Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln
Zitierhinweis: Faltermaier, T. (2024). Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Als Gesundheitsverhalten werden Handlungen von gesunden Menschen bezeichnet, die das Risiko von Erkrankungen nachweislich senken oder die Chance für den Erhalt der Gesundheit erhöhen. Maßnahmen, die Menschen mit Erkrankungssymptomen ergreifen, werden dagegen als Krankheitsverhalten definiert. Gesundheitshandeln wiederum umfasst die Verhaltensweisen von gesunden wie auch kranken Menschen, die als subjektiv bedeutsam für die Gesunderhaltung betrachtet werden. Aus Forschungen insbesondere in der Gesundheitspsychologie wurden Modelle des Gesundheitsverhaltens entwickelt, die wichtige Grundlagen für Interventionen in der Praxis darstellen. Jeder dieser drei Handlungsbereiche ist bedeutsam für die Gesundheitsförderung bei gesunden und bei kranken Menschen, und es ergeben sich jeweils unterschiedliche Implikationen die für handelnden Professionellen.
Schlagworte
Gesundheitsverhalten, Modelle des Gesundheitsverhaltens, Gesundheitshandeln, Krankheitsverhalten, Gesundheitsförderung
Gesundheitsverhalten
Als Gesundheitsverhalten („Health behavior“) werden alle Verhaltensweisen von gesunden Menschen verstanden, die nach wissenschaftlichen (epidemiologischen) Erkenntnissen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Krankheiten vermieden werden oder die Gesundheit erhalten wird (Faltermaier 2023). Der Begriff wird damit vielfach als Gegenbegriff zum Risikoverhalten verwendet, der alle Verhaltensweisen oder Gewohnheiten umfasst, die wissenschaftlich belegt die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine spezifische Krankheit zu entwickeln.
Heute stehen relativ gute Erkenntnisse (vgl. Faltermaier 2023; Schwarzer 2004) über verhaltensbedingte Risikofaktoren für die Gesundheit zur Verfügung: Sie tragen neben den somatischen (z. B. hohes Cholesterin, hoher Blutdruck) und den psychosozialen Risikofaktoren (z. B. Stress, riskante Persönlichkeitsmerkmale) wesentlich zur Entstehung von schweren und chronischen Krankheiten (z. B. Koronare Herzerkrankungen, Diabetes mellitus oder Krebserkrankungen) bei. Gut belegt sind als Risikoverhalten Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, fett- und kalorienreiche Ernährung, exzessives Sonnenbaden oder riskantes Sexualverhalten (Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell).
Im Umkehrschluss werden von Experten und Expertinnen jene Verhaltensweisen als Gesundheitsverhalten eingestuft, die riskante Gewohnheiten vermeiden, z. B. ausreichende Bewegung oder Sport, ausreichender Schlaf, „safer sex“ und die Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen. Schwieriger als schädigende Einflüsse ist jedoch empirisch zu belegen, welche Verhaltensweisen in welchem Ausmaß und von welcher Dauer die Gesundheit erhalten können.
Mehrfaches Risikoverhalten potenziert statistisch betrachtet das Risiko, eine Krankheit zu entwickeln; umgekehrt lassen sich mehrere Gesundheitsverhaltensweisen zu einem gesunden Lebensstil (Lebensweisen/Lebensstile) kombinieren, wenn Menschen sich in ihrem Alltag viel bewegen, ausgewogen ernähren, ausreichend schlafen, wenig Stress erleben und sinnvolle Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Empirisch sollte sich dann eine bessere Gesundheit bzw. geringere Krankheits- und Mortalitätsraten nachweisen lassen.
Umfangreiche Forschungen zu den Bedingungen des Gesundheitsverhaltens wurden in der Gesundheitspsychologie unternommen und führten zu empirisch fundierten Modellen (vgl. Schwarzer 2004; Faltermaier 2023); die Medizinpsychologie beschäftigt sich dagegen stärker mit dem Krankheitsverhalten (vgl. Bengel & Jerusalem 2009). Aber auch in Medizinsoziologie, Sozialmedizin und Public Health sind einschlägige Forschungs- und Praxisansätze zu finden. Während psychologische Disziplinen oder die Verhaltensmedizin traditionell stärker mit dem Verhaltensbegriff arbeiten, ist der Begriff des Gesundheitshandelns stärker in der Tradition einer sozial- und subjektwissenschaftlichen Gesundheitsforschung verankert.
Modelle des Gesundheitsverhaltens
Modelle des Gesundheitsverhaltens versuchen, das Gesundheitsverhalten durch kognitive, soziale und soziodemografische Faktoren zu erklären (Erklärungs- und Veränderungsmodelle I: Einstellungs- und Verhaltensänderungen). Diese Tradition begann in den 1970er-Jahren mit dem „Health Belief Modell“ (HBM) (Faltermaier 2023; Heuse & Knoll 2018; Schwarzer 2004); spezifische gesundheitliche Überzeugungen (wahrgenommene Risiken, wahrgenommener Nutzen und Kosten eines Verhaltens) wurden formuliert, um gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie z. B. die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen zu erklären.
In Kritik an der beschränkten Vorhersagekraft dieser frühen Modelle entstanden vor allem in der Gesundheitspsychologie neue Modelle, die empirisch besser geprüft und konzeptionell durch ihre prozessualen Zusammenhänge überzeugender waren (vgl. zum Überblick: Faltermaier 2023; Heuse & Knoll 2018). International sehr bekannt und erforscht sind heute etwa das „Health Action Process Approach“-Modell (HAPA) des deutschen Gesundheitspsychologen Schwarzer (2004) und das „Transtheoretische Modell“ (TTM) des amerikanischen Psychologen Prochaska (1997).
Als zentrale kognitive Bedingungen eines Gesundheitsverhaltens werden in diesen Modellen meist intentionale und volitionale Prozesse unterschieden. Ob eine Person die Absicht (Intention) für eine Verhaltensänderung ausbildet, setzt voraus, dass sie sich auch selbst als verwundbar wahrnimmt (Risikowahrnehmung), dass sie eine positive Wirkung des Verhaltens auf die eigene Gesundheit erwartet (Ergebniserwartung bzw. Kontrollüberzeugung) und dass sie davon überzeugt ist, das Gesundheitsverhalten auch dauerhaft umsetzen zu können (Kompetenz- oder Selbstwirksamkeitsüberzeugung).
Die Bildung einer Intention reicht aber allein nicht aus für eine Verhaltensänderung; vielmehr muss in der Volition („Wille“) auch die Umsetzung der Verhaltensziele konkret geplant und kontrolliert werden, d. h. sie müssen gegen Hindernisse und Widerstände abgeschirmt sowie in ihren Ergebnissen bewertet werden. Dabei sind neben kognitiven Prozessen auch soziale Einflüsse (normative Überzeugungen und soziale Unterstützungen des Gesundheitsverhaltens in der eigenen Bezugsgruppe) und sozialstrukturelle Faktoren (Geschlecht, Alter, sozialer Status) wirksam (Faltermaier 2023; Schwarzer 2004). Das verweist darauf, dass spezifische Formen des Gesundheitsverhaltens in soziale Kontexte eingebettet sind und über Prozesse der Sozialisation langfristig aufgebaut werden.
Krankheitsverhalten
Krankheitsverhalten („Illness behavior“) umfasst das Verhalten von Personen, die bereits Symptome einer Krankheit wahrnehmen und sich darum bemühen, diese abzuklären, eine eigene Diagnose vorzunehmen und eine geeignete professionelle Behandlung zu erreichen (Faltermaier 2023). Es kann sich dabei etwa um Versuche handeln, die Bedeutung von Beschwerden z. B. durch die Kommunikation mit anderen einzuschätzen, sich Informationen über die Krankheit einzuholen, um eine Krankheit und ihre Folgen zu verstehen, sich soziale Unterstützung im sozialen Umfeld zu erschließen oder professionelle Hilfen (Ärzte/Ärztinnen, Beratungsstellen etc.) aufzusuchen.
Krankheitsverhalten kann unterschieden werden vom Krankenrollenverhalten („Sick role behavior“). Es beschreibt das Verhalten von Personen, die bereits die medizinische Diagnose einer Krankheit erhalten haben, dadurch die Rolle eines Patienten oder einer Patientin angenommen haben oder als solche wahrgenommen werden (Faltermaier 2023). Dazu gehören alle Bemühungen, eine geeignete Behandlung zu erhalten und das Fortschreiten einer Krankheit zu verhindern, die soziale Interaktion und Zusammenarbeit („Compliance“ = Therapietreue/Befolgung von ärztlichen Anweisungen) mit behandelnden Experten und Expertinnen sowie der Umgang mit Behandlungsmaßnahmen (z. B. eine Operation oder Chemotherapie) und ihren Folgen.
Das Krankheitsverhalten umfasst neben der Wahrnehmung von körperlichen Beschwerden und der Erstellung einer „Laiendiagnose“ insbesondere den Umgang mit der Krankheit im Laiengesundheitssystem (Selbstbehandlung, Selbstmedikation, Hilfesuchen) und im professionellen System. Umfangreiche Forschungen befassen sich mit den Versuchen der Bewältigung von krankheitsbezogenen Belastungen (Copingforschung; Stress und Stressbewältigung), den Bedingungen der Inanspruchnahme von und der Kooperation mit professionellen Leistungen (Complianceforschung) sowie mit den subjektiven Krankheitsvorstellungen von Patientinnen und Patienten, die den Umgang mit der eigenen Krankheit und mit den behandelnden Expertinnen und Experten wesentlich beeinflussen. (Übersicht Faltermaier 2023)
Gesundheitshandeln
Als Gesundheitshandeln („Health action“) wird das subjektiv bedeutsame Handeln von gesunden oder kranken Menschen verstanden, das im alltäglichen sozialen Kontext mehr oder weniger bewusst mit dem Ziel der Gesunderhaltung erfolgt. Das Konstrukt wurde von Faltermaier (1994) in kritischer Absetzung zum Begriff des Gesundheitsverhaltens eingeführt, um der normativen Vorgabe eines eng umgrenzten und nur von Experten und Expertinnen definierten Verhaltens ein subjektorientiertes Konzept entgegenzusetzen, das Handlungskompetenz potenziell auch bei medizinischen Laien unterstellt.
Der Begriff Gesundheitshandeln stellt ein sozialwissenschaftliches Konstrukt dar und wird im Kontext der Salutogenese und ihres Gesundheits-Krankheits-Kontinuums gesehen. Es muss somit keine eindeutige Zuordnung von Menschen als gesund oder krank erfolgen, vielmehr kann ein Gesundheitsmotiv bei allen Menschen unterstellt werden (vgl. Faltermaier 2023).
Gesundheitshandeln basiert auf einem Gesundheitsbewusstsein (Gesundheitskompetenz/Health Literacy), also auf dem Alltagswissen von Personen oder sozialen Gruppen und ihren alltäglichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit (Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit). Je nach subjektiver Sicht kann das Gesundheitshandeln einer Person auch mehrere Verhaltensebenen (Bewegung, Ernährung, Umgang mit wahrgenommenen Risiken und Belastungen, Aufbau und Erhaltung von personalen und sozialen Ressourcen etc.) verbinden und zu einer gesunden Lebensweise kombinieren; es folgt aber einer subjektiven Logik und muss daher nicht in Einklang mit Expertenwissen stehen. In Abhängigkeit von dem sozialen Kontext und der Lebensphase kann sich das Gesundheitshandeln verändern und unterschiedlich manifestieren (vgl. Faltermaier 2023).
Bedeutung für die Gesundheitsförderung
Für die Gesundheitsförderung bedeutet der Bezug auf Gesundheits- und Krankheitsverhalten bzw. auf Gesundheitshandeln, dass Menschen durch ihre alltäglichen Verhaltens- und Lebensweisen sowie deren Veränderung ihre Gesundheit wesentlich beeinflussen können und dass Professionelle sie dabei in vielfältiger Weise unterstützen können: Es kann dabei um den Abbau eines spezifischen Risikoverhaltens (z. B. Rauchen) gehen, um den Aufbau eines Gesundheitsverhaltens (z. B. mehr Bewegung), um die Unterstützung eines Krankheitsverhaltens (z. B. bessere Compliance eines Diabetespatienten), und auch um die Weiterentwicklung eines Gesundheitshandelns bzw. einer gesunden Lebensweise.
Als Grundlagen für solche professionellen Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung sollten stets wissenschaftliche Erkenntnisse über die Bedingungen eines Gesundheits- und Krankheitsverhaltens sowie die Möglichkeiten ihrer Veränderung herangezogen werden (vgl. Kohlmann, Salewski & Wirtz 2018; Faltermaier 2023). Diese Bedingungen umfassen die Motivation von Menschen, ihre subjektiven Überzeugungen und ihre sozialen Rahmenbedingungen (Gesundheitskompetenz/Health Literacy; Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit; Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit).
Gesundheitsförderung und Laiengesundheitssystem
Es wird heute zunehmend erkannt, dass Prozesse des Gesundheits- und Krankheitsverhaltens in hohem Maße im „Laiengesundheitssystem“ („Lay health care system“) erfolgen (vgl. Faltermaier 2023). Viele präventive und auf Krankheit bezogene Aktivitäten werden sozial abgestimmt und organisiert, sozial unterstützt oder gehemmt; das kann vor dem Kontakt mit dem professionellen System erfolgen, parallel zu einer Behandlung oder nach ihrem Abschluss. Daher sollten professionelle Bemühungen in Prävention und Gesundheitsförderung darauf achten, zunächst das individuelle und soziale Gesundheitshandeln von Zielgruppen wahrzunehmen, zu explorieren und zu respektieren, bevor professionelle Interventionen und damit Eingriffe in den Alltag von gesunden oder kranken Menschen vorgenommen werden.
Die Subjektorientierung in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften geht von der Kompetenz und der eigenen Handlungslogik von „Laien“ in allen Gesundheitsfragen aus und versteht alle Aktivitäten von Laien als sozial eingebundene Prozesse. Die Subjektperspektive stellt damit die Grundlage für die in der Gesundheitsförderung geforderte Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger und für die Prozesse des/der Empowerment/Befähigung von Zielgruppen dar. Die Salutogenese hebt tendenziell die Trennung zwischen Gesundheits- und Krankheitsprozessen auf und fokussiert das Gesundheitshandeln von mehr oder weniger gesunden oder kranken Menschen auf der Grundlage ihrer subjektiven und sozialen Bedingungen.
Literatur:
Bengel, J. & Jerusalem, M. (Hrsg.) (2009). Handbuch der Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie. Göttingen: Hogrefe.
Faltermaier, T. (1994). Gesundheitsbewußtsein und Gesundheitshandeln: Über den Umgang mit Gesundheit im Alltag. Weinheim: Beltz.
Faltermaier, T. (2023). Gesundheitspsychologie. 3., aktualisierte Auflage, Stuttgart: Kohlhammer.
Heuse, S. & Knoll, N. (2018). Modelle des Gesundheitsverhaltens. In: C.-W. Kohlmann, C. Salewski & A. M. Wirtz (Hrsg.). Psychologie in der Gesundheitsförderung (S. 243−255). Bern: Hogrefe.
Prochaska, J. O. & Velicer W. F. (1997). The transtheoretical model of health behavior change. In: American Journal of Health Promotion 12, 1997, S. 38–48.
Schwarzer, R. (2004). Psychologie des Gesundheitsverhaltens: Einführung in die Gesundheitspsychologie. Göttingen: Hogrefe.
Weiterführende Quellen
Kohlmann, C.-W., Salewski, C. & Wirtz, M.A. (Hrsg.) (2018). Psychologie der Gesundheitsförderung. Göttingen: Hogrefe.
Verweise:
Empowerment/Befähigung, Erklärungs- und Veränderungsmodelle 1: Einstellungs- und Verhaltensänderung, Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Lebensweisen/Lebensstile, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Salutogenese, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit, Stress und Stressbewältigung, Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit