Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Antje Richter-Kornweitz , Gerda Holz

(letzte Aktualisierung am 18.12.2023)

Zitierhinweis: Richter-Kornweitz, A. & Holz, G. (2023). Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i137-1.0

Zusammenfassung

Die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) ist ein differenziertes System zur Erziehung, Betreuung, Förderung und zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Sie prägt mit ihren Leistungen und Angeboten entscheidend die elementaren Sozialisationsprozesse und Lebenswelten in Kindheit und Jugend. Die KJH soll zu einem gelingenden Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen sowie zur Integration der jungen Generation in die Gesellschaft beitragen und beschäftigt dazu eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren. Zu den Prinzipien und Standards der Gesundheitsförderung zur Förderung des Aufwachsens in Wohlergehen besteht eine fachliche Nähe, auch ist Gesundheitsförderung bereits teilweise Bestandteil von Leistungen in den verschiedenen Arbeitsfeldern der KJH. Vereinzelte, zeitlich begrenze Initiativen oder allein verhaltensorientierte Ansätze zur Förderung des gelingenden Aufwachsens in Wohlergehen, genügen jedoch ebenso wenig wie universell ausgerichtete Ansätze. Vor allem wenn es angesichts der gesellschaftlichen Realität ungleicher Kindheiten darum geht, Personengruppen mit erhöhten Vulnerabilitäten zu erreichen, sind sowohl individuell wie strukturell ausgerichtete Maßnahmen gefordert. Der Auftrag, kindliche Lebenswelten gesundheits- und entwicklungsgerecht zu gestalten, betrifft alle Ebenen der KJH, d. h. die Fachkräfteebene, die Ebene der Träger und die Kinder- und Jugendhilfe als System.

Schlagworte

Gesundheitsförderung, Prävention, Kinder- und Jugendhilfe, Inklusion, Aufwachsen in Wohlergehen, Vernetztes Handeln, Schnittstellenoptimierung, Integrierte kommunale Strategien, Sozialstaat, Sozialpolitik, Kinder- und Jugendpolitik


Kinder- und Jugendhilfe (KJH) ist die Bezeichnung für ein ebenso vielschichtiges wie vielgestaltetes sozialstaatliches System von Institutionen und Organisationen (siehe „Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland - Teil 1“ von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.) Sie umfasst Handlungsprogramme, Planungs- und Steuerungskonzepte, Angebote, Maßnahmen und Interventionsstrategien zur Erziehung, Betreuung, Förderung und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Unterstützung junger Volljähriger.

Die KJH ist neben den Sozialisationsorten Familie und Schule als eine „elementare Sozialisationsinstanz Kindheit und Jugend“ in unserer Gesellschaft zu verstehen (Schröer, Struck & Wolf 2016, S. 12), die sich in ihrer Ausführung unterschiedlich intensiv auf die familiäre Erziehung ausrichtet (IJAB 2023b).

Bedeutende, handlungsprägende Leitlinien der Kinder- und Jugendhilfe betreffen unter anderem den Abbau sozialer Ungleichheit und die Förderung von Inklusion, die Sozialraumorientierung (Gemeindeorientierung/Sozialraumorientierung) sowie die Einbeziehung der Akteursperspektive und der Alltagsrelevanz von Maßnahmen. Gesundheitsförderung gilt wie Prävention und Krankheitsprävention als inhaltlicher Bestandteil der KJH-Leistungen. Damit ist zugleich die Basis zur Zusammenarbeit mit Akteurinnen und Akteuren, Institutionen und Organisationen des Gesundheitsbereichs gegeben, wo Niedrigschwelligkeit, Lebensweltorientierung, Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) und Empowerment/Befähigung als konstitutive Elemente einer ungleichheitssensiblen Gesundheitsförderung für alle Kinder und Jugendlichen gelten.

Auftrag, Funktionen und Leitorientierungen der Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe soll zu einem gelingenden Aufwachsen sowie zur Integration der jungen Generation in die Gesellschaft beitragen. Dies beinhaltet den sozialpolitischen Gestaltungsauftrag zur Entwicklung der Infrastruktur vor Ort: durch individuelle Unterstützung und durch Mitgestaltung der Lebensbedingungen junger Menschen „Benachteiligung zu vermeiden oder abzubauen“ und „positive Lebensbedingungen für Kinder und ihre Familien“ sowie eine „kinder- und jugendfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII Ab.1). Die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen der KJH werden über eine Vielzahl von gesetzlichen Vorgaben geregelt, die wiederum ein breites Spektrum von Aufgaben und Leistungen sichern.

DieGrundziele der Kinder- und Jugendhilfe sind:

  • Die Förderung junger Menschen, die Vermeidung und der Abbau von Benachteiligungen (bis zum noch nicht vollendeten 27 Lebensjahr).
  • Die Beratung und Unterstützung der Eltern und anderer erziehungs- bzw. sorgeberechtigter Personen.
  • Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohlergehen.
  • Der Erhalt und die Schaffung positiver Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt.

Alle Maßnahmen der KJH sind an einer Inklusionsperspektive auszurichten. Somit werden Kinder und Jugendliche mit einer Beeinträchtigung in erster Linie als Kinder und Jugendliche gesehen. Die inklusive Perspektive verlangt ein Leistungsangebot für junge Menschen mit Beeinträchtigungen, das sich primär an der Lebenslage „Kindheit und Jugend“ orientiert und erst sekundär nach der Beeinträchtigung oder anderen möglichen Benachteiligungen und Belastungen in dieser Lebenslage differenziert.

Bundesrechtliche Grundlage für die KJH ist das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), wobei eine ergänzende Gesetzgebung durch die Bundesländer erfolgt. Das SGB VIII ist in zehn Kapitel untergliedert, die darin dezidiert Struktur, Aufgaben und Querschnittsverpflichtungen, die Kooperationsverpflichtung und das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten festlegt. Ebenso werden die Einzelleistungen bestimmt, also die Hilfen zur Erziehung sowie und der Aufgabenbereich der Träger der Jugendhilfe, ihr Zusammenwirken etwa in Form von Kooperation und Gesamtverantwortung, Aufgabenverteilung, ihre Zuständigkeit und die Kostenerstattung bis hin zu Statistik und Datenschutz. Die einzelnen Verpflichtungen werden in kommunaler Selbstverwaltung durch die Jugendämter in den Städten und Landkreisen umgesetzt(BMFSFJ 2022).

Ein besonderes Charakteristikum stellt das partnerschaftliche Zusammenwirken von öffentlichen und freien Trägern dar, insbesondere aus den Reihen der Wohlfahrtsverbände. Den Kommunen obliegt vor allem die Gesamtsteuerung im Form der Gesamt-, Entscheidungs- und Leistungsverantwortung. Die freien Träger sind unter Beachtung ihrer inhaltlichen und organisatorischen Autonomie vorrangig bei der Ausgestaltung einzubinden. „Wenn freie Träger geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen unterhalten oder rechtzeitig schaffen können, soll die öffentliche Jugendhilfe gemäß § 4, Abs. 2 von eigenen Maßnahmen absehen.“ (Beher 2016, S. 709)

Auftrag und Prinzipien der Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter

Für ein gelingendes Aufwachsen im Wohlergehen ist Gesundheit unverzichtbare Bedingung und Voraussetzung altersgemäßer kindlicher Entwicklung. Gesundheit ist als konstitutiver Bestandteil des Alltags junger Menschen und als Derivat ihrer Lebensumstände zu verstehen. Gesundheitsförderung soll auch jungen Menschen ein hohes Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit ermöglichen (WHO 1986) (Gesundheitsförderung 1: Grundlagen).

Jedoch sind reine Verhaltensbotschaften, die an Kinder, Jugendliche und Familien gerichtet werden, schon im Allgemeinen und erst recht bei einer ungünstigen Belastungs-Ressourcen-Bilanz schwer umzusetzen. Ihre individuelle Handlungsfreiheit wird durch soziale, politische und wirtschaftliche Möglichkeiten und den sie umgebenden Sozialzusammenhang erheblich bestimmt bzw. beschränkt (vgl. Sen 2000; Settingansatz−Lebensweltansatz), weshalb die positive Beeinflussung der eigenen Entwicklung nicht nur von der Verfügbarkeit personaler Ressourcen abhängt. Sie wird vielmehr durch einen dynamischen Austauschprozess zwischen dem Subjekt und den umgebenden sozialen Systemen (wie Familie, Nachbarschaft, Gesellschaft) beeinflusst, in dem über die strukturellen Bedingungen von Handlungsfähigkeit entschieden wird, die Selbstsorge und Verantwortungsübernahme erst erlauben (vgl. Keupp 2020, S. 30 f.). Daher zielt Gesundheitsförderung in dieser Lebensphase auch auf die Ressourcen, die Kinder, Jugendliche und ihre Familien in der Auseinandersetzung mit Risiken und Belastungen in ihrer Lebenswelt vorfinden, außerdem auf ihre Befähigung zum selbstbestimmten Handeln angesichts von ungleichen, im Sinne von ungerecht verteilten Gesundheitschancen.

Dies impliziert multiple Anforderungen an die Gesundheitsförderung. Sie soll sich an der aktuellen Datenlage zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen orientieren, lebenslagen- und lebensphasenorientiert (Lebenslagen und Lebensphasen) sowie geschlechtsspezifisch ausgerichtet sein. Es sollen gesundheitsfördernde und präventive Elemente in der Lebenswelt gestärkt sowie die eigenen Vorstellungen, die Kinder und Jugendliche von ihrer Gesundheit haben, „vom Kind aus denkend“ berücksichtigt werden, um so gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu fördern (vgl. Gesundheitsförderung im Kindesalter). Hier ergeben sich wesentliche Anknüpfungspunkte zu den Leitorientierungen, Aufgaben und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe.

Anforderungen an Fachkräfte, Träger und das System der Kinder- und Jugendhilfe

Bislang nimmt die Gesundheitsförderung als Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe keinen explizit geregelten Raum ein und wird meist nur peripher erwähnt. Unter anderem wird argumentiert, Gesundheitsförderung sei „eine in der Kinder- und Jugendhilfe generell zu beachtende Querschnittsaufgabe, die vor allem im Sinne von Schutz vor gesundheitlichen Gefahren und positiv im Sinne des Aufbaus gesundheitsfördernder Kompetenzen und Potenziale zu verstehen ist“ (AGJ & BVKJ 2012, S. 18).

So läuft Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zwar des Öfteren mit; auch wird häufiger die mögliche Erreichbarkeit von Kindern, Jugendlichen und Familien in den Einrichtungen genutzt, um dort Angebote der verhaltensbezogenen Prävention durchzuführen. Weniger verbreitet ist aber die explizite, systematische Entwicklung und Durchführung passender (Einrichtungs-)Konzepte und Strategien. Sehr selten sind zudem koordinierte und partizipative Lern- und Entwicklungsprozesse in der umgebenden Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Familien, die ihre Gesundheit positiv und nachhaltig beeinflussen können (vgl. Settingansatz−Lebensweltansatz). Als integraler Bestandteil von kommunaler Jugendhilfe (ebenso Bildungs- bzw. Sozialplanung) wird Gesundheitsförderung oftmals nur wenig gesehen oder gar übersehen.

Angesichts der gesellschaftlichen Realität „ungleicher Kindheiten“ (vgl. Betz 2008) und den daraus ableitbaren Folgen ist die konsequente Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in all ihren Handlungsfeldern am Ziel des gelingenden Aufwachsens im Wohlergehen ebenso nötig wie die differenzierte Weiterentwicklung anschlussfähiger Konzepte zur Gesundheitsförderung und Prävention. Dabei sind die vielfältigen Entwicklungspfade in Kindheit und Jugend sowie die engagierte Gestaltung der Infrastruktur zugunsten umfassender Teilhabechancen in den verschiedenen Lebensbereichen zu beachten (BMFSFJ 2009).

Zentral ist zudem, soziale Ungleichheit auch als ungleich, im Sinn von ungerecht verteilten Gesundheitschancen, zu verstehen (Mielck & Wild 2021), was beispielsweise mit den Startbedingungen ins Leben oder den allgemeinen Rahmenbedingungen für gelingendes Aufwachsen im Wohlergehen zu verknüpfen ist.

Zwischen Gesundheitsförderung nach den genannten Prinzipien wie Lebenslauf- und Lebenslagenorientierung, Ressourcen- und Akteursorientierung sowie Befähigungsgerechtigkeit und den Konzepten sowie fachlichen Standards der Kinder- und Jugendhilfe gibt es eine große Nähe. Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sind teilweise bereits Bestandteil von Leistungen der KJH in ihren verschiedenen Arbeitsfeldern (Smessaert 2022). Vereinzelte, zeitlich begrenze Initiativen oder allein verhaltensorientierte Ansätze genügen jedoch genauso wenig wie universell ausgerichtete Ansätze (Prävention und Krankheitsprävention). Vor allem wenn es darum geht, Personengruppen mit erhöhten Vulnerabilitäten zu erreichen, bedeutet dies für alle Akteurinnen und Akteure sowie Institutionen, sich mit gesundheitsfördernden Maßnahmen stärker an den jeweiligen Lebenswelten und an Verteilungsgerechtigkeit zu orientieren (vgl. Rademaker 2020) und diese über die Entwicklung koordinierter und partizipativ angelegter Konzepte und Strategien in den verschiedenen Handlungsfeldern wirkungsorientiert zu verankern.

Die Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendhilfe prägen entscheidend die elementaren Sozialisationsprozesse und Lebenswelten in Kindheit und Jugend (Settingansatz−Lebensweltansatz). Ihr Wirken ist auf verschiedenen Ebenen relevant. Das betrifft die Fachkräfteebene, die Ebene der Träger und die Kinder- und Jugendhilfe als System, was mit unterschiedlichen Aufträgen verknüpft werden muss.

Auftrag für Fachkräfte

Fachkräfte in Einrichtungen sind gefordert, sich aktiv Kindern, Jugendlichen und Familien zuzuwenden, für die in ihrer aktuellen Situation andere Themen als Gesundheit höhere Priorität haben (müssen). So sind beispielsweise die von den Familien als vordringlich angesehenen Herausforderungen ihres Alltags (armuts-)sensibel anzuerkennen, um die Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zugunsten des gelingenden Aufwachsens im Wohlergehen in allen Feldern der KJH engagiert angehen zu können. Vorrangig ist dabei, die gesundheits- und entwicklungsgerechte Gestaltung der kindlichen Lebenswelt gezielt ins Zentrum des fachlichen Handelns zu rücken und diese Form der Verhältnisprävention als Teil der gesellschaftlichen Fürsorgepflicht zu verstehen (vgl. De Bock, F., Geene, R., Hoffmann, W. & Stang, A. 2017, S. 2).

Vernetztes Handeln, die Intensivierung von Kooperationsbeziehungen, die Sicherung und Optimierung von Schnittstellen sowie die Verbesserung von Übergängen sind dabei wichtige und auch arbeitsintensive Aufträge, wobei es weniger um die Verteilung neuer Aufgaben geht als um das erfolgreiche Zusammenwirken benachbarter Professionen (Keupp 2020). Vertiefte Einblicke und eine Handlungsorientierung für die gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben bieten diesbezüglich die weiterhin aktuellen Leitlinien und Empfehlungen des 13. Kinder- und Jugendberichts (BMFSFJ 2009, S. 250 ff.).

All das liegt nicht allein in der Verantwortung der Fachkräfte in der Zusammenarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien. Es ist Aufgabe der jeweiligen Führungskräfte, umzusteuern, die notwendigen Strukturen zu sichern, Zusammenarbeit an Schnittstellen zu sichern und für die Rahmenbedingungen zu sorgen, unter denen vernetztes Handeln gelingen und fachliche Standards integriert werden können.

Auftrag für Träger

Die Träger der öffentlichen und der freien Kinder- und Jugendhilfe sind – nicht zuletzt wegen ihres allgegenwärtigen Wirkens – Ansprechpartner auch für den Gesundheitsbereich. Die regelhafte Kooperation beider Bereiche wird spätestens seit dem Erscheinen des 13. Kinder- und Jugendberichts angemahnt (BMFSFJ 2009; AGJ & BVKJ 2012; Trojan, Reisig & Kuhn 2016; Liel & Rademaker 2020). Dem kommen benachbarte fachliche Prinzipien entgegen wie die Priorität der Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger), die Einbeziehung des Kindeswillens bzw. die Akteursorientierung in allen Handlungsfeldern bezüglich Bedarf, Umsetzung und Anwendbarkeit von Maßnahmen aus der Nutzerperspektive, wie sie unter anderem die lebensweltorientierte Arbeit kennzeichnen (Rademaker 2020). Gemeinsam ist ihnen auch der Anspruch, Inklusion und Teilhabechancen für alle Kinder und Jugendlichen zugunsten des Aufwachsens in Wohlergehen zu fördern.

Diese Standards gelten als Anforderungen an Organisationen, Institutionen sowie Akteurinnen und Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe. Sie sind als konzeptionelle Vorgaben an jede einzelne KJH-Einrichtung zu verstehen und können als Brücken zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitsbereich genutzt werden. Auftrag der KJH-Träger ist, dies gezielt zu ermöglichen und weiterzuentwickeln, sodass Synergien und anschlussfähige Konzepte entstehen und insgesamt die Rahmenbedingungen des Aufwachsens verbessert werden. Vertiefende Hinweise hierzu liefert der 13. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2009, S. 250 ff.).

Auftrag an die Kinder- und Jugendhilfe als System

Die Kinder- und Jugendhilfe ist in Lebensbereichen und Institutionen präsent, die auf die Biografien von jungen Menschen und deren Alltagsgestaltung erheblichen Einfluss nehmen können. Sie ist aufgrund ihres politischen Auftrags, ihrer lokalen Verbreitung und ihres Anspruchs, nahe an Kindern, Jugendlichen und Familien zu sein, angesprochen, Sektorengrenzen zu überwinden. Ihr Auftrag ist es, sich gemeinsam mit Institutionen und Akteurinnen und Akteuren anderer (fach-)politischer Bereiche für gesellschaftliche Rahmenbedingungen so einzusetzen, dass die maßgeblichen strukturellen Unterschiede für ein Aufwachsen im Wohlergehen überwunden werden. Dieser Auftrag berührt das gesetzlich garantierte Recht von Kindern und Jugendlichen auf eine bestmögliche Gesundheit, das es zu wahren gilt.

Dazu sind die Aktivitäten konzeptionell und gesamtstrategisch einzubinden und durch Politik auf Landes- und Bundesebene entsprechend der HiAP-Strategie zu unterstützen (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies [HiAP]). Die immer wieder geforderten integrierten Ansätze, die bereits den Ansatz der Frühen Hilfen prägen, sowie das zunehmend auf kommunaler Ebene realisierte Konzept der Präventionsketten (Präventionskette - Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention) oder beispielsweise das Konzept des Landes Bremen zur ressortübergreifenden Gesamtkoordination und -strategie „Frühe Kindheit“ (Freie Hansestadt Bremen 2022), sind bereits erfolgreich auf dem Weg, diese fachpolitischen Ansprüche zu vereinen.

Literatur:

AGJ & BVKJ – Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe und Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (2012). „Gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen – Kooperation von Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe“. Gemeinsame Handlungsempfehlungen Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ und Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte – BVKJ. Berlin.

Betz, T. (2008). Ungleiche Kindheiten: Theoretische und empirische Analysen zur Sozialberichterstattung über Kinder. Weinheim/München: Juventa.

Beher, K. (2016). Träger der Kinder- und Jugendhilfe. In: W. Schröer, N. Struck & M. Wolff (Hrsg.). Handbuch Kinder- und Jugendhilfe (S. 702−720). 2. Auflage, Weinheim: Beltz/Juventa.

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2009). 13. Kinder- und Jugendbericht. Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen − Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe. Berlin. Zugriff am 09.08.2023 unter www.bmfsfj.de/resource/blob/93144/f5f2144cfc504efbc6574af8a1f30455/13-kinder-jugendbericht-data.pdf.

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2022). Fragen und Antworten: Kinder- und Jugendhilfe. Berlin. Zugriff am 09.08.2023 unter www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und-jugendschutz/fragen-und-antworten-kinder-und-jugendhilfe/fragen-und-antworten-kinder-und-jugendhilfe-86352.

De Bock, F., Geene, R., Hoffmann, W. & Stang, A. (2017). Vorrang für Verhältnisprävention.Handreichung aus der Steuerungsgruppe des Zukunftsforums Public Health für alle. Berlin. Zugriff am 18.09.2023 unter https://zukunftsforum-public-health.de/wp-content/uploads/2018/08/Vorrang-fuer-Verhaeltnispraevention.pdf.

Freie Hansestadt Bremen (2022). Eckpunktepapier. Für ein Aufwachsen in Wohlergehen. Entwicklung einer ressortübergreifenden Gesamtstrategie „Frühe Kindheit“. Bremen. Zugriff am 18.09.2023 unter https://www.bildung.bremen.de/sixcms/media.php/13/20220916_Eckpunktepapier_Gesamtstrategie%20Fr%C3%BChe%20Kindheit.pdf.

Keupp, H. (2020). „Der Fortschritt ist eine Schnecke“ – Wie weit sind wir eine Dekade nach dem 13. Kinder- und Jugendbericht? In: K. Liel & A. L. Rademaker. Gesundheitsförderung und Prävention – Quo vadis Kinder- und Jugendhilfe (S. 22−45). Weinheim: Beltz/Juventa.

Liel, K. & Rademaker, A. L. (2020). Gesundheitsförderung und Prävention – Quo vadis Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim: Beltz/Juventa.

Mielck, A. & Wild, V. (2021). Welche Ungleichheit ist „ungerecht“– und welche nicht? In: Impulse für Gesundheitsförderung, 03/2021, S. 3−4. Zugriff am 09.08.2023 unter www.gesundheit-nds-hb.de/fileadmin/Publikationen/Impulse/impulse-nr112-web.pdf.

Rademaker, A. L. (2020). Gesundheitsförderung: Ein fachlicher Standard in der Kinder- und Jugendhilfe. In: K. Liel & A. L. Rademaker (2020). Gesundheitsförderung und Prävention – Quo vadis Kinder- und Jugendhilfe (S. 184−198). Weinheim: Beltz/Juventa.

Sen, A. (2000). Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München: Hanser.

Smessaert, A. (2022). Editorial. In: Forum Jugendhilfe 02/2022.

Trojan, A., Reisig V. & Kuhn, J. (2016). Gesundheitsförderung in Städten und Gemeinden. Entwicklungsstand und Perspektiven für das Setting „Kommune“ nach Verabschiedung des Präventionsgesetzes. In: Prävention und Gesundheitsförderung, 4/2016, S. 259−264. Zugriff am 30.08.2023 unter https://doi.org/10.1007/s11553-016-0557-y.

Schröer, W., Struck, N. & Wolff, M. (Hrsg.) (2016): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. 2. Auflage, Weinheim: Beltz/Juventa.

WHO – Weltgesundheitsorganisation (1986). Ottawa Charta for Health Promotion. Genf: WHO.

Verweise:

Empowerment/Befähigung, Frühe Hilfen, Gesundheit, Gesundheit in allen Politikfeldern / Health in All Policies (HiAP), Gesundheitsförderung 1: Grundlagen, Gesundheitsförderung im Kindesalter, Lebenslagen und Lebensphasen, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Prävention und Krankheitsprävention, Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention, Settingansatz/Lebensweltansatz, Sozialraum- und Gemeindeorientierung in der Gesundheitsförderung