Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Anne Kaman , Ulrike Ravens-Sieberer
Zitierhinweis: Kaman, A. & Ravens-Sieberer, U. (2024). Gesundheitsbezogene Lebensqualität. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität umfasst das subjektive Wohlbefinden in verschiedenen Lebensbereichen. Eine einheitliche Definition existiert bislang nicht, meist werden jedoch körperliche, psychologische, soziale, familiäre und arbeits- bzw. schulbezogene Faktoren berücksichtigt. Dieses Verständnis führt zunehmend zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin: Der Erfolg einer Behandlung wird nicht mehr nur an körperlichen Befunden gemessen, sondern auch an den individuellen Einschätzungen der Patientinnen und Patienten. Zahlreiche Studien haben die gesundheitsbezogene Lebensqualität in den vergangenen Jahren untersucht – allerdings ohne auf eine entwickelte Theorie zurückgreifen zu können.
Schlagworte
Subjektive Gesundheit, Wohlbefinden
Lebensqualität als Forschungsfeld
Der Begriff der Lebensqualität wird in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. In die Politikgestaltung hat Lebensqualität als qualitatives Gegenkonzept zu einem quantitativen Verständnis von Lebensstandard seit den 1970er-Jahren Eingang gefunden (Lebensqualität – ein Konzept der individuellen und gesellschaftlichen Wohlfahrt). Dabei werden quantifizierbare Lebensbedingungen in Bezug gesetzt zur subjektiven Wahrnehmung dieser Bedingungen und dem damit verbundenen Wohlbefinden. Versuche der Operationalisierung eines Konzepts der Lebensqualität sind gegenwärtig nicht mehr nur auf Ökonomie, Soziologie und Philosophie beschränkt, sondern werden auch in der Psychologie, Gesundheitsforschung und in der Medizin unternommen. Lebensqualität ist ein übergreifendes interdisziplinäres Forschungsfeld, in das sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität konzeptionell einordnen lässt.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität: ein multidimensionales Konstrukt
Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität handelt es sich um ein multidimensionales Konstrukt, das die Funktionsfähigkeit bzw. das subjektive Wohlbefinden in verschiedenen wichtigen Lebensbereichen umfasst. Es gibt zahlreiche Definitionen dieses Konstrukts, die in der Regel körperliche, emotionale bzw. psychologische, soziale, familiäre und oftmals auch arbeits- bzw. schulbezogene Aspekte berücksichtigen.
Im Rahmen der Entwicklung des Fragebogens WHOQOL durch die Quality of Life Assessment Group der Weltgesundheitsorganisation wurde ein sechsdimensionales Konstrukt definiert (WHOQOL Group 1995). Nach dieser Definition umfasst die gesundheitsbezogene Lebensqualität eine körperliche und eine psychische Dimension sowie Dimensionen zu sozialen Beziehungen, zu Lebensbedingungen und zur Spiritualität bzw. zur Religion oder zu persönlichen Überzeugungen.
Kritik erfährt das Konstrukt bzw. die zugehörige Forschung vor allem aufgrund eines Theoriemangels; es existiert weder eine fundierte Theorie, noch konnte bis dato eine erfolgreiche Anbindung des Konstrukts an eine bereits entwickelte Theorie geleistet werden. Bestimmte Befunde wie beispielsweise die Assoziation zwischen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und dem sozioökonomischen Status von Personen sind jedoch vielfach repliziert worden (Le et al. 2023; Otto et al. 2017). Die aktuelle Forschung nutzt zur Hypothesenbildung Befunde aus früheren Studien, die je nach Untersuchungsgruppe zahlreich bzw. begrenzt sind.
Psychische und soziale Dimensionen der Gesundheit
In der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität einer Person durch ihre individuelle gesundheitliche Situation und/oder medizinische Behandlung beeinflusst wird. Dementsprechend wird angenommen, dass sich der Erfolg einer Behandlung in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Patientinnen und Patienten widerspiegelt. Messverfahren zur Erfassung ihrer subjektiven Aussagen erfahren in der Medizin zunehmendes Interesse. Ihre Berücksichtigung stellt eine sinnvolle Ergänzung zu der in der Medizin üblichen Fokussierung auf körperliche Befunde dar.
Dieser Paradigmenwechsel in der Medizin geht u. a. auf eine Definition der WHO zurück, wonach neben dem körperlichen Zustand auch psychische und soziale Dimensionen die Gesundheit ausmachen. Die Zunahme chronischer Erkrankungen, die Auswirkungen dieser Erkrankungen und ihrer Behandlung auf das Wohlbefinden sowie die Funktionsfähigkeit der Patientinnen und Patienten sind von wachsendem Interesse in der Medizin, in der Pflege und in zugehörigen Forschungsbereichen (Epidemiologie und Sozialepidemiologie; Determinanten der Gesundheit).
Erfassung gesundheitsbezogener Lebensqualität
Zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wird grundsätzlich zwischen generischen und krankheitsspezifischen Instrumenten unterschieden. Generische Instrumente sind geeignet sowohl zum Einsatz in der Allgemeinbevölkerung (d. h. in gesunden Populationen) als auch in klinischen Populationen erkrankter Personen. Krankheitsspezifische Instrumente sind hingegen speziell für Patientinnen und Patienten mit bestimmten Erkrankungen entwickelt worden. Sie erfragen auch spezifische Beeinträchtigungen durch die vorliegende Erkrankung und dienen so beispielsweise der Erfassung der rheuma-spezifischen Lebensqualität.
Außerdem wird zwischen Instrumenten und Messverfahren für die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern bzw. Jugendlichen und von Erwachsenen unterschieden. Speziell für Kinder bzw. Jugendliche entwickelte Instrumente gewährleisten eine altersgemäße Erfassung des Konstrukts. Etablierte und anerkannte Instrumente zur Erfassung der generischen gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen sind der KINDL-R (Ravens-Sieberer & Bullinger 1998) und der KIDSCREEN (Ravens-Sieberer & The KIDSCREEN Group Europe 2006). Die genannten Instrumente können zu Screening-, Monitoring- und Evaluationszwecken in nationalen und europäischen Gesundheitssurveys eingesetzt werden; u. a. wurden sie in der bundesweiten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) verwendet (Baumgarten et al. 2019). Als Instrumente zur Erfassung der krankheitsspezifischen Lebensqualität liegen für verschiedene Erkrankungen explizit entwickelte Fragebögen vor (z. B. DISABKIDS; The DISABKIDS Group Europe 2006).
Die genannten Instrumente für Kinder und Jugendliche werden jeweils sowohl als Selbstberichtsversionen als auch als Fremdbeurteilungsversionen angeboten. Im Ergebnis liefern sie ein Profil und einen Gesamt- bzw. Index-Wert.
Für Befragte ab 14 Jahren bis in das hohe Erwachsenenalter liegt der Short-Form-36 (SF-36) als vielfach eingesetzter Fragebogen vor (Ware & Sherbourne 1992; deutsche Version: Morfeld, Kirchberger & Bullinger 2011). Der SF-36 liefert ein Profil basierend auf den Werten zu acht erfassten Dimensionen sowie zwei Summenwerte aus Skalen, die sowohl die körperliche als auch die psychische Komponente zusammenfassend abbilden. Als weltweit anerkanntes Instrument wurde der SF-36 u. a. im Bundesgesundheitssurvey (Ellert & Kurth 2013) und in dem Modul zur psychischen Gesundheit der KiGGS-Studie (BELLA-Studie; Otto et al. 2021) bei erwachsenen Befragten eingesetzt.
Darüber hinaus seien hier innovative Entwicklungen wie die US-amerikanische Forschungsinitiative PROMIS (Patient-Reported Outcomes Measurement) sowie Computer-Adaptive Tests (CATs) besonders erwähnt. Die PROMIS-Initiative hat zum Ziel, die Erfassung und Konzeptualisierung von Patient-Reported Outcomes (u. a. Lebensqualität und subjektive Gesundheit) zu verbessern und auf Basis moderner testtheoretischer Methoden standardisierte Instrumente bereitzustellen. CATs sind psychometrisch reliabel und erlauben eine valide Messung anhand weniger Items, die für jeden Befragten individuell ausgewählt werden. Mithilfe eines statistisch anspruchsvoll entwickelten deutschsprachigen CAT (Kids-CAT) lässt sich die generische gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen erfassen (Barthel et al. 2017).
Gesundheitsbezogene Lebensqualität in der Forschung
In den vergangenen Jahren wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität in zahlreichen Studien sowohl im Rahmen der Gesundheitsforschung als auch in klinischen Studien untersucht, wobei unterschiedliche Ziele verfolgt wurden. So kann die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Bereich der Therapieforschung sinnvoll sein, um Therapieerfolge auch auf der subjektiven Ebene von Patientinnen und Patienten zu evaluieren. Die Berücksichtigung des Konstrukts kann auch im Rahmen der Entwicklung und Evaluation von Präventionsmaßnahmen wertvolle Informationen liefern. Zudem ist die gesundheitsbezogene Lebensqualität ein wichtiger Indikator des subjektiven Wohlbefindens für die Gesundheitsberichterstattung und kann sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch für einzelne Bevölkerungsgruppen (z. B. Ost- versus Westdeutschland) wichtige Informationen liefern. Damit hat das Konstrukt auch eine Bedeutung für die Public Health-Forschung (Gesundheitswissenschaften/Public Health).
Darüber hinaus wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität vielfach in ausgewählten Populationen (z. B. in spezifischen Krankheitsgruppen) untersucht. Die Resultate können dann zur näheren Beschreibung der jeweiligen Gruppen genutzt und mit Normdaten aus der Allgemeinbevölkerung verglichen werden.
Aussichten
Perspektivisch sollte geprüft werden, ob eine Implementierung regelmäßiger Messungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in die medizinische Routineversorgung dazu beitragen kann, die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. In diesem Zusammenhang wäre u. a. die Frage interessant, ob und inwieweit die Kommunikation von Ärztinnen und Ärzten mit Patientinnen und Patienten durch eine regelmäßige Messung des subjektiven Wohlbefindens der Patientinnen und Patienten unterstützt werden kann.
Literatur:
Barthel, D. et al. (2017). The validation of a computer-adaptive test (CAT) for assessing health-related quality of life in children and adolescents in a clinical sample: Study design, methods and first results of the Kids-CAT study. Quality of Life Research, 26(5), S. 1.105–1.117. doi: 10.1007/s11136-016-1437-9.
Baumgarten, F., Cohrdes, C., Schienkiewitz, A. et al. (2019). Gesundheitsbezogene Lebensqualität und Zusammenhänge mit chronischen Erkrankungen und psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 62, S. 1.205–1.214. doi: 10.1007/s00103-019-03006-9.
The DISABKIDS Group Europe (2006). The DISABKIDS-questionnaires for children with chronic conditions. Lengerich: Papst Science Publishers.
Ellert, U. & Kurth, B.-M. (2013). Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 56, S. 643–649. doi: 10.1007/s00103-013-1700-y.
Le, H. N. D., Mensah, F., Lange, K., Kerr, J. A., Edwards, B., Wang, Y., Dwyer, T., Wake, M. & Gold, L. (2023). Association between children's health-related quality of life, healthcare costs and socioeconomic position: Results from a longitudinal Australian-based study. Social Sciences and Humanities Open, 8(1), 100547. doi: 10.1016/j.ssaho.2023.100547.
Morfeld, M., Kirchberger, I. & Bullinger, M. (2011). SF-36. Fragebogen zum Gesundheitszustand – Deutsche Version des Short Form-36 Health Survey. 2. Auflage, Göttingen: Hogrefe.
Otto, C., Haller, A. C., Klasen, F., Hölling, H., Bullinger, M., Ravens-Sieberer, U. & BELLA study group (2017). Risk and protective factors of health-related quality of life in children and adolescents: Results of the longitudinal BELLA study. PloS one, 12(12), e0190363. doi: 10.1371/journal.pone.0190363.
Otto, C., Reiss, F., Voss, C., Wüstner, A., Meyrose, A. K., Hölling, H. & Ravens-Sieberer, U. (2021). Mental health and well-being from childhood to adulthood: design, methods and results of the 11-year follow-up of the BELLA study. European Child & Adolescent Psychiatry, 30(10), S. 1.559–1.577. doi: 10.1007/s00787-020-01630-4.
Ravens-Sieberer, U. & Bullinger, M. (1998). Assessing health-related quality of life in chronically ill children with the German KINDL: First psychometric and content analytical results. Quality of Life Research, 7(5), S. 399–407.
Ravens-Sieberer, U. & The KIDSCREEN Group Europe (2006). The KIDSCREEN questionnaires: quality of life questionnaires for children and adolescents. Handbook. Lengerich: Pabst Science Publishers.
Ware, J. E. Jr. & Sherbourne, C. D (1992). The MOS 36-Item short-form health survey (SF-36): I. Conceptual framework and item selection. Medical Care, 30(6), S. 473–483.
WHOQOL Group (1995). The World Health Organization quality of life assessment (WHOQOL): Position paper from the World Health Organization. Social Science & Medicine, 41(10), S. 1.403–1.409.
Weiterführende Quellen
International Society for Quality of Life Research – ISOQOL (2019). Zugriff am 06.08.2024 unter www.isoqol.org.
Mapi Research Trust (2019). PROQOLID (Patient-reported outcome and quality of life instruments database). Zugriff am 06.08.2024 unter https://eprovide.mapi-trust.org/about/about-proqolid.
Ravens-Sieberer, U., Klasen, F., Bichmann, H., Otto, C., Quitmann, J. & Bullinger, M. (2013). Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen. (Assessment of health-related quality of life in children and adolescents). Das Gesundheitswesen, 75(10), S. 667–678. doi: 10.1055/s-0033-1349555.
RKI − Robert Koch-Institut (o. D.). Gesundheit in Deutschland. Zugriff am 06.08.2024 unter https://gesundheit-in-deutschland.de/de.
Schumacher, J., Klaiberg, A. & Brähler, E. (2003). Diagnostik von Lebensqualität und Wohlbefinden – Eine Einführung. In: J. Schumacher, A. Klaiberg & E. Brähler (Hrsg.). Diagnostische Verfahren zu Lebensqualität und Wohlbefinden (S. 9–23). Göttingen: Hogrefe.
Springer Nature Switzerland AG (o. D.). Quality of life research – An international journal of quality of life aspects of treatment, care and rehabilitation – An official journal of the International Society of Quality of Life Research. Zugriff am 06.08.2024 unter https://link.springer.com/journal/11136.
Verweise:
Determinanten der Gesundheit, Epidemiologie und Sozialepidemiologie, Gesundheitswissenschaften / Public Health, Lebensqualität - ein Konzept der individuellen und gesellschaftlichen Wohlfahrt