherinnen bzw. Erzieher]) und
  • Empfängerinnen und Empfänger (Wer wird mit einer Maßnahme tatsächlich erreicht? [Z. B. Mütter mit einem bestimmten Bildungshintergrund]).

Die drei Gruppen können, müssen aber nicht identisch sein.

Mögliche Defizite der zielgruppenorientierten Arbeit

In der Gesundheitsförderung wird zielgruppenorientiertes Arbeiten heute erwartet. Dennoch können in der Praxis Defizite auftreten: Eine fehlende Zielgruppenorientierung kann zu einer pauschalen und undifferenzierten Ansprache der Gesamtbevölkerung führen. Es kann auch passieren, dass eine Zielgruppe anhand eines einzigen Risikofaktors (Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell) identifiziert und somit potenziell stigmatisiert wird. Das gilt für alleinige Herkunftsmerkmale wie beispielsweise den Migrationshintergrund (Gesundheitsförderung und Migrationshintergrund), wenn andere ebenfalls bedeutsame Determinanten (wie Bildung, soziale Lage und Milieus, Gender, Alter etc.) nicht berücksichtigt werden. (Hallenberg 2018)

Dabei entsteht das Risiko, scheinbar homogene Bevölkerungsgruppen als „unkooperativ“, „fatalistisch“, „misstrauisch“ gegenüber Institutionen und Handelnden in der Gesundheitsförderung etc. und damit als „schwer erreichbar“ zu diskriminieren. Letztlich ist es jedoch so, dass „die Erreichbarkeit von der angewandten Zugangsmethodik, dem Setting sowie von den Kommunikations- und Zugangskompetenzen der Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen und der Gesundheitsfachkräfte abhängt. Dabei gilt es (…) verstärkt, eigene Zugangsbarrieren zu berücksichtigen und strukturelle Faktoren im Hinblick auf die Erreichbarkeit zu verändern.“ (Borde 2009, S. 22)

Die Rolle der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

In der Gesundheitsförderung tätige Institutionen (insbesondere überregional aktive wie z. B. die BZgA) und Fachkräfte können meist aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen sowie Zugangsmöglichkeiten Zielgruppen nur in begrenztem Umfang direkt erreichen. Sie sind in der Regel auf die Zusammenarbeit mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren angewiesen, die mediale mit personalkommunikativen Aufklärungsmaßnahmen unterstützen (z. B. Gruppengespräche oder individuelle Beratungen).

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können Personen aus Berufsgruppen und Institutionen des Gesundheitswesens sein, oder der Sozialarbeit, Pädagogik sowie Angehörige der Zielgruppen (Meinungsführende und Schlüsselpersonen, „Innovatorinnen und Innovatoren“ im Sinne der Erklärungs- und Veränderungsmodelle 3: Persuasion, Diffusion, Marketing und Medienanwaltschaft). Sie haben eine wichtige Transferfunktion zur Unterstützung und Verstärkung von Absichten und Zielen der Prävention und Gesundheitsförderung:

  • Bei der Kommunikation durch Massenmedien werden sie eingesetzt, um die Verbreitung und Glaubwürdigkeit von Botschaften bei Zielgruppen zu erhöhen (Journalistinnen und Journalisten, Populärwissenschaftlerinnen und Populärwissenschaftler, Intellektuelle etc.).
  • Wie in Abb. 1 dargestellt, vermitteln sie in der personalen Kommunikation Kenntnisse und Einstellungen (Multiplikatorengruppe 1), worauf ihr Aufgabenbereich jedoch nicht begrenzt bleiben muss: Sie können darüber hinaus beschrieben werden als vortrainierte Personen, die ihr Wissen und Können weitergeben, oder auch als Personen mit neu erworbenem gesundheitsförderlichem Verhalten, die ihrerseits als Vorbild wirken und so das erwünschte Gesundheitsverhalten weitertragen (Haisch 1999) (Multiplikatorengruppe 2). Hierzu zählen insbesondere Peers (Peer Education).

Folgende Voraussetzungen müssen bei Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vorliegen, damit sie Botschaften zielgruppengerecht, d. h. lebensweisen- und alltagsnah weitergeben können:

  • Ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen ihnen und dem Absender bzw. der Absenderin der Botschaft (Gesundheitsförderungseinrichtung wie z. B. die BZgA),
  • Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei den Zielgruppenmitgliedern sowie

Daher sind Qualifizierung, begleitende Betreuung und regelmäßiger Austausch notwendig.

Zum Teil werden synonym zum Multiplikatorenbegriff auch Begriffe wie Mediatorinnen und Mediatoren, Drehpunktpersonen oder Schlüsselpersonen verwandt, wobei durch diese Begriffsverwendung auch ein Hinweis auf die jeweilige Rolle gegeben wird. Nach Haisch, Weitkunat & Wildner (1999) sind Mediatoren und Mediatorinnen Vermittelnde und Verbreiter von gesundheitsförderlichem Wissen und Verhalten. Wir schlagen die folgende Sprachregelung vor:

  • Verwendung des Multiplikatorenbegriffs für ein einseitiges Kommunikations- und Marketingkonzept.
  • Verwendung des Mediatorenbegriffs, wenn der Mittler bzw. die Mittlerin nicht nur die Ansichten, Interessen, Bedürfnisse und Wünsche der Absender berücksichtigt, sondern zur Empfängerseite eine vermittelnde Funktion übernimmt.

Drehpunktpersonen haben wie Mediatoren und Mediatorinnen eine vermittelnde Funktion. Sie arbeiten als Scharniere an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Milieus bzw. Beteiligtengruppen (z. B. Streetwork/Aufsuchende soziale Arbeit), etwa zwischen Migrantinnen und Migranten und Behörden oder zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Im Vergleich zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, Mediatorinnen und Mediatoren sowie Drehpunktpersonen sind Schlüsselpersonen wichtige Akteurinnen und Akteure in sozialen Kontexten, z. B. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in einer Einrichtung oder einem Betrieb.

Ein Multiplikatorenkonzept ist ein Kriterium guter Praxis, u. a. in der Gesundheitsförderung bei soziale Benachteiligung (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit) (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2021a). Beispielsweise werden Menschen durch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren mit dem gleichen Migrationshintergrund wirksamer angesprochen. Ein weiteres Beispiel sind Programme für die Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen und Gesundheitsförderung und Schule. Sie gelten dann als vorbildlich, wenn sie Konzepte zur Einbeziehung von Erziehenden und Lehrenden berücksichtigen.

Literatur:

Altgeld, T. (2020). Vielfalt gestalten. Das Diversity Management-Konzept in der Prävention und Gesundheitsförderung. In: BZgA (Hrsg.). Diversität in Medien der gesundheitlichen Aufklärung (S. 10–20). Gesundheitsförderung konkret, Band 24, Köln. Zugriff am 14.02.2024 unter https://shop.bzga.de/pdf/60649231.pdf.

Borde, T. (2009). Migration und Gesundheitsförderung – Hard to reach? Neue Zugangswege für „schwer erreichbare“ Gruppen erschließen. In: BZgA (Hrsg.). Migration und Gesundheitsförderung (S. 18−31). Gesundheitsförderung konkret, Band 12, Köln. Zugriff am 14.02.2024 unter https://shop.bzga.de/pdf/60649120.pdf.

BMFSJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Referat Öffentlichkeitsarbeit (2015). Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Berlin. Zugriff am 14.02.2024 unter www.bmfsfj.de/resource/blob/94118/c49d4097174e67464b56a5365bc8602f/kindergerechtes-deutschland-broschuere-qualitaetsstandards-data.pdf.

BMG − Bundesministerium für Gesundheit (2023). Gesundheitsförderung und Prävention. Zugriff am 14.02.2024 unter www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/ressortforschung/handlungsfelder/gesundheitsfoerderung-und-praevention.

Fonds Gesundes Österreich (o. J.). Multiplikator/innen. Zugriff am 14.02.2024 unter http://fgoe.org/glossar/multiplikator_innen.

Funk, S. C., Schaefer, I. & Kolip, P. (2019): Was fördert die Verstetigung von Strukturen und Angeboten der Gesundheitsförderung? In: Gesundheitswesen 81 (01), S. 38–42. DOI: 10.1055/s-0042-116437.

Haisch, J., Weitkunat, R. & Wildner, M. (Hrsg.) (1999). Wörterbuch Public Health. Bern: Huber.

Hallenberg, G. (2018). Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland – vhw-Migrantenmilieu-Survey 2018. vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. Berlin. Zugriff am 14.02.2024 unter www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/vhw-schriftenreihe-tagungsband/PDFs/vhw_Schriftenreihe_Nr._10_Migrantenmilieu-Survey_2018.pdf.

Hartung, S. (2020). Partizipation von Zielgruppen in der Prävention und Gesundheitsförderung. In: O. Razum & P. Kolip (Hrsg.). Handbuch Gesundheitswissenschaften (S. 736–746). 7., vollständig überarbeitete Auflage, Weinheim: Belz.

Hartung, S. & Wihofszky, P. (2022). Partizipation und Gesundheitskompetenz. In: K. Rathmann, K. Dadaczynski, O. Okan & M. Messer (Hrsg.). Gesundheitskompetenz. Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit. Berlin und Heidelberg: Springer. doi.org/10.1007/978-3-662-62800-3_125-1.

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit (2021a). Kriterien für gute Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung, Kriterium „Multiplikatorenkonzept“. Köln/Berlin. Zugriff am 14.02.2024 unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/fileadmin/user_upload/pdf/Good_Practice/21-08-30_Broschuere_Good_Practice-Kriterien_neu_barrierefrei_01.pdf.

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit (2021b). Kriterien für gute Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung, Kriterium „Partizipation“. Köln/Berlin. Zugriff am 14.02.2024 unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/fileadmin/user_upload/pdf/Good_Practice/21-08-30_Broschuere_Good_Practice-Kriterien_neu_barrierefrei_01.pdf.

Lehmann, M. & Sabo P. (2003). Multiplikatoren. In: BZgA (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung (S. 154−156). 4. erweiterte und überarbeitete Auflage, Schwabenheim a. d. Selz: Fachverlag Peter Sabo.

Lehmann, M. & Sabo P. (2003). Zielgruppe. In: BZgA (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung (S. 243−244). 4. erweiterte und überarbeitete Auflage, Schwabenheim a. d. Selz: Fachverlag Peter Sabo.

Mielck, A. (2014). Wer möchte schon gern „Zielgruppe“ sein? In: Impulse 84 , S. 2–3. Newsletter LVG & AFS, Hannover.

Quint-Essenz, Gesundheitsförderung Schweiz (2010). Grundlagen. Bestimmen der Zielgruppen des Projektes. Zugriff am 14.02.2024 unter: https://quint-essenz.ch/de/topics/1100.

Internetadressen:

Wegweiser Gesundheitsförderung: www.wegweiser.bzga.de

Verweise:

Erklärungs- und Veränderungsmodelle 2: Theoriebasierte Interventionsplanung, Erklärungs- und Veränderungsmodelle 3: Persuasion, Diffusion, Marketing und Medienanwaltschaft, Gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung, Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy, Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen, Gesundheitsförderung und Migrationshintergrund, Gesundheitsförderung und Schule, Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Gesundheitskommunikation und Kampagnen, Kommunale Gesundheitsförderung, Lebenslagen und Lebensphasen, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Peer Education, Präventionsgesetz, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Settingansatz/Lebensweltansatz, Streetwork / Aufsuchende soziale Arbeit