Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung

Jürgen Hallmann

(letzte Aktualisierung am 02.06.2020)

Zitierhinweis: Hallmann, J. (2020). Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i070-2.0

Zusammenfassung

Der Begriff der Lebenskompetenz beschreibt laut Hans-Jürgen Hallmann all jene Fähigkeiten, die Menschen benötigen, um mit den Aufgaben des täglichen Lebens erfolgreich umzugehen. In der Gesundheitsförderung kommt der Kompetenzbegriff vor allem im Bereich der Prävention zum Tragen. Im Rahmen von Kompetenzbildungsprogrammen sollen Kinder und Jugendliche darin unterstützt werden, sich als selbstwirksam zu erleben und gesundheitsförderliche Entscheidungen zu treffen. In Kindertagesstätten und Schulen werden deshalb Aspekte wie Selbstsicherheit, Kommunikations- und Problemlösefähigkeiten behandelt. Zudem wird der adäquate Umgang mit Ängsten, Gewalt und Suchtmitteln geschult.

Schlagworte

Kompetenzbegriff, Risikokompetenz, Lebenskompetenzprogramme, Gesundheitsförderung


Unter Kompetenz (lateinisch: compere – zu etwas fähig sein) wird ganz allgemein die Fähigkeit zur Bewältigung von Lebenssituationen verstanden. Der Terminus Lebenskompetenz betont die Verbindung von Leben und Kompetenz und bezeichnet damit Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Individuen benötigen, um mit altersgemäßen Herausforderungen und Aufgaben des täglichen Lebens erfolgreich umzugehen. Im engeren Sinne unterscheidet man dabei zwischen „skills“ und Kompetenz. Skills sind diejenigen Fertigkeiten, die man braucht, um bestimmte Aufgaben durchzuführen und vorhandene Probleme zu lösen, während Kompetenz sich darauf aufbauend auf die situationsgemäße Verwendung dieser Fertigkeiten bezieht. Dieser Ansatz wurde als „Life-skills“-Konzept in den 1980er-Jahren in den USA entwickelt und bildet mittlerweile ein wichtiges Element der personen- und verhaltensbezogenen Gesundheitsförderung. Daneben hat sich in den letzten Jahren das Konzept der Gesundheitskompetenz („Health Literacy“) als umfassendes Konzept in der Gesundheitsförderung immer mehr etabliert (Health Literacy/Gesundheitskomptenz).

Im Rahmen der pädagogischen Begriffsbestimmung umfasst Kompetenz mindestens drei Dimensionen:

  • Eine kognitive Dimension, die sich auf ausreichendes Faktenwissen bezieht, wodurch sachbezogene Einsichten in Problemzusammenhänge gewonnen und wertneutrale objektive Urteile gefällt werden können.
  • Eine Wertdimension, die sich einerseits auf das Vorhandensein von verbindlichen Werten als Richtlinien des Handelns bezieht, andererseits die Fähigkeit zur situationsangemessenen Bewertung unter Berücksichtigung notwendiger Güterabwägung einschließt.
  • Eine Handlungsdimension als die Fähigkeit, komplexe Problemsituationen zu planen, Mittel zu ihrer Erledigung bereitzustellen, den gewählten Lösungsansatz schließlich durchzuführen und zuletzt die Qualität der Ausführung zu prüfen.

Kompetenz in diesem Sinne heißt

  • etwas bewirken zu können, sich als „wirkmächtig“ zu erleben und – damit zusammenhängend –
  • Entscheidungen zu treffen und umzusetzen sowie diese auch als „richtig“ bemessen zu können – sowohl im Hinblick auf die jeweiligen Anforderungen einer Situation (einschließlich der längerfristigen Handlungsfolgen) als auch im Hinblick auf persönliche Faktoren.

Die Voraussetzung für die Erlangung von Kompetenz bildet demnach die grundsätzliche Fähigkeit zum selbstständigen und selbstbestimmten Handeln auf der Basis eines reflektierten und verantwortungsbewussten Entscheidungsprozesses.

Lebenskompetenzprogramme in der Gesundheitsförderung

Die Verwendung des Kompetenzbegriffs im Rahmen der Gesundheitsförderung erfolgte in den 1990er-Jahren mit der Neuausrichtung der allgemeinen Prävention im Gesundheitsbereich. Orientierten sich die Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsförderung bislang an einer „traditionell pathogenetisch-orientierten Prävention“, die mit der Aufklärung über Gesundheitsgefahren gesundheitliche Risiken und Risikoverhaltensweisen verhindern sollte, so kam es jetzt zu einer „ganzheitlichen salutogenetischen Ausrichtung von Gesundheitsförderung“ (Salutogenetische Perspektive).

Die WHO definierte zehn zentrale Kernkompetenzen („core life-skills“), die es im Rahmen der Lebenskompetenzförderung zu vermitteln gilt (WHO 1994, S. 2 f.; vgl. Bühler & Heppekausen 2005, S. 16 ff.):

  1. Selbstwahrnehmung, die sich auf das Erkennen der eigenen Person, des eigenen Charakters sowie auf eigene Stärken und Schwächen, Wünsche und Abneigungen bezieht.
  2. Empathie, als die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen.
  3. Kreatives Denken, das es ermöglicht, adäquate Entscheidungen zu treffen sowie Probleme konstruktiv zu lösen.
  4. Kritisches Denken als die Fertigkeit, Informationen und Erfahrungen objektiv zu analysieren.
  5. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die dazu beiträgt, konstruktiv mit Entscheidungen im Alltag umzugehen.
  6. Problemlösefertigkeit, um Schwierigkeiten und Konflikte im Alltag konstruktiv anzugehen.
  7. Kommunikative Kompetenz, die dazu beiträgt, sich kultur- und situationsgemäß sowohl verbal als auch nonverbal auszudrücken.
  8. Interpersonale Beziehungsfertigkeiten, die dazu befähigen, Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten.
  9. Gefühlsbewältigung, als die Fertigkeit, sich der eigenen Gefühle und denen anderer bewusst zu werden, angemessen mit Gefühlen umzugehen sowie zu erkennen, wie Gefühle Verhalten beeinflussen.
  10. Die Fähigkeit der Stressbewältigung, um einerseits Ursachen und Auswirkungen von Stress im Alltag zu erkennen und andererseits Stress reduzierende Verhaltensweisen zu erlernen.

Die ersten Programme zur Lebenskompetenzförderung wurden von Botvin und Dusenbury (1990) im Rahmen der schulischen Suchtprävention im angloamerikanischen Sprachraum entwickelt. Die einzelnen Komponenten eines solchen Programms bestanden aus

  • der Vermittlung von Informationen und Fertigkeiten, die geeignet sind, dem sozialen Einfluss, Suchtmittel zu konsumieren, zu widerstehen und – damit zusammenhängend –
  • der Vermittlung von Fertigkeiten der sozialen Resistenz gegenüber einem Suchtmittelkonsum,
  • der Vermittlung von Fertigkeiten des individuellen Zurechtkommens
  • und schließlich der Vermittlung von allgemeinen sozialen Fertigkeiten.

Das Programm folgte damit eher einem substanz- und gesundheitsunspezifischen Ansatz. Es zielte auf die Förderung von Fertigkeiten und Handlungseigenschaften, die über das Problem des eigentlichen Substanzgebrauchs hinausgingen. Grundlage dieser Vorgehensweise bildeten die Theorie des sozialen Lernens von Bandura und die Theorie des Problemverhaltens von Jessor und Jessor (1977). Jugendliches Risikoverhalten wie Tabak-, Alkohol- und Drogengebrauch wird demnach als sozial gelerntes und funktionales Verhalten betrachtet, das dann auftritt, wenn dem Jugendlichen keine adäquaten Bewältigungsstrategien zur Lösung von (entwicklungsbedingten) Alltagsproblemen zur Verfügung stehen.

Die Fertigkeiten, die unter dem Konstrukt Lebenskompetenz subsumiert werden, lassen sich aufgrund ihrer Komplexität allerdings nicht direkt, sondern nur über einen indirekten Weg aufbauen. Dementsprechend können Bewältigungsstrategien mit dem Ziel des Kompetenzaufbaus nicht abstrakt vermittelt werden, sondern sind an die Vermittlung konkreter Inhalte gebunden. Zu diesem Zweck werden interaktive Lehrmethoden wie beispielsweise Rollenspiele, Konfliktspiele und Entscheidungsspiele, Kooperationsspiele, Vertrauensübungen sowie Entspannungs- und Bewegungsübungen eingesetzt. Im Vordergrund stehen dabei die Bewusstmachung und die Reflexion herkömmlicher Verhaltensweisen und das Einüben neuer personaler und sozialer Fertigkeiten, die sich im alltäglichen Handeln bewähren müssen.

Risikokompetenz als Bestandteil der Gesundheitskompetenz

Bezogen auf den Umgang mit Rauschmitteln ist in den letzten Jahren ergänzend der Begriff der „Risikokompetenz“ in den Katalog der im Rahmen der Gesundheitsförderung zu vermittelnden Fähigkeiten eingebracht worden. Risikokompetenz im Kontext der Gesundheitskompetenz soll demnach zur „Konsummündigkeit“ führen und es dem „Jugendlichen oder Erwachsenen ermöglichen, „gekonnt“ mit Drogen umzugehen, die Vor- und Nachteile von Drogen zu kennen und bewerten zu können“ (Stadt Zürich 2007, S. 11).

Daraus ergeben sich entsprechende Prinzipien und Realziele, die sich von einer Ausrichtung auf Totalabstinenz unterscheiden und als Förderung von „Risikokompetenz“ handlungsleitend sind. Dazu zählen:

  • „Immunisierung – Aufschub von Konsum- und Probierbeginn bei legalen Drogen, möglichst lebenslange Abstinenz gegenüber illegalen Drogen.
  • Transitionierung – Beschränkung des substanzbezogenen Konsums, aber auch eines Missbrauchs legaler wie illegaler Substanzen auf einen experimentellen, zeitlich begrenzten Probierkonsum.
  • Lebensweltorientierung – Explizite und umfassende, wahrheitsgemäße und glaubwürdige Aufklärung über Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen des punktuellen und/oder regelmäßigen Konsums psychoaktiver Substanzen.
  • Schadensminimierung – Verhinderung von Abhängigkeitsentwicklungen bei dauerhaftem Missbrauch durch Sicherheitsregeln, Ermöglichung eines kontrollierten Konsums mit Gefahrenbegrenzung und Notfallhilfe.
  • Strukturelle Gesundheitsförderung – Aufbau und Erhaltung sozialer Unterstützungs- und Bewältigungsnetzwerke, Einwirkung auf negative Sozialisations- bzw. Milieu-bedingungen von gefährdeten und suchtaffinen Jugendlichen“ (Franzkowiak & Schlömer 2003, S. 178).

Konzepte zur Förderung von Risikokompetenz werden derzeit besonders in der Schweiz und in Österreich diskutiert, wobei deren Wirksamkeit bislang noch offen ist.

Kompetenzbildung im Rahmen der Gesundheitsförderung beschränkt sich nicht auf die Vermittlung bestimmter sozialer Fertigkeiten, sondern hat das selbstständig handelnde Subjekt in seiner Gesamtheit im Blick. Voraussetzung für die Bildung von Handlungskompetenz ist die sich durch pädagogischen Umgang entwickelnde Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Individuums. Dabei stellt die Bildung von Handlungskompetenz keinen in sich abgeschlossenen Prozess dar, führt zu keinem fertigen Ergebnis, sondern Handlungskompetenz hat sich stattdessen in praxi immer wieder neu zu erweisen. Dementsprechend bildet Kompetenz die Grundlage und zugleich das Ziel von Bewältigungsprozessen (Stress und Stressbewältigung). Das heißt, um belastende Lebenssituationen zu meistern, ist Kompetenz notwendig. Gleichzeitig führt die Bewältigung derartiger Lebenssituationen zum Aufbau von Kompetenz. Diese Interdependenz vollzieht sich in einem dynamischen Prozess ohne Abschluss und hat sich immer wieder in Krisensituationen zu bewähren.

Lebenskompetenzprogramme in Deutschland

Seit den 1990er-Jahren haben sich auch in Deutschland zunehmend Lebenskompetenzansätze verbreitet. Auch hier bildete zunächst die Suchtprävention mit ihren universellen Maßnahmen für Kinder und Jugendliche das vorrangige Lern- und Übungsfeld, in dem sich die ersten Lebenskompetenzprogramme etablierten. Die Entwicklung und die Umsetzung der Programme konzentrierten sich in erster Linie auf die Bildungssettings Kindergarten/Kindertagesstätten (Elementarbereich) und Schule und beinhalteten die Vermittlung substanzunspezifischer Ziele wie beispielsweise Selbstsicherheit, Problemlösefertigkeiten, Kommunikationsfähigkeit und adäquater Umgang mit Ängsten (Gesundheitsförderung und Kindertageseinrichtungen).

Dabei beschränkten sich Lebenskompetenzprogramme im Elementarbereich zunächst eher unsystematisch auf die Bereitstellung einzelner Angebote wie etwa interaktive Puppenspiele – deren Vorführungen in Kindergärten den „richtigen“ Umgang mit Ängsten thematisieren und einüben und zugleich der Förderung von Selbstsicherheit dienen – sowie Mitmachtheateraufführungen, die in kindgerechter Weise die Verbindung zwischen gesunder Lebensweise und persönlichem Wohlbefinden vermitteln. Erst in den letzten Jahren sind entsprechende Programme wie der „spielzeugfreie Kindergarten“ entwickelt worden, die sich in der Praxis durch eine systematische Vorgehensweise auszeichnen und deren Einsatz in Bezug auf Wirksamkeit und Effektivität wissenschaftlich begleitet werden.

Als ein gelungenes Beispiel für die wirksame Umsetzung von Lebenskompetenzprogrammen im Elementarbereich gilt  „Papilio“ (www.papilio.de), ein pädagogisches Programm für Kindergärten und Kindertagesstätten, das sich auf unterschiedlichen Ebenen mit der frühen Prävention von Verhaltensproblemen befasst und das die Förderung von sozial-emotionaler Kompetenz beinhaltet. Das erklärte Ziel des evaluierten und mittlerweile bundesweit verbreiteten Programms besteht darin, die psychosoziale Gesundheit der Kinder zu fördern, damit sie später die Möglichkeit haben, den Risiken, die zu Sucht- und Gewaltverhalten führen können, selbstbewusst zu begegnen. Das aus verschiedenen Bausteinen bestehende Programm wird ständig im Hinblick auf seine Wirksamkeit überprüft und entsprechend weiterentwickelt.

Ähnliche Ziele wie das Papilio Programm verfolgt auch das Konzept „FREUNDE“ (www.stiftung-freunde.eu/Freunde/Index.htm). Dieses pädagogische Programm zur Förderung von Lebenskompetenzen setzt in Kindertagesstätten an und will durch eine frühzeitige und altersgerechte Prävention den Entwicklungsprozess von Kindern positiv beeinflussen und so Gewalt- und Suchtproblemen vorbeugen. Das Programm beinhaltet u. a. ein standardisiertes Fortbildungsprogramm für das pädagogische Fachpersonal und unterstützt die Erziehungsarbeit der Eltern durch entsprechende Informationsangebote.

Spezielle Unterstützung für die Arbeit mit Eltern erhält das pädagogische Fachpersonal durch das Fortbildungsprogramm Kita-MOVE (www.kita-move.de). Es bietet den Fachkräften in Kindertagesstätten, Familienzentren und Frühen Hilfen einen professionellen Ansatz, um gezielt auch mit schwer erreichbaren Eltern in einen vertrauensvollen Kontakt zu kommen und mit kurzen Interventionen einen motivierenden Dialog über Erziehung und Gesundheit anzustoßen und bildet somit ein Angebot vor dem eigentlichen Unterstützungsangebot. Das Zugehen auf Eltern fällt besonders dann schwer, wenn Eltern unmotiviert oder sogar ablehnend erscheinen und notwendige Unterstützung nicht annehmen. Dies kann beispielsweise in der Herkunft aus einem anderen sozialen Milieu oder einer anderen Kultur begründet liegen. Das führt dann nicht selten dazu, dass sich Eltern nicht so verhalten, wie es für die gesunde Entwicklung der Kinder wünschenswert und hilfreich wäre. Insofern ergänzt dieses Programm die vorhandenen Programme zur Förderung von Lebenskompetenz im vorschulischen Bereich.

Während sich die Umsetzung von Lebenskompetenzprogrammen im Elementarbereich erst seit einigen Jahren etabliert hat, gilt die Schule als das Setting, in dem bislang die meisten Lebenskompetenzprogramme realisiert werden konnten (Gesundheitsförderung und Schule). Neben den mehr allgemein gehaltenen Vorgaben wie Gesundheitsförderung und Persönlichkeitsentwicklung zielen die Mehrzahl der Konzepte auf die Sucht- und Gewaltprävention im Jugendalter. Viele dieser Programme wurden in den neunziger Jahren entwickelt und in den nachfolgenden Jahren ständig aktualisiert. In Hinblick auf ihre Wirksamkeit sind sie inzwischen durch zahlreiche Studien überprüft.

Zu den bundesweit am meist verbreiteten Programmen gehören „Klasse 2000“ (www.klasse2000.de), das in der Grundschule in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 umgesetzt wird, das „Programm eigenständig werden“ (www.eigenstaendigwerden.de), das sich an Schülerinnen und Schüler der Grundschule sowie an die Jahrgangsstufe 5 bis 6 richtet, ALF – Allgemeine Lebenskompetenzen und -fertigkeiten (Walden, Kröger, Kirmes, Reese & Kutza 2000), ein Programm mit interaktiven Unterrichtseinheiten für 5. und 6. Klassen an Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien und das Programm Lions Quest: „Erwachsen werden“ (www.lions-quest.de), das an weiterführenden Schulen für die Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen konzipiert wurde

An die Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab 14 Jahre richtet sich das standardisierte Life Skills Programm Rebound (vgl. www.gruene-liste-praevention.de), das im Rahmen eines EU-Projekts entwickelt und seit 2013 u. a. an Schulen umgesetzt wird. Das Programm zielt darauf ab, kognitive und emotionale Kompetenzen sowie die Wahrnehmung eigener Fähigkeiten und das Selbstwirksamkeitserleben zu fördern. Durch den Einsatz und die Bearbeitung realitätsnaher Kurzfilme, die Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Rausch, Risiko und Identitätssuche thematisieren, sollen experimentell konsumierende Jugendliche zu risikoarmem Verhalten angeregt und nicht-konsumierende Jugendliche in ihrer Entscheidung und Haltung gestärkt werden.

Nach bisherigen Erfahrungen konnte die Anwendung der auf Lebenskompetenzförderung abzielenden Programme insbesondere Risikofaktoren des späteren Substanzmissbrauchs, der Angststörungen und der Depression – einschließlich verfrühten Konsums oder früher depressiver Symptomatik und Angstsymptome – beeinflussen.(Resilienz und Schutzfaktoren) Valide Aussagen im Hinblick auf langfristige Effekte in Bezug auf eine Verhinderung späterer psychischer Störungen waren allerdings aufgrund fehlender Daten bisher noch nicht möglich.

Die Bedeutung von Lebenskompetenzprogrammen in der Gesundheitsförderung

Trotz dieser Einschränkungen haben Lebenskompetenzprogramme im Bereich der Gesundheitsförderung einen hohen Stellenwert. Sie gelten als die derzeit effektivsten verhaltensbezogenen Programme. So zeigt insbesondere die in den USA über mehrere Jahre erfolgte wissenschaftliche Begleitforschung durchweg positive Ergebnisse bei der Umsetzung solcher Programme, vor allem in Hinblick auf die Verhinderung von Problemverhaltensweisen (Tobler et al., 2000). Dies hat sich gerade im Rahmen der Suchtprävention bewährt, was sich bei den Ergebnissen u. a. in der Reduzierung des Substanzkonsums bei den jeweiligen Probanden und Probandinnen niedergeschlagen hat.

Allerdings werden Lebenskompetenzprogramme durch die derzeitige Beschränkung ihrer Anwendung auf den Elementar- und Schulbereich ihren potenziellen Möglichkeiten nicht gerecht. Hier gilt es, weitere Anwendungsbereiche von Lebenskompetenzprogrammen – etwa im Rahmen von freiwilligen, strukturierten Freizeitaktivitäten im Jugend- und Sportbereich – zu erschließen. Ebenso bedarf es bei der Entwicklung und Umsetzung künftiger Programme einer stärkeren Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und soziokultureller Aspekte. Erste Ansätze einer Umsetzung von lebenskompetenzfördernden Maßnahmen in die verschiedenen Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen sind unter der Zielsetzung eines „Gesund aufwachsen“ mittlerweile auf dem Weg gebracht. (http://gesundheitsziele.de//cms/medium/215/gz-broschu_Homepage.pdf) Die Gesundheitsressourcen von Kindern zu stärken und sie bei der Entwicklung positiver Selbstkonzepte zu unterstützen, bilden dabei ebenso wichtige Inhalte wie gesundheitsförderliche Lebenswelten zu schaffen. Beispielhaft hat dies die Sächsische Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in ihrem Newsletter zur Förderung von Lebenskompetenz mit der Beschreibung unterschiedlicher Aktivitäten herausgestellt (Koordinierungsstelle an der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung 2010).

Auch die Einbindung von Lebenskompetenzprogrammen in gemeindeorientierte Maßnahmen zum Beispiel durch eine Verbindung mit familienbezogenen Elementen (Soziale Netzwerke und Netzwerkförderung; Empowerment/Befähigung) ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe in der Gesundheitsförderung und Gesundheitserhaltung. Die Entwicklung derartiger Programme im Erwachsenenalter kommt allerdings erst allmählich voran. Doch gerade hier gibt es einen wachsenden Bedarf.

So rückt angesichts einer alternden Gesellschaft die Problematik des gesunden Alterns immer stärker ins Blickfeld. Lebenskompetenzprogramme können – auch im fortgeschrittenen Alter – hier zum selbstverantwortlichen Handeln in Bezug auf die Erhaltung der eigenen Gesundheit (z. B. Ernährung, Bewegung, Umgang mit Medikamenten) anregen. Gleichzeitig ermöglichen sie es z. B. durch die Vermittlung effektiver Kommunikationstechniken die Kontaktfähigkeit im Alter zu erhalten und gegebenenfalls zu verbessern sowie altersbedingte Veränderungen und Lebenskrisen (z. B. durch Verlust des Partners) besser zu bewältigen.

Mittlerweile gibt es gezielte Programme wie die nordrhein-westfälische Kampagne „Stark bleiben“, die mit dem Schwerpunkt „Suchtprävention im Alter“ (www.starkbleiben.nrw.de/gesundheit-im-Alter) für ein gesundes Altern wirbt. Dabei wird davon ausgegangen, dass auch im Alter die Fähigkeit zu Veränderung und zum Kompetenzerwerb vorhanden ist und genutzt werden soll. Auch andere Institutionen wie z. B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) orientieren sich u. a. mit ihren Angeboten an den Lebenswelten älterer Menschen und vermitteln über entsprechende Internetseiten sowie über spezielle Informationsschriften Hinweise für einen aktiven und gesunden Lebensstil im Alter (https://www.gesund-aktiv-aelter-werden.de/).

Als alleinige gesundheitsfördernde Maßnahme reichen all diese Programme jedoch nicht aus, sondern sie sind um strukturelle Maßnahmen zu ergänzen, die sich auf das persönliche Lebensumfeld und das Gemeinwesen beziehen und somit zur Entwicklung gesundheitsförderlicher Lebenswelten beitragen können. Derartige Ansätze zur Förderung gesundheitsfördernder Strukturen werden seit einigen Jahren u. a. mit dem Städte-Netzwerk „Gesunde Städte“ (https://gesunde-staedte-netzwerk.de) sowie im Schulbereich mit dem in NRW verbreiteten Konzept „Gute gesunde Schule“ (www.schulentwicklungspreis.de) umgesetzt und sind in Zukunft auszubauen.

Literatur:

Bandura, A. (1977). Social learning theory. Upper Saddle River: Prentice-Hall.
Bühler, A. & Heppekausen, K. (2005). Gesundheitsförderung durch Lebenskompetenzprogramme in Deutschland: Grundlagen und kommentierte Übersicht. Köln: BZgA.
Dusenbury, L. & Botvin, G. (1990). Competence Enhacement and the Prevention of Adolescent Problem Behavior. In K. Hurrelmann & F. Lösel (Hrsg.). Health Hazards in Adolescence. Berlin: W. de Gruyter.
Franzkowiak, P. & Schlömer, H. (2003): Entwicklung der Suchtprävention. Suchttherapie, 4 (175–182)
Jessor, R. & Jessor, S. L. (1977). Problem behavior and psychosocial development. A longitudinal study of youth. University of Michigan: Academic Press.
Koordinierungsstelle an der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung (2010). Gesund aufwachsen – Themenheft Förderung von Lebenskompetenz. Zugriff am 01.10.2019 unter www.kita-bildungsserver.de/wp-content/themes/kbs/inc/downloads_ausliefern.inc.php?did=697.
Stadt Zürich (Hrsg.) (2007). Risikokompetenz und Drogenmündigkeit im Spannungsfeld von Kritik- und Genussfähigkeit: Literaturanalyse und Empfehlungen für die Praxis der Suchtprävention. Stadt Zürich, Suchtpräventionsstelle.
Tobler, N. S., Roona, M. R., Ochsborn, P., Marshall, D.G., Steke, A. V. Stackpole, K .M. (2000). School-based adolescent drug prevention programs: Meta-analysis. Journal of Primary Prevention, 20 (4), 275-336
Walden, K., Kröger, C., Kirmes, J., Reese, A. & Kutza, R. (2000). ALF – Allgemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten. Programm für Schüler und Schülerinnen der 6. Klasse mit Information zu Nikotin und Alkohol. Hohengehren: Schneider-Verlag.

Weiterführende Quellen

BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2010). Nationales Gesundheitsziel Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung. Kooperationsverbund gesundheitsziele.de. Berlin. Zugriff am 01.10.2019 unter www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/G/Gesundheitsziele/Broschuere_Nationales_Gesundheitsziel_-_Gesund_aufwachsen_Lebenskompetenz__Bewegung__Ernaehrung.pdf.
Health, W. H. O. D. o. M. (1993). Life Skills Education in Schools: Parts 1 & 2. World Health Organization.
Jerusalem, M. & Meixner, S. (2009). Lebenskompetenzen. In A. Lohaus & H. Domsch (Hrsg.). Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter. Berlin und Heidelberg: Springer.
Kröninger-Jungaberle, H., Nagy, E., von Heyden, M., DuBois, F. and the REBOUND Participative Development Group. (2014). REBOUND: A media-based life skills and risk education programme. Health Education Journal, 1–15. doi:10.
Weichold, K. & Silbereisen, R. K. (2007). Positive Jugendentwicklung und Prävention. In B. Röhrle (Hrsg.). Prävention und Gesundheitsförderung Band III. für Kinder und Jugendliche (S. 103–125). Tübingen: DGVT Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie.

Internetadressen:

Älter werden in Balance: www.aelter-werden-in-balance.de
Eigenständig werden: www.eigenstaendigwerden.de
Förderverein Stiftung FREUNDE e.V: www.stiftung-freunde.eu/Freunde/index.aspx
Gesund und aktiv älter werden: www.gesund-aktiv-aelter-werden.de/start
Gesunde Städte-Netzwerk: https://gesunde-staedte-netzwerk.de
Grüne Liste Prävention: www.gruene-liste-praevention.de
Klasse2000: www.klasse2000.de
MOtivierende KurzinterVEntion mit Eltern im Elementarbereich: www.kita-move.de
Lions-Quest: www.lions-quest.de
Papilio – Kinder brauchen Flügel: www.papilio.de
Schulentwicklungspreis Gute gesunde Schule: www.schulentwicklungspreis.de
Stark bleiben – Suchtfrei alt werden: www.starkbleiben.nrw.de/Gesundheit-im-Alter

Verweise:

Empowerment/Befähigung, Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen, Gesundheitsförderung und Schule, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Resilienz und Schutzfaktoren, Salutogenese, Soziale Netzwerke und Netzwerkförderung, Stress und Stressbewältigung