Primäre Gesundheitsversorgung / Primary Health Care

Thomas Zimmermann

(letzte Aktualisierung am 18.08.2023)

Zitierhinweis: Zimmermann, T. (2023). Primäre Gesundheitsversorgung/Primary Health Care. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i096-3.0

Zusammenfassung

Die primäre Gesundheitsversorgung eines Landes stellt die erste Schnittstelle zu einem System medizinisch-pflegerisch-rehabilitativer Leistungsangebote dar. Sie erfolgt niedrigschwellig, wohnort- und bedarfsnah. Primäre Gesundheitsleistungen werden in ambulanten Versorgungszentren, Polikliniken oder hausärztlichen Praxen erbracht (sekundär: gebietsärztliche Versorgung/stationäre Versorgung; tertiär: Rehabilitation). Für die WHO ist die primäre Gesundheitsversorgung das erste Element eines kontinuierlichen Prozesses gesundheitlicher Versorgung.

Schlagworte

Primary Health Care, Hausärztliche Versorgung, Primary Care, Medizinische Grundversorgung, Community Health Care, Primärversorgung, primäre Gesundheitsversorgung, Primärmedizin


Mit dem Konzept „Primary Health Care“ in der Deklaration von Alma Ata erklärte die WHO 1978 Gesundheit zu einem grundlegenden Menschenrecht und legte ein Konzept für eine umfassende neue Orientierung der globalen Gesundheitspolitik sowie der einzelnen Länder vor.

„Primary Health Care“ wird in dieser Deklaration (WHO 1978, Artikel VI) als Konzept einer Gesundheitsversorgung begriffen, „die auf praktischen, wissenschaftlich fundierten und sozial akzeptierten Methoden basiert und für den Einzelnen wie die Familien im Sinne von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung zu erschwinglichen Kosten für Gemeinschaft und Land erreichbar ist. Primäre Gesundheitsversorgung wird damit zum ersten Element eines kontinuierlichen Prozesses gesundheitlicher Versorgung.“

Für die WHO (2018) gehören die folgenden bevölkerungsmedizinischen Elemente zur primären Gesundheitsversorgung:

Zentrale Elemente von Primary Health Care

  • Fördernde, schützende, vorsorgende, kurative, rehabilitative und palliative Versorgung.
  • Strategische Priorisierung der wichtigsten Leistungen für Einzelpersonen und Familien durch primärversorgende Einrichtungen.
  • Gesundheitsschutz und -förderung für die Bevölkerung durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst.
  • Einbezug sozialer, wirtschaftlicher und umweltbedingter Faktoren sowie individueller Merkmale und Verhaltensweisen durch faktengestützte Strategien und Maßnahmen in allen Sektoren.
  • Befähigung von Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften, Gesundheit zu optimieren, als Fürsprecher für politische Maßnahmen, als Mitentwickler von Gesundheits- und Sozialdiensten und als Selbstversorger und Betreuer.

Neben dieser umfassenden Sicht auf gesundheitssystemische und bevölkerungsbezogene Funktionen und Ziele enthält Primary Health Care auch eine versorgungspraktische Perspektive (vgl. Starfield 1994), die im Englischen meist kurz Primary Care genannt wird.

Primary Care ist durch die folgenden Merkmale kennzeichnet:

  • Erster Kontakt ins (Regel-)Versorgungssystem
  • Kontinuität in der (Regel-)Versorgung
  • Umfassende (Regel-)Versorgung
  • Koordination der (Regel-)Versorgung

Primary Care versorgt Menschen, unabhängig von Geschlecht, Krankheit oder Organsystem.

Primary Health Care umfasst also eine populations- und eine individuumsbezogene Perspektive. Folgende programmatischen Punkte gehören laut WHO außerdem zu den Wesensmerkmalen der Primary Health Care:

  • Orientierung an den großen Gesundheitsproblemen und Versorgungsbedürfnissen der Bevölkerung.
  • Intensive Beteiligung der Bevölkerung an der Planung und Bereitstellung der gesundheitsbezogenen Leistungen.
  • Enge Integration der Bemühungen um Gesundheitssicherung in andere gesellschaftliche Aktivitäten wie Bildung, Klima- und Umweltschutz, Hygiene und Wohnungsbau (Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik/Healthy Public Policy).

In den Jahrzehnten nach der Verabschiedung hat die WHO die Prinzipien der Alma Ata-Deklaration in vielfältigen Formen wiederholt bzw. weiterentwickelt (z. B. Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung WHO 1986; World Health Report WHO 2008; WHO 2018a; Gesundheitsförderung 3: Entwicklung nach Ottawa). Unter Hinweis auf die alternden Bevölkerungen und die Zunahme chronischer Erkrankungen in allen Mitgliedstaaten sowie auf das ökonomische Wachstum stellte die WHO im World Health Report 2008 fest: „Verbunden mit der wachsenden Nachfrage nach besseren Leistungen ergeben sich daraus große Chancen, die bestehenden Gesundheitsdienste auf die Primärversorgung hin neu auszurichten“ (S. XVII). Die OECD hat in ihrer aktuellen Auswertung „Realising the potential of Primary Health Care“ (OECD 2020) die Notwendigkeit einer solchen strukturellen Neuausrichtung und Fokussierung mit viel Empirie unterlegt – darunter den Befund, dass der primärärztlichen Versorgung immer weniger Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen.

Defizite der Gesundheitsversorgung in industrialisierten Ländern

Die WHO hat folgende Defizite in den Gesundheitsversorgungssystemen der industrialisierten Länder benannt:

  • Es besteht ein ungleicher Zugang zum Gesundheitssystem für Einzelne und Gruppen wie beispielsweise Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit beeinträchtigter Schreib- und Lesekompetenz. Außerdem für sozioökonomisch Benachteiligte, obwohl sie im statistischen Mittel mehr Gesundheitsprobleme aufweisen (Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit).
  • Das Gesundheitswesen ist stark auf Interventionen im akutmedizinischen Bereich ausgerichtet, obwohl immer mehr Menschen im Zuge der Alterung der Bevölkerung an chronischen Krankheiten und Multimorbidität leiden.
  • Behandlungsbedürftige psychische Störungen werden von den Patientinnen und Patienten eher als somatische Störungen präsentiert und von den Versorgenden auch so wahrgenommen; ein adäquates Auffangsystem wie die psychiatrischen oder psychosomatischen Ambulanzen, meist angesiedelt an Krankenhäusern und an psychotherapeutischen Ausbildungseinrichtungen in Deutschland, existiert nur in wenigen Ländern.
  • In vielen Ländern sind Trends weg von einer solidarisch und hin zu einer privat finanzierten Gesundheitsversorgung zu beobachten, was wiederum die Schwächeren einer Gesellschaft tendenziell benachteiligt.

Von einer zusammenhängenden Umsetzung des Konzepts einer primären medizinischen Versorgung kann somit in den industrialisierten Ländern (noch) nicht gesprochen werden. Hierfür sind eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich, u. a. die Zielungenauigkeit und Unentschlossenheit von Regierungshandelnden, mächtige Partikularinteressen im Gesundheitswesen außerhalb der Primärversorgung (beispielsweise gebietsärztlich Versorgende, Krankenhäuser) und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens in den vergangenen 20 Jahren. Somit handelt es sich beim Konzept der Primärversorgung auch in industrialisierten Ländern weiterhin um eine Vision, um ein Leitbild zur bedarfsgerechten Versorgung möglichst aller Bevölkerungsgruppen.

40 Jahre nach der Deklaration von Alma Ata erneuerte die WHO 2018 mit der Deklaration von Astana (WHO 2018b) ihre Vision einer „primären Gesundheitsversorgung und Gesundheitsdiensten, die qualitativ hochwertig, sicher, umfassend, integriert, zugänglich, für jeden und überall verfügbar und erschwinglich sind und von gut ausgebildeten, qualifizierten, motivierten und engagierten Gesundheitsfachkräften mit Mitgefühl, Respekt und Würde erbracht werden“.

Primärversorgung und primärmedizinische fachärztliche Versorgung

In den industrialisierten Ländern wird die Primärversorgung unterschiedlich organisiert. Kringos, Boerma, Hutchinson & Saltman (2015) clustern die europäischen Versorgungssysteme in Gruppen mit hoher Ausprägung und Relevanz der Primärversorgung (Portugal, Spanien, UK, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Dänemark, Finnland), mit mittlerer Ausprägung und Relevanz (Deutschland, Schweiz, Frankreich, Schweden) und dergleichen mit niedriger Ausprägung und Relevanz (Österreich, Ungarn, Slowakei, Bulgarien, Türkei).

In Österreich sind allerdings seit 2013 durch gesetzliche Maßnahmen wie dem Gesundheitszielsteuerungsgesetz neue hausärztlich verantwortete Primärversorgungseinrichtungen ein wichtiger Teil der ambulanten (Regel-)Versorgung geworden (Gesundheitsförderung 6: Österreich).

Hausärztinnen und Hausärzte verkörpern in vielen Ländern den Kern primärer medizinischer Versorgung: eine wohnortnahe, preiswerte, kontinuierliche und personenzentrierte medizinische Versorgung. Allerdings verkürzt diese Gleichsetzung den Blick auf den weiteren Personenkreis, der in einigen Ländern primäre Gesundheitsleistungen erbringt: Akademisierte Pflegekräfte (Advanced Nurse Practioners), die beispielsweise berechtigt sind, ausgewählte Medikamente zu verordnen.

Wesentliche Elemente einer aktuellen Vision von primärer medizinischer Gesundheitsversorgung sind u. a. im WHO-Report des Jahres 2018 (WHO 2018a) sowie in den Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR 2014; SVR 2018; SVR 2023) dargelegt:

  • Primäre Gesundheitsleistungen sollen nicht nur von einer Hausärztin oder einem Hausarzt, sondern multiprofessionell und im Verbund mit anderen Leistungserbringenden (z. B. Physio-, Psycho-, Ergotherapie) erbracht werden. Die Formen der interdisziplinären Kooperation unterscheiden sich von Land zu Land (z. B. Primary Care-Teams, Community Health-Centers, Medizinische Versorgungszentren [MVZ], Maisons de Santé, regionale ärztliche Netzwerke).
  • Betont wird die Notwendigkeit, die Leistungserbringung der verschiedenen Professionellen bzw. Einrichtungen zu koordinieren. In vielen Konzepten wird diese Managementrolle der Hausärztin bzw. dem Hausarzt als „Gatekeeper“ oder „Lotsen“ zugewiesen.
  • Die primäre Gesundheitsversorgung sollte als „erste Ebene“ eines gestuften Versorgungssystems (Stepped Care) funktionieren.
  • Informierten und selbstverantwortlichen Patientinnen und Patienten wird eine aktive Rolle zugesprochen. Zwischen diesen und den medizinischen Professionellen findet ein Dialog mittels geteilter Entscheidungsfindung auf Augenhöhe statt (Shared Decision Making). Auf Gemeindeebene geht dies einher mit einer Stärkung von Patienten-Selbsthilfeinitiativen (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger).
  • Neben der Sorge um die Einzelnen sollte der Bevölkerungsbezug – die so genannte Public Health-Perspektive – bei der Planung der Versorgung an Bedeutung gewinnen. Konkret bedeutet dies, dass die medizinischen Professionellen auch die sozialen Gründe von Problemen untersuchen und benennen, die zu einem schlechteren Gesundheitszustand und einer geringeren Inanspruchnahme des Gesundheitswesens durch sozial benachteiligte Gruppen führen. Dies sollte als Basis für konkrete Aktionen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation dieser Menschen dienen.

Die nachfolgende Abbildung 1 verdeutlicht die zentrale Position von Teams in der Primärversorgung in einem regionalen Gesundheitszentrum aus Sicht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR).

Die wesentliche Bedeutung der primären Gesundheitsversorgung ist im politischen und versicherungsrechtlichen Raum, in der Pflege und in der sozialen Arbeit sowie in der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Gesundheitsberufe weitgehend konsentiert. Ausdrücklich hiervon ausgenommen werden muss gegenwärtig die ärztliche Aus- und Weiterbildung: Die ärztliche Grundausbildung in Deutschland qualifiziert für die „allgemeine Arztreife“. Auf deren Grundlage wird dann eine fachärztliche Weiterbildung absolviert, allgemeinärztlich-primärversorgend oder gebietsärztlich-spezialistisch versorgend.

Im Weiterbildungs-Abschnitt der ärztlichen Qualifikation, die sich in Deutschland als ein Training-on-the-Job mit einem Pflichtleistungskatalog darstellt, konkurriert die allgemeinmedizinische Weiterbildung mit rund 50 anderen Fachgebieten. Anerkennungen für das Fach Allgemeinmedizin erhielten laut Ärztestatistik im Schnitt der Jahre 2014 bis 2022 ca. 10 bis 13 % aller Ärztinnen und Ärzte eines Jahrgangs, die eine Weiterbildung abgeschlossen hatten, Tendenz steigend (BÄK 2023). Gleichwohl geht die praktische Umsetzung des Konzepts der primären Gesundheitsversorgung nur sehr zögerlich voran. Die geschieht auch vor dem Hintergrund, dass der ärztliche Qualifizierungsprozess zwischen Staat (Ausbildung nach Approbationsordnung) und dem Selbstverwaltungsorgan Ärztekammer (Weiterbildung nach Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer) aufgeteilt ist, ohne dass bisher institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit gewachsen wären (van den Bussche u. a. 2018).

Die Dominanz der Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen in Deutschland (Gesundheitsförderung 5: Deutschland) ist ärztlich dominiert und parzelliert. Populationsbezogene Vernetzungen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit und ohne weiteren Berufsgruppen und Einrichtungen lassen sich hierzulande an den Fingern einer Hand aufzählen (beispielweise die integrierte Versorgung in einem Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt oder das Netzwerk „Gesundes Kinzigtal“). Eine ambulant tätige Krankenpflege existiert nur für eng begrenzte Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern V und XI. Ambulante krankenpflegerische und physiotherapeutische Leistungen werden parallel zur hausärztlichen Tätigkeit erbracht. Die Versorgung ist dabei kaum aufeinander abgestimmt, Kooperation ist eher die Ausnahme. Im Vergleich zu Kuration und Rehabilitation sind Prävention und Gesundheitsförderung weiterhin eher Randerscheinungen im Versorgungssystem. Zwar hat der Bundestag 2015 ein Präventionsgesetz verabschiedet, aber dessen Umsetzung liegt in den Händen der kommunalen Selbstverwaltung nach deren Selbstverständnis von Gesundheitsförderung (Walter & Volkenand 2017).

Bisher hat das Konzept einer umfassenden, berufsgruppenübergreifenden, medizinisch-pflegerisch-psychosozialen Grundversorgung auch hierzulande eine Reihe von Projekten in der Gesundheitsversorgung hervorgebracht (beispielsweise Poliklinik Hamburg-Veddel, weitere PORT-Zentren der Robert-Bosch-Stiftung, Gesundheitskioske in Hamburg, Köln, Aachen und Essen, Sozialberatung in Berliner Hausarztpraxen). Die Entwicklungsperspektiven lassen erwarten, dass die Zusammenarbeit der Berufsgruppen und Fachdisziplinen (Collaborative Care) weiter gestärkt wird. Der Gesundheitskompetenz und dem Selbstmanagement der Bürgerinnen und Bürger wird zukünftig ein höherer Stellenwert eingeräumt.

Auf internationaler Ebene wird das primärmedizinische Konzept mit der Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit und dem Einbezug sozialer Determinanten der Gesundheit (CDSH 2008) verknüpft. Den Rahmen bildet dabei der Ansatz einer „allgemeinen Gesundheitsversorgung“ (Universal Health Care). Ausdrücklich wird darin festgestellt, dass

  • „Gesundheitssysteme auf dem Primary Health Care-Modell aufgebaut sein sollten“,
  • sie „lokale Aktionen gegen die sozialen Determinanten mit einer verstärkten Primärversorgung kombinieren sollen“ und sich schließlich
  • „auf Prävention mindestens so stark fokussieren sollen wie auf Behandlung“ (CDSH 2008, S. 94).

Aktuelle Modelle und Maßnahmen

In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung des Themenkomplexes „primäre Gesundheitsversorgung und hausärztliche Versorgung“ weltweit zugenommen – wegen des drohenden Defizits an Hausärztinnen und Hausärzten zum einen außerhalb der Großstädte, zum anderen auch innerhalb der großen Städte bezogen auf Stadtteile mit ärmerer Bevölkerung (van den Bussche 2019). Das führt sowohl zu spezifischen Maßnahmen zur Steigerung der Zahl der „Landärztinnen und Landärzte“ durch eine Kontingentierung von Studienplätzen oder die Vergabe von Stipendien als auch zu Überlegungen zu einer generellen Wiederaufwertung der hausärztlichen Tätigkeit.

In Deutschland wird inzwischen die Weiterbildung zur Allgemeinmedizin durch spezifische Fördermaßnahmen gestärkt, die im Sozialgesetzbuch (SGB) V §75a niedergelegt sind. Dabei werden Weiterzubildende in der ambulanten und der stationären Versorgung durch finanzielle Hilfen unterstützt, die von den Selbstverwaltungspartnern (Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen) gemeinsam getragen werden. Zudem sind seit 2017 in 15 Bundesländern Kompetenzzentren zur „Weiterbildung Allgemeinmedizin“ entstanden, getragen von den Ärztekammern, kassenärztlichen Vereinigungen und allgemeinmedizinischen Instituten der Universitäten. Hieraus entwickeln sich curriculare und didaktische Angebote sowohl für Weiterzubildende als auch für Weiterbildende (KBV o. J.).

Auch die Etablierung von Modellen der „hausarztzentrierten Versorgung“ (HAZV) in § 73b des SGB V zielte darauf ab, den primärärztlichen Versorgungsansatz zu stärken. In der HAZV schließen die Krankenkassen Selektivverträge mit hausärztlich Versorgenden ab, deren Patientinnen und Patienten sich in das Programm einschreiben können. Diese verpflichten sich, bei einem gesundheitlichen Problem zunächst die hausärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen. Je nach Vertrag gelten für die Niedergelassenen spezifische Anforderungen wie die Teilnahme an einem Qualitätszirkel, die Ausweitung der Praxisöffnungszeiten und klar begrenzte Wartezeiten. Ob die beschriebenen gesetzgeberischen Maßnahmen die primärmedizinische Versorgung stabilisieren und weiterentwickeln können, wird die Zukunft zeigen.

Zukünftige Handlungsfelder

Im OECD-Report (OECD 2020) lassen sich die Handlungsfelder erkennen, denen sich Deutschland auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in den kommenden Jahren zu stellen hat, um die medizinische Grundversorgung aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln:

  • Ausbau, weitere Entwicklung und Erprobung von neuen Versorgungsmodellen, die spezifische Disziplinen zusammenbringen.
  • Konzeptuelle Weiterführung von Kooperationsmodellen (Versorgung in Teams, fachübergreifend und integrativ), für die kollaborativ geteilte Versorgungsstrukturen mit gemeinsamer Verantwortlichkeit zu schaffen sind.
  • Integration von ärztlicher, sozialer sowie kommunaler Versorgung durch Gesundheitsförderung und andere Angebote des öffentlichen Gesundheitsdienstes (Öffentlicher Gesundheitsdienst [ÖGD] und Gesundheitsförderung).
  • Sicherstellung der ärztlichen und der pflegerischen Versorgung. Gerade die Corona-Pandemie hat das seit 2020 stark ins Bewusstsein gerufen.
  • Einbezug von Wünschen, Bedürfnissen und Verbesserungsideen, die aus der Sicht der Patientinnen und Patienten eingebracht werden. Dies kann durch Förderung institutioneller (Vereine, Beiräte etc.) oder anderer Organisationsformen (Initiativen von Patientinnen und Patienten) möglich gemacht werden (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger).
  • Nutzung datenschutzsicherer digitaler Dienste zur Erfassung, zum Management und zur Auswertung medizinischer Daten sowie zur Sicherstellung eines koordinierten Versorgungspfades (Digitalisierung in Prävention und Gesundheitsförderung).
  • Schwerpunktsetzung der Versorgungsansätze auf Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen (Multimorbidität) sowie auf Menschen, die schwerer als andere Zugang zur Versorgung finden und deswegen ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen haben.

Literatur:

BÄK (2023). Ärztestatistik 2022. Anzahl der erteilten Anerkennungen. Zugriff am 18.08.2023 unter www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Ueber_uns/Statistik/AErztestatistik_2022_09062023.pdf.

van den Bussche, H. (2019). Die Zukunftsprobleme der hausärztlichen Versorgung in Deutschland: Aktuelle Trends und notwendige Maßnahmen. In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 62, S. 1.129–1.137.

van den Bussche, H., Niemann, D., Robra, B., Schagen, U., Schücking, B. u. a. (2018). Zuständigkeiten und Konzepte zur ärztlichen Ausbildung und Weiterbildung. In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 61, S. 163–169. https://doi.org/10.1007/s00103-017-2675-x.

CDSH – Commission on Social determinants of Health (2008). Closing the gap in a generation: Health equity through action on the social determinants of health − Final report of the commission on social determinants of health. Geneva. Zugriff am 18.08.2023 unter www.who.int/publications/i/item/WHO-IER-CSDH-08.1.

KBV (o. J.) Weiterbildungsförderung. Zugriff am 18.08.2023 unter www.kbv.de/html/themen_2861.php.

Kringos, D. S., Boerma, W. G. W., Hutchinson, A. & Saltman, R. B. (2015). Building primary care in a changing Europe. European Observatory on Health Systems and Policy. Zugriff am 18.08.2023 unter https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/154350/9789289050319-eng.pdf?sequence=3.

OECD (2020). Realising the potential of pimary health care. OECD Health Policy Studies, OECD Publishing, Paris. Zugriff am 18.08.2023 unter https://doi.org/10.1787/a92adee4-en.

Starfield, B. (1994). Is primary care essential? The Lancet, 344 (8930), S. 1.129-1.133. Zugriff am 18.08.2023 unter www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(94)90634-3/fulltext.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2015). Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Zugriff am 18.08.2023 unter www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2014/Langfassung2014.pdf.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2019). Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. Zugriff am 18.08.2023 unter www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2018/Gutachten_2018.pdf.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2023). Resilienz im Gesundheitswesen − Wege zur Bewältigung künftiger Krisen. Zugriff am 18.08.2023 unter www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2023/Gesamtgutachten_2023_barrierefrei.pdf.

Walter, U. & Volkenand, K. (2017). Kommunale Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland: Pflichten, Rechte und Potenziale im Kontext der kommunalen Daseinsvorsorge. In: Gesundheitswesen, 79(4), S. 229–237.

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WHO (2018) – A Vision for Primary Health Care In The 21st Century. Zugriff am 18.08.2023 unter https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/328065/WHO-HIS-SDS-2018.15-eng.pdf.

WHO (2018a). Global Conference on Primary Health Care. From Alma-Ata towards universal health coverage and the Sustainable Development Goals. Zugriff am 18.08.2023 unter www.who.int/docs/default-source/primary-health/declaration/gcphc-declaration.pdf.

WHO (2018b). From Alma-Ata to Astana: Primary health care – reflecting on the past, transforming for the future. Zugriff am 18.08.2023 unter https://apps.who.int/iris/handle/10665/345685.

Internetadressen:

Community-Campus Partnerships for Health: www.ccphealth.org

GESUND! Menschen mit Lernschwierigkeiten und Gesundheitsförderung: www.partkommplus.de/teilprojekte/gesund

GESUND! Videokanal: www.youtube.com/channel/UCntMMGlqfJYnOhNsVcmm2ng/videos

International Collaboration for Participatory Health Research: www.icphr.org

Netzwerk Partizipative Gesundheitsforschung: www.partnet-gesundheit.de

PartKommPlus – Forschungsverbund für gesunde Kommunen: www.partkommplus.de

Partizipative Qualitätsentwicklung in der HIV-Prävention: www.pq-hiv.de

Verweise:

Digitalisierung in Prävention und Gesundheitsförderung, Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy, Gesundheitsförderung 3: Entwicklung nach Ottawa, Gesundheitsförderung 5: Deutschland, Gesundheitsförderung 6: Österreich, Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) und Gesundheitsförderung, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Präventionsgesetz, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit