Ökologische und humanökologische Perspektive
Zitierhinweis: Fehr, R. (2025). Ökologische und humanökologische Perspektive. In: Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Ökologie behandelt die Beziehungen von Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt; Humanökologie legt den Akzent auf die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt. Viele weitreichende Entwicklungen in der Theorie und Praxis von Gesundheitsförderung gründen zu wesentlichen Teilen auf dieser breit und integrativ angelegten (human-)ökologischen Gesundheitsperspektive. Dazu gehören z. B die Ottawa-Charta, die Verbindung von Gesundheit und Nachhaltigkeit sowie aktuelle Ansätze wie One Health, Planetary Health, Global Health und Urban/Rural/Regional Health. Um für die Aufgaben künftiger Gesundheitsförderung möglichst gut gerüstet zu sein, ist es nützlich, die verschiedenen Gesundheitsperspektiven ins Spiel zu bringen, ihre Potenziale zu nutzen und ihre Konsequenzen zu reflektieren.
Schlagworte
(Human-)Ökologie, Gesundheitsmodell, Integration, Nachhaltigkeit, Umwelt, Wandel
In seinem Werk „Public Health and Human Ecology” schrieb der australisch-kanadische Gesundheitsforscher John Last (1997, S. ix) „Warum ‚Humanökologie‘? Ökologie betrifft die gesunde Wechselwirkung von Lebewesen in einem geschlossenen System. Für Humanökologie gehören auch ‚Menschen‘ in dieses System. Menschen interagieren untereinander sowie mit anderen Lebewesen, und diese Interaktionen können bedeutende Auswirkungen auf die Gesundheit aller Beteiligten im komplexen geschlossenen Ökosystem der Erde haben. Diese Realität zu ignorieren, führt ins Verderben“.
Einfach ausgedrückt behandelt die zwischen Natur‐ und Sozialwissenschaften stehende Humanökologie die Beziehungen des Menschen zur Umwelt. Als Prinzipien humanökologischer Methodik gelten „ganzheitliches Denken, integrativer Ansatz und die paradigmatische Bearbeitung von Fallbeispielen“ (Last, 2007, S. 35). Humanökologische Ansätze versuchen, die physischen, sozialen, kulturellen und politischen Aspekte der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt umfassend in ihre Analysen einzubeziehen.
In entsprechender Weise lässt sich auch das Thema „Gesundheit und Krankheit“ betrachten. Die (human-)ökologische Gesundheitsperspektive sieht sowohl das weite Spektrum gesundheitsbestimmender Faktoren wie auch die vielfältigen Folgewirkungen von Krankheit und von fehlender Gesundheit, indem sie versucht, dem fragilen Mensch-Umwelt-Verhältnis gerecht zu werden.
Ein solcher Blick auf Gesundheit und Krankheit ist nicht neu: die Wurzeln reichen zurück bis in die Antike und leben – wenngleich deutlich verschmälert – u. a. als Hygienethemen weiter. Unter Titeln wie „Ökologie und Gesundheit“, „(Human-)Ökologische Medizin“, „Ökologische Prävention und Gesundheitsförderung“, „Ecology of Health“, „Ecohealth“, „One Health“ und „Planetary Health“ entstanden im Laufe der Zeit Theorieelemente und Praxiskonzepte, die in Ergänzung zu anderen Perspektiven das Thema Gesundheit strukturieren und für die Medizin, Gesundheitsförderung und Gesundheitspolitik auch in größere Zusammenhänge wie Natur und Umwelt einbetten (vgl. Buse et al., 2018).
Auch die Ottawa-Charta der Gesundheitsförderung beruht auf einer humanökologischen Perspektive, samt Menschenbild, Gesundheitsverständnis, systemischer Sicht und Bezügen zur Nachhaltigkeit (Hazard, 1997, S. 8). Aus dieser Perspektive heraus erlangen die Lebensverhältnisse eine besondere Beachtung. Dies gilt nicht nur für die materiellen Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen, sondern auch für ideelle Aspekte wie soziale Normen und Werte, die in hohem Maße außerhalb des Gesundheitssektors geprägt werden.
Zu den Schwerpunkten einer humanökologischen Gesundheitsperspektive gehören der Blick auf den weltweiten Wandel sowie die Fokussierung auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit als zentrale gesellschaftliche Werte.
Dynamik: Welt im Wandel
Als wichtige Komponenten des weltweiten Wandels seien hier genannt:
- Wandel in der physischen Umwelt umfasst neben Klimawandel (Klimawandel und Gesundheitsförderung) auch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden; industrielle Landwirtschaft, Biodiversitäts- und weitere Ressourcenverluste sowie zunehmende innerstädtische Verdichtungen.
- Zum Wandel in der sozioökonomischen Umwelt gehören Ökonomisierung, ökonomische Krisen, Machtkonzentration bei (Internet-)Konzernen, wachsende soziale Disparitäten (soziale Spaltung), soziale Verdrängung (z. B. Gentrifizierung), Aufstieg autokratischer Systeme, zerfallende Staaten und (Wieder-)Ausbreitung kriegerischer Aktionen.
- Als technologischer Wandel sind beispielsweise Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Smart Cities sowie auch Genomik und Bio-Engineering zu nennen.
- Soziodemografischer und Verhaltens-Wandel betrifft schrumpfende Populationen, veränderte Altersverteilung, (un-)freiwillige Migrationen, Individualisierung (z. B. alleinlebend, alleinerziehend), Kommunikationswandel und Wertewandel samt Radikalisierungen.
- Als Epidemiologic Transition werden weltweit zu beobachtende Veränderungen von Fertilität, Lebenserwartung, Krankheitsspektrum (samt neuerlicher Zunahme von Pandemien) bezeichnet.
Darüber hinaus beinhalten Urbanisierung und Globalisierung eine Vielzahl einzelner Veränderungen. Auswirkungen dieses weltweiten Wandels werden oft als belastend erlebt.
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit: zentrale gesellschaftliche Werte
Neben der Beschreibung und Analyse von Wandelphänomenen fokussiert die humanökologische Gesundheitsperspektive auch gesellschaftliche Wertungen, insbesondere soziale Gerechtigkeit (Umweltgerechtigkeit) und Nachhaltigkeit (Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung). Nachhaltigkeit im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals: SDGs) bezeichnet das Konzept, für alle Teilbereiche gesellschaftlichen Lebens eine konsequente Mehr-Generationen-Perspektive anzulegen. Gegenwärtig fehlt Nachhaltigkeit u. a. bezüglich folgender Parameter: Stabilität der Ökosysteme weltweit, Klimastabilität, Umfang der menschlichen Population, Rohstoffverbrauch, Abfallerzeugung, Überleben von Tier- und Pflanzenarten (Biodiversität). Die Bedeutung fehlender Nachhaltigkeit für Wahlfreiheit, Gesundheit und Wohlergehen künftiger Generationen liegt auf der Hand.
In den UN-Nachhaltigkeitszielen von 2015 haben die mit zahlreichen Konferenzen und umfangreichen Begleitprozessen verfolgten Ziele eine hohe Sichtbarkeit für die Weltöffentlichkeit erhalten (vgl. Dye, 2018; Ekins et al. 2019); sie sollen weltweit als Richtschnur für zukunftsfähige Entwicklung dienen.
In diesem Zusammenhang sei auf die Rolle einer umwelt- und gesundheitsfreundlichen Durchführung auch von präventiven und gesundheitsförderlichen Aktivitäten hingewiesen. Generell wächst die Einsicht über, ggf. verborgene Nebenwirkungen jeglichen Handelns, wie sie in der Metapher des „ökologischen Fußabdrucks“ als Gesamtheit be- und entlastender Auswirkungen auf Stoff- und Energieströme zum Ausdruck kommt. Zwar fallen gesundheitsförderliche Maßnahmen zumeist nicht als besonders umweltbelastend auf, dennoch kann mit ihnen ein nennenswerter Aufwand für Informationsmaterialien, Ortsbewegung etc., also Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung verbunden sein. Auch im Interesse einer hohen Glaubwürdigkeit bei unterschiedlichen Zielgruppen sollte bei allen Maßnahmen von Gesundheitsförderung und Prävention geprüft werden, ob und welche Chancen einer umwelt- und ressourcenschonenden Durchführung im Einzelfall nutzbar sind.
Angesichts der Vielfalt von Einzelthemen kann die (human-)ökologische Perspektive keine thematische Vollständigkeit herbeiführen. Auch hier liegen jeder Analyse und jedem Handlungsansatz Beschränkungen zugrunde. Jedoch rücken durch diese Perspektive Integrationsansätze in den Mittelpunkt. Hierzu zählt u. a. die Integration von Morbidität und Mortalität in geeignete Summenmaße wie z. B. „Disability-Adjusted Life Years“ (DALYs), die dem Verständnis von Krankheitslast und Gesundheitschancen neue Impulse geben.
Zwei weitere Ansätze werden im Folgenden vertieft, nämlich die Darstellung von Wirkungsnetzen in Struktur- oder Prozessmodellen und ein erweitertes Verständnis von Settings oder Lebens(um)welten als Integrationskonzept samt Erweiterung auf „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies [HiAP]).
Struktur- und Prozessmodellierung
Aus dem Bemühen heraus, der Komplexität unterschiedlicher Wirkungsnetze gerecht zu werden, entstand ein Bedarf an Strukturierung von Wirkfaktoren sowie an einer angemessenen Darstellung. Sowohl Expositionen (mit ihren Hintergründen und Ursachen) als auch gesundheitliche Auswirkungen samt präventiven und interventiven Handlungsoptionen sollten in einem Strukturmodell erkennbar sein. Weil es diese Ansprüche erfüllt und übersichtlich gehalten ist, hat das sogenannte DPSEEA-Modell (gesprochen: „Dipsi“) der WHO Anerkennung gefunden (Corvalan et al., 1996). In Abb. 1 gibt es auf jeder Ebene bestimmte Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten. Insbesondere die vor der Exposition liegenden Wirkstufen bieten Ansatzpunkte für politische, technische, restaurative oder Bildungsmaßnahmen. Bei rechtzeitigem Einsatz können gesundheitsschädliche Effekte und damit die Notwendigkeit von Behandlung und Rehabilitation verhindert oder gemindert werden.
Das mit dem DPSEEA-Modell verwandte humanökologische Gesundheitsmodell „Mensch <-> (Um-)Welt“, in dem sich viele hier beschriebenen Teilkonzepte wiederfinden, ist in einer ersten Näherungsstufe in Abbildung 2 dargestellt. (Details siehe Fehr et al., 2005).
Inzwischen gibt es zahlreiche, unterschiedlich komplexe Ansätze für integrierende Gesundheitsmodellierungen. Auf Basis epidemiologischer und sonstiger Erkenntnisgrundlagen wird versucht, den Zusammenhang zwischen (vielfältigen) Einflussfaktoren und menschlicher Gesundheit in mathematischen Gleichungen abzubilden. Auf diese Weise kann bewährte Gesundheitsberichterstattung ergänzt werden: einerseits um Prognosen und zweitens – zumindest ansatzweise – um Aussagen über die gesundheitlichen Folgewirkungen künftiger Strategien, Pläne, Programme und Projekte im Sinne von „Was wäre wenn“-Analysen.
Die Europäische Kommission förderte mehrere Projekte und Modelle zum Impact-Assessment. (Health Impact Assessment [HIA] / Gesundheitsfolgenabschätzung [GFA]) Exemplarisch seien folgende genannt: PREVENT, MicMac (Bridging the Micro-Macro Gap in Population Frecasting), DYNAMO HIA (Dynamic Model for Health Impact Assessment), INTARESE (Integrated Assessment of Health Risks of Environmental Stressors in Europe) und HEIMTSA (Health and Environment Integrated Methodology and Toolbox for Scenario Assessment).
Manche dieser Ansätze arbeiten mit dem Anspruch, Wirkungsketten von politischen Entscheidungen bis hin zu Gesundheitseffekten und ggf. auch deren Monetarisierung quantitativ abzubilden (Full Chain Modeling). Solche Modellierungen dienen u. a. der Unterstützung gesundheitlicher Wirkungsbilanzen.
Aktuell wachsen bisher nur lose verbundene Entwicklungsstränge zusammen, v. a. die meist qualitativ angelegten, oft auf Chancengleichheit orientierten Beteiligungsverfahren einerseits und die quantitativen Prognosemodelle für Gesundheit und Krankheit andererseits. Diese Projekte versuchen, im Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen die meist umfangreichen Wirkungsketten durch Kaskaden quantitativer Modelle abzubilden. Wo dies gelingt, dürften – auch im Sinne (human-)ökologischer Perspektive – neue Maßstäbe für Politikberatung entstehen, weil sich Auswirkungen von Entscheidungen dann viel präziser als bisher abschätzen lassen.
Settings, Lebensumwelten, HiAP
Für den Settingansatz/Lebensweltansatzals Kernstrategie der Gesundheitsförderung legt die humanökologische Perspektive es nahe, Settings nicht nur in ihrer sozialen, sondern immer auch in ihrer physischen Dimension mit Blick auf Gesundheit und Krankheit zu betrachten und entsprechende Gestaltungschancen zu nutzen. Für jedes Setting stehen Traditionen und Technologien (Materialien, Bauweisen, Verfahren) zur Verfügung, die wesentlich die Umwelt- und Gesundheitsbilanzen der jeweiligen Handlungsalternativen bestimmen. In den Settings wird mit der Auswahl von Handlungsalternativen auch über Qualität und Quantität einer Freisetzung von chemischen und physikalischen und Ressourcenverbrauch entschieden. Neue Allianzen von Gesundheitsförderung beispielsweise mit Umwelt und Gesundheit (Umwelt und Gesundheitsförderung) und mit StadtGesundheit (Urbanhealth/StadtGesundheit) sind aus humanökologischer Perspektive zu begrüßen; sie sollten weiterentwickelt werden.
Über einzelne Settings hinausgehend lässt sich festhalten, dass Gesundheit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren samt Wohnen, Arbeit, Verkehr und Umwelt sowohl produziert als auch beschädigt wird und Einschränkungen der Gesundheit sich auf zahlreiche Sektoren wie Bildung und Arbeit auswirken. Die Weltgesundheitsorganisation propagiert den Grundsatz „Health in all Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies [HiAP]), also das Bemühen um Berücksichtigung von Gesundheit in den Strategien und Programmen aller gesellschaftlichen Sektoren (Leppo et al., 2013). Auch von gesundheitsfördernder Gesamtpolitik und einem „Whole of Society“-Ansatz wird gesprochen (Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik/Healthy Public Policy).
Im ersten deutschsprachigen Fachbuch zum Thema HiAP finden sich zur Umsetzung in Deutschland acht Thesen, darunter folgende (Böhm et al., 2020, S. 431−433):
- HiAP bedarf der politischen Unterstützung.
- Gesundheitsexpertinnen und -experten benötigen Policy-Wissen für die Kooperation.
- Sustainable Development Goals und deren Umsetzung bieten einen guten Bezugspunkt, um HiAP voranzubringen.
- HiAP erfordert häufig die Aushandlung gegenläufiger Interessen.
(Human-)ökologisch orientierte Gesundheitsforschung und -praxis
Mit einer − weit gefassten – ökologischen Perspektive sowohl auf Ressourcen als auch Noxen (Schadstoffe) arbeitet das Themenfeld Umwelt und Gesundheit/Environmental Health (Umwelt und Gesundheitsförderung). Die Ottawa-Charta der WHO von 1986 spricht ausdrücklich von der Rolle der Umwelt für Gesundheit, von der Bewahrung der natürlichen Umwelt und von der Verantwortung für anthropogene Umweltveränderungen. Drei Jahre später startete eine Serie europäischer Ministerkonferenzen, die sich des Themas „Umwelt und Gesundheit“ im Detail annahmen.
- Die erste dieser Konferenzen in Frankfurt 1989 verabschiedete die Charta „Umwelt und Gesundheit“ mit Aussagen über Ansprüche und Verantwortung gegenüber der Umwelt sowie Strategien und Prioritäten einer langfristigen gesundheitlichen Umweltpolitik.
- In Helsinki wurde 1994 der „Aktionsplan Umwelt und Gesundheit für Europa“ als Basis nationaler Aktionspläne für Umwelt und Gesundheit (National Environmental Health Action Plans, NEHAPs) beschlossen.
- Auf der dritten Konferenz in London 1999 wurde ein rechtsverbindliches Abkommen über Wasser und Gesundheit geschlossen und eine Charta „Verkehr, Umwelt und Gesundheit“ verabschiedet.
- Die Budapest-Konferenz (2005) fokussierte auf Kinder, Umwelt und Gesundheit, die Parma-Konferenz (2010) verband diese Themen mit aktuellen krisenhaften Entwicklungen und globalem Wandel.
- Die Ostrava-Konferenz 2017 definierte prioritäre Themen für das 21. Jahrhundert, darunter auch Klimawandel und Luftverschmutzung.
- Eine weitere Budapest-Konferenz (2023) war u. a. den Themen Klimaschutz und Biodiversitätsverlust sowie der Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie gewidmet.
Sowohl aus ökologischer als auch aus humanökologischer Perspektive heraus entstand der Ansatz einer (human-)ökologischen Gesundheitsförderung (Fehr, 2001; Fehr, et al., 2005). Ausgehend von der Gestaltbarkeit von Lebenswelten wird versucht, diese Möglichkeiten systematisch und umfassend zu nutzen. Drei Interpretationen dieses Ansatzes lassen sich unterscheiden:
- Eine thematische Interpretation, nämlich die Re-Integration physischer Umwelt in das Selbstverständnis und Aufgabenspektrum von Gesundheitsförderung.
- Eine systemische Interpretation mit Schwerpunkt auf Zusammenhänge, Wechselwirkungen und Integration in allen Fragen der Gesundheitsförderung.
- Eine Interpretation als umwelt- und gesundheitsfreundliche Durchführung präventiver und gesundheitsförderlicher Aktivitäten (vgl. ökologischer Fußabdruck, siehe oben).
In der thematischen Interpretation steht ökologische Gesundheitsförderung parallel z. B. zu betrieblicher oder schulischer Gesundheitsförderung sowie Gesundheitsförderung in der Familie. Dass auch physische und soziale Umwelt von wesentlicher Bedeutung für den Erhalt von Gesundheit und die Entstehung von Krankheit ist, spiegelt sich in gängigen Erklärungsmodellen wider (Determinanten der Gesundheit). Im Sinne einer die Verhaltensprävention ergänzenden Verhältnisprävention existiert hier eine langjährige Tradition. Dennoch macht Gesundheitsförderung um die physische, gegenständliche Umwelt samt Wasser, Boden und Luft häufig einen ausweichenden Bogen – nicht ohne Grund, denn diese Themen erfordern eine besondere Expertise. Außerdem bestehen spezifische Denkgewohnheiten und Zuständigkeiten, die beachtet werden wollen. Ein engerer Austausch zwischen Umwelthygiene bzw. Umweltmedizin und Gesundheitsförderung liegt im wechselseitigen Interesse.
In der systemischen Interpretation bedeutet ökologische Gesundheitsförderung v. a. die Fokussierung auf Zusammenhänge und Integration. Offenkundig liegt der Gesundheitsförderung schon jetzt häufig ein systemisches Verständnis zugrunde, z. B. Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz als System (Systemische Perspektive in der Gesundheitsförderung). Darüber hinaus unterstützt ökologische Gesundheitsförderung eine systemische (und systematische) Sicht auf das gesamte Aktivitätsspektrum von Gesundheitsförderung. Die beiden vorliegenden Buchpublikationen zur ökologischen Gesundheitsförderung (Fehr, 2001 sowie Fehr et al., 2005) sind daher durchgängig nach dem Public Health Action Cycle/Gesundheitspolitischer Aktionszyklus gegliedert.
Gesundheitsforschung und -praxis werden gegenwärtig u. a. durch vier transdisziplinäre Narrative und Aktivitätsfelder bereichert, nämlich One Health, Planetary Health, Global Health/Globale Gesundheit und Urban/Rural/Regional Health (Urban Health/StadtGesundheit; Rural Health/Gesundheit im ländlichen Raum; Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung). Alle diese Rahmenkonzepte anerkennen die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die menschliche Gesundheit, befassen sich u. a. mit Auswirkungen des Klimawandels und stehen in Einklang mit der humanökologischen Gesundheitsperspektive. Für eine Übersicht samt Teilthemen sowie Akteuren und Akteuren sowie Aktivitäten siehe Tab. 1.
Paradigma | One Health | Planetary Health | Global Health | Urban/Regional/Rural Health |
Beinhaltet einen integrierenden Blick auf die Gesundheit … | … von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt | … aller Lebewesen, Ökosysteme und des Planeten Erde | … der Weltbevölkerung: Public Health aus globaler Perspektive | … lokaler Populationen: Public Health aus lokaler Perspektive |
Exemplarische Themen über Nachhaltigkeit, Klimawandel hinaus: | Zoonosen, Pandemien, multiresistente Krankheitserreger, Intensivierung der Lebensmittelproduktion (samt Einsatz von Tierarzneimitteln) | Planetare Grenzen für Ressourcennutzung und Umweltbe-lastungen, Planetary Health Diet, Anthropozän | Entwicklungsziele wie SDGs, Metriken, z. B. Lebenserwartung Disability-Adjusted Life Years (DALYs), (Un-)Gerechtigkeit | Stadt-/Regionalepide-miologie, urbane und metropolitane Ver-sorgungssysteme, räumliche Planung, Stadtgrün/-blau, Mobilität, (Un-)Gerechtigkeit |
Hauptakteure & Aktivitäten international: | WHO One Health initiative | Planetary Health Manifest 2014 | WHO Global Health Observatory, inkl. Global Health Estimates | WHO Urban Health initiative |
Hauptakteure & Aktivitäten in Deutschland: | BMBF, BMEL, BMZ, RKI, UBA | Centre for Planetary Health Policy (CPHP), gefördert durch Stiftung Mercator, unterstützt durch Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) | World Health Summit (siehe oben) | Gesunde Städte-Netzwerk (GSN), mit Kompetenzzentren |
Tab.1: Vier aktuelle, der humanökologischen Gesundheitsperspektive verbundene Rahmenkonzepte (Eigene Darstellung)
Fazit
Viele weitreichende Entwicklungen in der Theorie und Praxis von Gesundheitsförderung sind zu wesentlichen Teilen auf eine (human-)ökologische Gesundheitsperspektive gegründet. Dazu gehören beispielsweise die Ottawa-Charta, Zusammenstellungen von Gesundheitsdeterminanten, der Ansatz „Health in All Policies“, die Verbindung von Gesundheit und Nachhaltigkeit sowie aktuelle Ansätze wie Planetary Health. Der Zusammenhang mit dem (human-)ökologischen Denkansatz ist manchmal explizit benannt, oft aber nur implizit gegeben. Um für die Aufgaben künftiger Gesundheitsförderung möglichst gut gerüstet zu sein, dürfte es nützlich sein, die verschiedenen Gesundheitsperspektiven ausdrücklich ins Spiel zu bringen, ihre Potenziale zu nutzen und ihre Konsequenzen zu reflektieren.
Literatur:
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Böhm, K., Lahn, J., Kockler, H., Geene, R. & Bräunling, S. (2020): Health in All Policies: Wo stehen wir und was braucht es für die weitere Entwicklung? In K. Böhm, S., Bräunling, R., Geene, H., Kockler: Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Konzept Health in All Policies und seine Umsetzung in Deutschland (S. 427−434). Springer VS: Wiesbaden.
Corvalan C., Briggs, D. & Kjellstrom, T. (1996): Development of environmental health indicators. In D. Briggs, C. Corvalan & M. Nurminen. Linkage methods for environment and health analysis. General guidelines (pp. 19–53). UNEP, US-EPA, WHO: Geneva.
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Leppo, K., Ollila, E., Peña, S., Wismar, M. & Cook, S. (2013). Health in all policies – seizing opportunities, implementing policies. Finland: Ministry of Social Affairs and Health Finland, National Institute for Health and Welfare Finland, European Observatory on Health Systems and Policies, UN Research Institute for Social Development, Ministry for Foreign Affairs of Finland.
Weiterführende Quellen
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Internetadressen:
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft (BBAW)/The Role of National Academies in Promoting Urban Health: www.bbaw.de/forschung/the-role-of-national-academies-in-promoting-urban-health
DYNAMO HIA-Projekt: www.dynamo-hia.eu
Europäische Ministerkonferenzen „Umwelt und Gesundheit“: www.who.int/europe/initiatives/european-environment-and-health-process-(EHP)
Fritz und Hildegard Berg-Stiftung: Forschungsprogramm Stadt der Zukunft www.deutsches-stiftungszentrum.de/stiftungen/fritz-und-hildegard-berg-stiftung
Gesunde Städte-Netzwerk (GSN): https://gesunde-staedte-netzwerk.de
International Society for Urban Health (ISUH): www.isuh.org
One Health Commission: www.onehealthcommission.org
One Health High Level Expert Panel (OHLEPP): www.who.int/groups/one-health-high-level-expert-panel
Panorama, Bridge Collaborative, inkl. Rockefeller Foundation, Nature Conservancy, Wellcome Trust etc.: www.panoramaglobal.org/case-study/ensuring-we-are-considering-the-health-implications-of-the-climate-crisis
Planetary Health Alliance: http://planetaryhealthalliance.org
Regions for Health network (RHN): www.who.int/europe/groups/regions-for-health-network-(rhn)
Rockefeller Foundation-Lancet Commission on Planetary Health: www.thelancet.com/commissions/planetary-health
UN Sustainable Development Goals: https://sdgs.un.org
WHO European Healthy Cities Network: www.who.int/europe/groups/who-european-healthy-cities-network
WHO/Global Health Observatory: www.who.int/data/gho
WHO/Urban Health initiative: www.who.int/initiatives/urban-health-initiative
Verweise:
Determinanten der Gesundheit, Gesundheit in allen Politikfeldern / Health in All Policies (HiAP), Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy, Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung, Global Health / Globale Gesundheit, Health Impact Assessment (HIA) / Gesundheitsfolgenabschätzung (GFA), Klimawandel und Gesundheitsförderung, Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung, Public Health Action Cycle / Gesundheitspolitischer Aktionszyklus, Rural health / Gesundheit im ländlichen Raum, Settingansatz/Lebensweltansatz, Systemische Perspektive in der Gesundheitsförderung, Umwelt und Gesundheitsförderung, Umweltgerechtigkeit, Urban health / StadtGesundheit