Lernpsychologische Perspektive

Thomas von Lengerke , Peter Franzkowiak

(letzte Aktualisierung am 09.09.2022)

Zitierhinweis: von Lengerke, T. & Franzkowiak, P. (2022). Lernpsychologische Perspektive. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i074-2.0

Zusammenfassung

Lernen als erfahrungsbasierter Erwerb von Wissen und Fertigkeiten ist ein Kernkonzept der Psychologie und eine zentrale Grundlage gelingender Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Lernformen eingeführt und lernpsychologisch fundierte Techniken der Verhaltensveränderung (Behaviour Change Techniques) exemplarisch beschrieben. Abschließend werden die Lerntheorien in aktuelle Public Health-Entwicklungen eingeordnet und Forschungsdesiderate beschrieben.

Schlagworte

Lernen, Lernformen, Verhalten, Handeln, Techniken der Verhaltensveränderung (Behaviour Change Techniques)


Einführung

Lernen kann als „Erwerb von Wissen und Fertigkeiten“ definiert werden (Faller & Lang, 2019, S. 125). Das Wort „kann“ in diesem einleitenden Satz soll andeuten, dass – wie in der Wissenschaft die Regel – auch für das Konzept „Lernen“ keine von allen vollständig geteilte Definition existiert. Etymologisch geht der Begriff auf das Gotische „lais = »ich weiß«, eigentlich »ich bin wissend geworden, habe erfahren, habe nachgespürt«“ zurück (www.dwds.de/wb/etymwb/lernen). Als weiterer Bezug wird das indogermanische „*leis- »am Boden gezogene Spur, Furche«“ (www.dwds.de/wb/etymwb/lehren) genannt, so dass als Ausgangsbedeutung „auf der Spur des Wildes sein, sie beobachten und erkennen“ (ebd.) möglich ist.

Wie immer man sich jedoch dem Begriff nähert: „Lernen“ verweist als Konstrukt auf Prozesse, im Rahmen derer Menschen auf Erfahrung beruhende psychische Potenziale entwickeln, die Handlungen und Verhaltensweisen – und damit die Interaktion mit der jeweils präsenten Umwelt – ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund ist das Phänomen „Lernen“ für Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung vor allem deshalb bedeutsam, weil Lernprozesse auf die wichtigsten Risikofaktoren für vorzeitige Mortalität direkt oder indirekt Einfluss nehmen. So waren 2019 global 10,8 Millionen bzw. 19,2 % aller Todesfälle auf systolischen Bluthochdruck, 8,7 Millionen bzw. 15,4 % auf Tabakkonsum und 7,9 Millionen bzw. 14,1 % auf ernährungsbezogene Risikofaktoren attributabel (G. B. D. Risk Factors Collaborators, 2020). Mithin ist davon auszugehen, dass derzeit die „Top 3“ der weltweiten Todesursachen entweder verhaltens-mitbedingt (Bluthochdruck) oder selbst Verhaltensweisen (Rauchen, Ernährung) sind.

Definition und Klassifikation

Wenn durch den Erwerb von Wissen und Fertigkeiten auf Erfahrung beruhende, vergleichsweise dauerhafte Verhaltenspotenziale aufgebaut werden, spricht man in der Psychologie von „lernen“. Häufig werden in dieser Definition entsprechende Veränderungen im Verhalten selbst inkludiert. Dieser Konzeption von Verhaltensveränderung als Lernprozess nicht zu folgen hat jedoch Vorteile, auch wenn die Rede von „erlerntem Verhalten“ alltagssprachlich verständlich sein mag und die historisch enge Bindung einiger psychologischer Lerntheorien zum Behaviorismus widerspiegelt. Denn es wird dadurch berücksichtigt, dass Lernen selbst nicht direkt beobachtbar ist, sondern vielmehr die Handlungen und Verhaltensweisen eines Menschen, die sich im Lauf der Zeit ändern und auf Prozesse des Lernens zurückgeführt werden können. Handeln und Verhalten stellen in diesem Sinne also Ergebnisse (nicht Teile) von Lernprozessen dar. Dabei ist die Beziehung reziprok: nicht nur fördert (oder verhindert) Lernen Verhalten, regelmäßige Ausführung von Verhalten kann auch Lernprozesse fördern („Übung macht den Meister“ bzw. englisch „practice makes perfect“).

Grundsätzlich können fünf Formen des Lernens unterschieden werden, denen historisch auch verschiedene wissenschaftliche Modellvorstellungen zugrunde liegen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über diese Lernformen.

NamePrinzipZentrale Konzepte

Klassische Konditionierung

Reiz-Reaktions-Lernen, Kontingenzlernen, „respondentes Modell“ 
  • Auslösen einer Reaktion durch einen Reiz, der die Reaktion ursprünglich nicht auslöst, jedoch durch zeitliche Kopplung (Kontiguität) mit einem initial reaktionsauslösenden (also unkonditionierten) Reiz eine entsprechende Signalfunktion erhält und dann die Reaktion auslöst (= zu einem konditionierten Reiz wird)
 
Operante KonditionierungLernen durch Konsequenzen, Lernen am Erfolg, „operantes Modell“ 
  • Positive Verstärkung (angenehme Konsequenzen à Belohnung)
  • Negative Verstärkung (Entzug aversiver Konsequenzen)
  • Direkte Bestrafung (aversive Konsequenzen)
  • Indirekte Bestrafung (Entzug angenehmer Konsequenzen)
  • Verstärkerpläne
 
BeobachtungslernenLernen am Modell 
  • Lernen durch Nachahmung/Imitation
  • Soziales Lernen an Verhaltensmodellen
  • Verstehen von Handlungen und Übernahme des Modellverhaltens: Informationsaufnahme (Aufmerksamkeitsprozesse), -verarbeitung und -speicherung, Verstärkungs- und Motivationsprozesse
 
Lernen durch EinsichtErwerb von Wissen und Begriffen 
  • Kognitionen: Gedankliche Prozesse und Inhalte, die im Zusammenwirken mit der Umwelt Handeln und Verhalten vermitteln
  • Bildung von Begriffen und Begriffshierarchien
  • Assimilation (Regellernen, rezeptives Lernen, entdeckendes Lernen)
  • Repräsentation und mentale Modelle (Vernetzung sprachlicher, bildhafter und handlungsbezogener Vorstellungen von Ausschnitten der Realität)
  • Gedächtnis (Erinnern und Vergessen)
 
Lernen durch SelbstregulationSelbstmanagement, Erwerb von Problemlösekompetenzen 
  • Handeln als zielgerichtetes Verhalten
  • Handlungs-Ergebnis-Erwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen (Handlungskompetenzen)
  • Vermittlung zwischen Motivation und Handeln durch Pläne (Volition)
  • Handlungssteuerung
  • Problemlösen (Versuch/Irrtum, Umstrukturierung, Strategien/Heuristiken, Kreativität, Systemdenken)
 

Tab. 1: Fünf Formen des Lernens aus psychologischer Sicht im Überblick (eigene Darstellung)

Zuweilen werden noch Habituation (Gewöhnung: Abschwächung einer Reaktion bei längerer oder wiederholter Darbietung eines auslösenden Reizes) und Dishabituation sowie Sensitivierung (Verstärkung einer Reaktion bei längerer oder wiederholter Darbietung eines Reizes) als nicht-assoziative Lernformen beschrieben. Einen sehr guten Überblick zur Lernpsychologie geben Edelmann und Wittmann (2019).

Die in Tabelle 1 dargestellten Lernformen spielen in der Klinischen Psychologie für die kognitive Verhaltenstherapie eine grundlegende Rolle, einem psychotherapeutischen Verfahren also, das an der Veränderung pathogener gedanklicher Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verarbeitungsmuster ansetzt, welche unerwünschte Verhaltensweisen fördern (Faller & Lang, 2019). Eines ihrer Kernelemente ist das sogenannte SORCK-Modell. Es bildet die Komponenten Stimuli, Organismus, Reaktionen, Konsequenzen (Consequences) und Kontingenzen ab und ermöglicht mithin die systematische Analyse von Verhaltensweisen und den dazu beitragenden Lernprozessen (zu Grundlagen der Verhaltenstherapie vgl. auch Margraf & Schneider, 2018).

Für ein Leitbegriffskompendium der Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung, für die therapeutische Verfahren weniger zentral sind, ist hierbei von besonderem Belang, dass nicht nur psychopathologisches Verhalten, sondern auch „normale“ und sozusagen „nur“ ungesunde Verhaltensweisen Lernprozessen unterliegen. Denn die Prinzipien, die den verschiedenen oben genannten Lernformen unterliegen, gelten aus Sicht der allgemeinen Psychologie als universell. Dementsprechend sollten lernpsychologisch begründete Interventionen der Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung auch dem Grundverständnis der wissenschaftlichen Psychologie folgen, deren Ziele das Beschreiben, Erklären, Vorhersagen und Modifizieren von (im vorliegenden Zusammenhang gesundheitsrelevanten) Verhaltens- und Handlungsweisen durch die Suche nach Gesetzmäßigkeiten mittels Theoriebildung, Operationalisierung und empirischer Überprüfung sind (Gerrig, 2018). Dem liegt ein Menschenbild zugrunde, das nicht nur grundsätzliche Lernfähigkeit unterstellt, sondern eine über klassisch-behavioristische Vorstellungen, die von einer weitgehenden Außensteuerung des Menschen im Sinnen der assoziativen Lernformens des klassischen und operanten Konditionierens ausgehen, hinaus seine potenzielle (Selbst-)Reflexivität, Intentionalität und Handlungsfähigkeit betont (Edelmann & Wittmann, 2019; Groeben & Scheele, 2010).

Ob dies zwingend die Konzeption „Man-the-Scientist“ (Chiari, 2020; Kelly, 1955) impliziert, dass also Menschen Ereignisse ihres Lebens aktiv gestalten, vorhersagen und kontrollieren wollen (und – teilweise – auch können), sei an dieser Stelle offengelassen; in jedem Fall sollte jedoch das Argument der Selbstanwendbarkeit auch von Lerntheorien – also ihre prinzipielle Gültigkeit auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst – sowohl aus wert- als auch zweckrationalen Gründen handlungsleitend sein (Groeben, 1979, 1990).

Anwendung: Verhaltensveränderungstechniken

Zunächst ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass (nicht nur) psychologische Theorien häufig „nur“ beschreiben, was geändert werden sollte, und nicht, wie dies geschehen kann. Eine systematische Zuordnung sogenannter Behaviour Change Techniques (BCTs; Michie et al., 2013) zu handlungs- und verhaltensfördernden Faktoren und Mechanismen (und damit auch Lernprozessen) wird seit einigen Jahren von der Arbeitsgruppe um die britische Psychologin Susan Michie vorangetrieben (ebd.; Carey et al., 2019; Connell et al., 2019; Johnston et al., 2021). Neben dem Argument der Evidenzbasierung steckt dahinter auch die Überzeugung, dass die Beschreibung von Interventionen, die sich auf das Handeln und Verhalten von Menschen beziehen, ähnlich vereinheitlichte Begriffe verwenden sollte, wie somatomedizinische Arbeiten (z. B. Medikamentenstudien), damit ihre Nachvollziehbarkeit und Anwendbarkeit in anderen Kontexten gefördert wird.

Tabelle 2 listet eine Auswahl der 93 BCTs (zu deren 16 Oberkategorien vgl. Tabelle 2 im Leitbegriff Erklärungs- und Veränderungsmodelle 2: Theoriebasierte Interventionsplanung), die besonders enge Bezüge zu den oben beschriebenen Lernformen haben (unter www.bct-taxonomy.com steht ein Online-Training zu den BCTs zur Verfügung). Diese Techniken sind vielfach erprobt und werden oftmals seit Jahrzehnten in Gebieten wie der Verhaltensmedizin (Fischer et al., 2018), Gesundheitsbildung (Glanz, Rimer & Viswanath, 2015) und Gesundheitspsychologie (Knoll, Scholz & Rieckmann, 2017) angewandt – nicht nur als Einzelmethoden, sondern auch kombiniert im Rahmen multimodaler Ansätze. Dabei ist eine besondere Stärke der Kombination von Interventionen, die verschiedene Lernformen integrieren, dass sowohl psychische Faktoren als auch Umweltfaktoren einbezogen werden, also Individuen oder Gruppen in ihrer physischen und sozialen Umgebung betrachtet werden (z. B. durch Einbezug von Familienmitgliedern, Inklusion oder gezielte Exklusion von Peers oder Berücksichtigung der Verhältnisse am Arbeitsplatz). Damit wird der allgemeinen Verhaltensgleichung des Sozialpsychologen Kurt Lewin Rechnung getragen, der schon 1936 mit der Formel V=f(PU) (im Original B=f(PE) beschrieben hat, dass Verhalten praktisch immer eine Funktion von Person und Umwelt ist (Lewin, 1936).

TechnikDefinitionBeispiele
Ziele setzenSetzen bzw. Vereinbarung eines Ziels oder mehrerer Ziele im Sinne der Verhaltensweise(n), die erreicht werden soll(en)

Mehr regelmäßige körperliche Bewegung; verbesserte Händehygiene

Handlungsplanung

Erarbeitung eines detaillierten Planes, wie das Verhaltensziel umgesetzt werden soll, einschließlich mindestens eines der folgenden Parameter: Kontext, Häufigkeit, Dauer und/oder Intensität (sogenannte „Implementationsintentionen“)

Drei Mal in der Woche morgens vor der Arbeit entweder allein oder mit Partner bzw. Partnerin so joggen, dass man ins Schwitzen kommt; Desinfektion der Hände in 80 % der Fälle, in denen Desinfektion indiziert ist

Verhaltensverträge

Schriftliche Spezifikation (mit Zeugen) der bzw. des Verhaltensziele/s

Verschriftlichung der oben genannten Ziele und Pläne

Rückmeldung (Feedback) zum VerhaltenVerhaltensbeobachtung und informative und/oder evaluative Feedbacks zur Verhaltensausführung

Feedback zum Verhalten von Basis von Verhaltensmessungen (z. B. Pedometer, Food Frequency-Fragebogen, Compliance-Beobachtungen im Krankenhaus)

Selbstbeobachtung des VerhaltensEtablierung von Methoden zur Selbst­beobachtung und -messung des Verhaltens

Verhaltenstagebücher; Pedometer

BiofeedbackInformatives und/oder evaluatives Feedback zu körperlichen Effekten auf Basis medizinischer Messinstrumente

24-Stunden-Blutdruckmessung

Praktische soziale UnterstützungBeratung in Bezug auf und Etablierung von praktischer sozialer Unterstützung zur VerhaltensausführungErinnerungsanrufe durch Freunde; Recall-Systeme in Zahnarztpraxen
Anleitung zur Ausführung des VerhaltensBeratung zu und Vereinbarung zur Verhaltensausführung (einschließlich Training von Fertigkeiten)Korrekte Verwendung von Kondomen am Modell; Verwendung technischer Devices zur Blutzuckerkontrolle; blutdruckgerechte körperliche Bewegung
VerhaltensexperimenteBeratung zur und Durchführung von Tests zur Überprüfung von verhaltensbezogenen Hypothesen mittels DatenFluoreszenztest mit UV-Schwarzlicht zur Überprüfung (in-)korrekter Hände­desinfektionstechniken

Information zu gesundheitlichen Konsequenzen

Informationsvermittlung zu den gesundheitlichen Konsequenzen des Verhaltens (Compliance vs. Non-Compliance)

Beratung zu erhöhten Infektionsrisiken durch vorzeitige Beendigung antibiotischer Therapien; präventive Effekte von Safer Sex; Risikorechner

Vorweggenommenes Bedauern

Induktion und Förderung von Bewusstsein bezüglich zukünftigen Bedauerns bei Beibehaltung ungesunden Verhaltens

Hinweis auf mögliche Reue durch Einschränkungen im höheren Alter durch kardiovaskulär-metabolische Risikoverhaltensweisen

Verhalten demonstrieren

Zurverfügungstellung einer beobachtbaren Instanz des Zielverhaltens (Modelllernen)

Schulungsvideos; Fernsehspots

Information zur Anerkennung anderer

Information zur Bewertung des Verhaltens durch andere

Erfassung und Kommunikation (fehlender) Anerkennung durch Vorgesetzte

Exposition

Systematische Konfrontation mit angstauslösendem Stimulus zur Verringerung zukünftiger Reaktionen

Habituationstraining; systematische Desensibilisierung

Verhaltenstraining/-proben

Wiederholte Übung der Ausführung von Verhalten in geschütztem Rahmen, in dem es nicht notwendig ist

Selbstsicherheitstrainings; Soft Skills-Kurse; Schulungen von Patientinnen und Patienten

Abgestufte Aufgaben

Definition von Aufgaben in aufsteigender Schwierigkeit

Steigerung der zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegten Strecke pro Tag

Vertrauenswürdige Quelle

Vertrauenswürdige Kommunikatoren

Hygieneschulungen im Krankenhaus durch erfahrenes medizinisches Personal

Nutzen und Kosten (Pros & Cons)

Reflektion von Vor- und Nachteilen einer Verhaltensänderung

Motivierende Gesprächsführung

Selbstbelohnung

Selbstbelohnung nur im Falle von Fort­schritten bei Zielverhaltenserreichung

Erwerb positiv bewerteter Güter nur bei Zielverhalten über definierte Zeit

Generalisierung des Zielverhaltens

Ausführung des Zielverhaltens in neuen Situationen

Rauchverzicht nicht nur in Privatwohnung, sondern auch im Büro; Händedesinfektion auch vor Patientenkontakt (nicht nur danach)

Reduktion negativer Emotionen

Beratung zum psychischen Wohlbefinden als verhaltensfördernd

Entspannungsverfahren zur Vermeidung von Rauchen als Bewältigungsstrategie

Restrukturierung der physischen Umwelt

Veränderung der physischen Umwelt, so dass das erwünschte Verhalten erleichtert und das unerwünschte Verhalten erschwert wird (Barrieren) (nicht: Prompts, also Hinweisreize bezüglich Belohnungen und Bestrafungen)

Vorräte von Süßigkeiten zu Hause begrenzen; Verfügbarkeit von Händedesinfektionsspendern an den relevanten Points-of-Care

Identifikation mit der eigenen Person als Rollenmodell

Information zur Rollenmodell-Funktion des eigenen Verhaltens

Information zur Vorbildfunktion des eigenen Essverhaltens für die eigenen Kinder

Sukzessive Approximation

Durch Belohnung von Reaktionen, die sich sukzessive dem Zielverhalten annähern, wird dies geformt (Shaping)

Belohnung für jegliche Reduktion der Kalorien nur dann, wenn die Reduktion dem Ziel näherkommt

Fokussieren früherer Erfolgserfahrungen

Reflektion und Aktivierung früherer Situationen, in denen das Verhalten erfolgreich ausgeführt wurde

Dokumentation von Situationen, in denen (obwohl verfügbar) keine Drogen konsumiert wurden

Stellvertretende Erfahrung

Beobachtung positiver und negativer Konsequenzen für andere Personen, die das Verhalten ausführen

Selbsthilfegruppen; Patientenschulungen

Tab. 2: Lernpsychologisch begründete Verhaltensveränderungstechniken mit Anwendungsbeispielen für Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung (eigene Darstellung nach Michie et al., 2013)

Bei entsprechenden krankheitspräventiven und gesundheitsfördernden Interventionen werden sowohl die Diagnose als auch Planung einzelner Veränderungsschritte spezifisch für einzelne Betroffene bzw. definierte Zielgruppen entwickelt (siehe auch den „Tailoring“-Ansatz, zu deutsch: „Maßschneidern“; Baker et al., 2015). Am Anfang steht eine Problem- und Verhaltensanalyse auf mehreren Ebenen: die differenzierte Diagnose von Dispositionen und Auslösern, Personen- und Umweltfaktoren sowie Konsequenzen möglichst genau umschreibbarer ungesunder Handlungen und Verhaltensweisen, Wahrnehmungs- und Einstellungsmuster oder Pläne und Schemata einer Person.

Innerhalb des kognitiv-behavioralen Ansatz gibt es neben der oben genannte SORCK-Gleichung noch weitere anerkannte Modelle für eine solche Strukturierung diagnostisch und interventiv bedeutsamer Informationen: den Problemanalyse-Ansatz (Liebeck, 2015), den Plananalyse-Schema-Ansatz (Bockwyt, 2020) und den Selbstmanagement-Ansatz (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2012). Die Ergebnisse werden zu einem funktionalen Bedingungsmodell zusammengefügt, das die Interventionen anleitet, jedoch jederzeit überprüft und verändert werden kann. Insbesondere bei komplexen Interventionen sind so genannte logische Modelle (Mills, Lawton & Sheard, 2019) zum Aufzeigen von möglichen Kausalbeziehungen vielversprechend.

Integrierte kognitiv-behaviorale Perspektive

Wie erwähnt sind behavioristische Lerntheorien, die ausschließlich beobachtbares Verhalten von Menschen sowie seine Auslöser- oder Verstärkungsbedingungen eher linear abgebildeten, seit langem durch post-behavioristische Vorstellungen zur Komplexität, Vernetzung und Selbstregulation ergänzt bzw. abgelöst worden.

Wissenschaftshistorisch wird die Ausprägung der lerntheoretischen Perspektive in der Psychologie dementsprechend in zwei Phasen bzw. „Wellen“ unterschieden: die klassische, zeitlich frühere behavioristische Phase seit 1913 (Watson, 1913), auf die in den 1970er Jahren die „kognitive Wende“ folgte (Dember, 1974). Seitdem werden übergeordnete „Lebensthemen“, Ziele und Pläne von Menschen in ihrem sozialen und sozio-ökonomischen Kontext betrachtet, also individuelle und systemische Bedingungen bei Veränderungen von Handeln und Verhalten integrierend berücksichtigt. Das Menschenbild geht vom Potenzial zu aktivem Denken, Fühlen und Handeln aus. Fähigkeiten zur (selbst-)bewussten Selbstveränderung und -steuerung sind vorhanden oder sollen aufgebaut werden. Während bis in die Mitte der 1970er Jahre lerntheoretische Prinzipien fast ausschließlich auf die Behandlung psychischer Störungen angewandt wurden, werden die entsprechenden diagnostischen Verfahren und Interventionen inzwischen auch bei somatischen und psychosomatischen Krankheiten (insbesondere bei chronischen Verläufen) sowie der Förderung gesundheitsrelevanten Verhaltens angewandt.

Schwerpunkte liegen dementsprechend auf der Prävention und Bewältigung chronischer Krankheiten und Gesundheitsstörungen (spätestens seit der COVID-19-Pandemie auch auf Infektionskrankheiten), darunter jeweils auch die Reduktion begleitender Ängste, irrationaler Kognitionen oder depressiven Störungen, Adhärenz und Compliance (inzwischen nicht nur der Allgemeinbevölkerung und von Patienten, sondern auch von professionellen Akteuren; vgl. z. B. von Lengerke & Chaberny, 2022); Psychoedukation; Schulungen; und Gesundheitskompetenz (Health Literacy).

In jedem Fall ist die tradierte Paradigmen- und Schulentrennung nach heutigem Stand obsolet. Das mittlerweile erfolgte Zusammenwachsen der Ansätze hat dazu geführt, dass im psychologischen Mainstream von einer integrierten kognitiv-behavioralen Perspektive (Hoyer & Knappe, 2020) gesprochen wird.

Der integrierte Ansatz geht deutlich über die Beschreibung und Erklärung von Verhalten im objektiven Kontext von Reizen, Verstärkern und offenem Verhalten hinaus. Psychische Störungen werden nicht mehr primär als behaviorale Fehlanpassungen beschrieben. Sie können auch als Ergebnis einer fehlerhaften Wahrnehmung der Situationswirklichkeit, von fehlerhaften Schlussfolgerungen oder inadäquaten Problemlösungen gedeutet werden. Die Selbstwahrnehmung von Menschen und die Wahrnehmung und Bewertung ihrer Beziehungen und Umwelt sind also (mit-)steuernd für alle Prozesse der Verhaltensleitung, einschließlich der Vorgänge bei Fehlleitung und Störungsentstehung. Kognitive Faktoren von zentraler Bedeutung sind: die wahrgenommene Kontrolle über Verstärker, die persönlichen Überzeugungen, kritische Situationen bewältigen können sowie die individuelle Interpretation von situativen oder persönlichen Einflussfaktoren.

Die kognitiv-behaviorale Perspektive ist Grundlage von verhaltenspräventiven Maßnahmen in der Gesundheitserziehung, in Verhaltensmedizin und Gesundheitspsychologie, in der Patientenberatung und Patientenschulung. In diesem engeren Kontext hat sie ihre Effizienz und ihre Effektivität unter Beweis gestellt, z. B. bei Rauchentwöhnungs-Trainings, Ernährungsschulungen zur Gewichtsreduktion, Herz- und Diabetes-Schulungen, in der Schmerzbewältigung, beim Erlernen von Entspannungstechniken, beim Motivationsaufbau, bei der Verbesserung der Compliance bzw. Adhärenz in der Therapie und Rehabilitation chronischer körperlicher und psychosomatischer Erkrankungen.

Methodisch bedeutsam und modellhaft übertragbar sind die funktionalen Bedingungsanalysen, die jeder Intervention vorausgehen müssen. Mit diesem Instrument steht auch für Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung eine Analyse- und Veränderungsmethode zur Verfügung, die die Wechselwirkung von Organismus-, Verhaltens- und Umweltbedingungen empirisch nachprüfbar abbildet. Sie ermöglicht zudem, Veränderungen präzise zu dokumentieren und zu überprüfen.

Weitergehende Perspektiven

Neuere Entwicklungen gehen in zwei Richtungen. Einerseits propagieren einige Vertreterinnen und Vertreter der Verhaltenstherapie den Übergang in eine „dritte Welle“ mit neuer Schwerpunktsetzung auf Akzeptanz, Achtsamkeit, Prozessbasierung und Arbeit an ungünstigen Beziehungsmustern, u. a. über die „Schematherapie“ mit ihrer expliziten Anknüpfung an einen neurobiologischen Kognitionsbegriff (vgl. z. B. Heidenreich & Michalak, 2013 und Hayes & Hofmann, 2017). Zu beachten ist hierbei auch das neuropsychologisch fundierte Konzept des „Embodiment“, also das „körperliche Selbst“ (vgl. Fuchs, Sattel & Henningsen, 2010; Tschacher, Storch, Hüther & Cantieni, 2017). Diese Perspektive fordert, psychische Prozesse ausdrücklich mit Bezug auf den Körper zu verstehen. Alle geistig-seelischen Vorgänge seien leiblich eingebettet, würden in den ge- und erlebten Körper eingeschrieben, und dieser beeinflusse und unter Umständen steuere auch psychische Prozesse (vgl. das Leib-Seele-Problem in der Philosophie und Psychologie; Gabriel, 2015; Wendt & Funke, 2022).

Andererseits und komplementär zu dieser quasi nach innen gerichteten Entwicklung entsteht eine Public Health-orientierte Psychologie als Theorie und Praxis dessen, was „Menschen (individuell und gemeinsam sowie tatsächlich und potenziell) tun und erleben, um gesund und wenn vermeidbar nicht krank zu sein – und zwar als Individuen und Gesellschaften“ (von Lengerke, 2007, S. 14; siehe auch Abteilung für Gesundheits- & Klinische Psychologie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 2006; Halkitis, 2020).

Inwieweit die Fortschritte in den Neurowissenschaften (inklusive Hirnforschung/Neuroimaging, Neurophysiologie und Psychobiologie; vgl. z. B. Bear, Connors & Paradiso, 2018) direkte Auswirkungen auf Lerntheorien und ihre interventiven Ableitungen haben werden, bleibt kritisch abzuwarten. Lernen wird in diesem Kontext als erfahrungsabhängige Veränderung des Gehirns (vor allem der kortikalen Erregbarkeit und Aktivität) verstanden, die zu Veränderungen im Verhalten oder in Verhaltensdispositionen führt. Neurophysiologisch beruhen Prozesse des Lernens und Verlernens, der Gedächtnisbildung und des Vergessens auf der grundlegenden und prinzipiell lebenslangen Neuroplastizität des Gehirns. Sie führen zu funktionellen oder strukturellen Veränderungen einzelner synaptischer Bahnungen und Verbindungen oder der Größe, Konnektivität, Aktivierung und Effizienz kortikaler Netzwerke.

Als erste Anwendungsmöglichkeiten – etwa durch gezielte elektrische, magnetische oder pharmakologische Stimulation der Aktivitätsmuster in verschiedenen Hirnregionen – werden medizinische Interventionen in Klinik, Therapie und vor allem Rehabilitation von Hirnverletzungen diskutiert, jedoch auch tertiärpräventive Maßnahmen bei Demenzen und anderen lebensbegleitenden hirnorganischen Abbauprozessen. Wie diese Beispiele zeigen, liegen die Anwendungen neurowissenschaftlicher Forschung eher im individual- und somatomedizinischen Bereich. Die eingangs erwähnten, weltweit führenden Todesursachen (G. B. D. Risk Factors Collaborators, 2020) werden für die lernpsychologisch fundierte Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung bedeuten, dass ihre Interventionen auf der Ebene von Menschen (seien es Individuen oder überindividuelle Einheiten wie Dyaden, Gruppen oder Gesellschaften) und nicht Organen oder gar Zellen ansetzen müssen, wenn sie effektiv sein sollen.

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Verweise:

Erklärungs- und Veränderungsmodelle 2: Theoriebasierte Interventionsplanung