Stress und Stressbewältigung
Gundula Ernst , Alexa Franke , Peter Franzkowiak
Zitierhinweis: Ernst, G., Franke, A. & Franzkowiak, P. (2022). Stress und Stressbewältigung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Unter Stress wird die starke Beanspruchung eines Organismus durch innere oder äußere Reize verstanden. Die evolutionär betrachtet lebenswichtige Aktivierung des Organismus in Bedrohungssituationen ist heutzutage häufig mit negativen Auswirkungen für Körper und Psyche verbunden. Da Stress durch die Interaktion einer Person mit ihrer Umwelt entsteht, können Präventionsmaßnahmen sowohl auf Individualebene als auch auf struktureller und gesellschaftlicher Ebene ansetzen.
Schlagworte
Stress, Stressbewältigung, Alarmreaktion, Stressor, transaktionales Stressmodell
Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse leidet rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung häufig unter Stress (Techniker Krankenkasse 2021). Frauen sind im Durchschnitt stärker betroffen als Männer und auch Kinder und Jugendliche berichten zunehmend über Stress. Unter Stress versteht man die starke Beanspruchung eines Organismus durch innere oder äußere Reize. Diese als Stressoren bezeichnete Reize stören das innere Gleichgewicht des Organismus (Homöostase) und erfordern von ihm eine Anpassungsreaktion. Sie führen zu einem typischen Reaktionsmuster, das den Organismus kurzfristig besonders leistungsfähig macht und ihn befähigen soll, die herausfordernde Situation zu meistern.
Die meisten Menschen verbinden mit dem Wort Stress negative Einflüsse, wie z. B. zwischenmenschliche Konflikte oder Zeitdruck. Dieser sogenannte Disstress beschreibt einen unangenehmen Zustand, bei dem es der Person nicht vollständig gelingt, die Situation zu bewältigen. Disstress wird als Belastung empfunden und ruft Angst und Hilflosigkeit hervor. Im Gegensatz dazu gibt es auch positiven Stress (Eustress). Er wird als Herausforderung empfunden und motiviert zum aktiven, gestaltenden Handeln.
Die Unterscheidung zwischen Dis- und Eustress macht deutlich, dass Herausforderungen nicht per se negativ sind, sondern durch das Erleben und Bewerten der Person ihre Bedeutung erhalten. Durch ihre individuellen Motive, Einstellungen und Bewertungen, mit denen eine Person an Herausforderungen herangeht, beeinflusst sie, wie stark das Stresserleben und damit die körperliche Stressreaktion ausfällt (vgl. Kaluza 2018).
Stressforschung
Die Stressforschung basiert einerseits auf dem biologischen Erklärungsmodell des Mediziners Hans Selye und andererseits auf dem psychologischen Stressbewältigungsmodell des Psychologen Richard Lazarus. Das biologische Modell (Stress als Reaktion) verknüpft Belastungsfaktoren außerhalb des Körpers auf messbare Weise mit inneren Reaktionsabläufen. Das psychologische Modell (Stress als Interaktion) beschreibt die Wirkung von Stressoren in Abhängigkeit von den verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten. Diese Ansätze werden ergänzt durch soziologische Modelle, welche das Stressgeschehen im sozialen Kontext betrachten. In ihrer heutigen Form verknüpfen Stressbewältigungsmodelle biomedizinische (Biomedizinische Perspektive), psychosomatische (Psychosomatische Perspektive), verhaltenspsychologische (Lern- und verhaltenspsychologische Perspektive) und Soziologische Perspektiven von Gesundheit und Krankheit.
Biologische Stressmodelle
Aus biologischer Sicht sind Stressreaktionen entwicklungsgeschichtlich alte, stereotyp im Körper ablaufende Aktivierungsmuster, die dem Organismus Energiereserven für unmittelbare Kampf- und Fluchtreaktionen (Fight or flight) zur Verfügung stellen sollen. Über die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol wird der gesamte Organismus in Alarmbereitschaft versetzt. Die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen, die Atmung beschleunigt sich und aus den Energiespeichern der Leber, der Muskeln sowie des Fettgewebes wird Glukose freigesetzt. Die Muskulatur wird dadurch optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen für eine körperliche Kampf- oder Fluchtreaktion versorgt. Funktionen, die nicht dem unmittelbaren Überleben dienen, werden in ihrer Aktivität herabgesetzt (z. B. Hemmung der Verdauungstätigkeit und der Libido). Stressreaktionen sind somit lebenswichtig und ein natürlicher Verteidigungsmechanismus.
Die biologische Stressforschung beschreibt das relativ stereotyp ablaufende Reaktionsmuster auf länger anhaltende Stressoren mit dem Allgemeinen Adaptationssyndrom. Das Allgemeine Adaptationssyndrom umfasst drei Phasen:
- Alarmreaktion zur raschen Bereitstellung von Energiereserven. Der Organismus gerät so in einen Zustand erhöhter Aktivität und Leistungsbereitschaft.
- Widerstands- bzw. Resistenzphase zur Wiederherstellung des Gleichgewichts. Der Organismus versucht, durch die Beseitigung der Stressoren oder die Anpassung an anhaltende Stressbedingungen das hohe Aktivierungsniveau zu reduzieren.
- Erschöpfungsstadium mit Verhinderung weiterer Anpassung durch Zusammenbruch von Widerstand.
Die Widerstandsphase kann nur für einen begrenzten Zeitraum aufrechterhalten werden. Ist der Organismus ständig Phasen von erhöhter Aktivierung ausgesetzt, ohne dass es zur Erholung kommt, beispielsweise bei beruflicher oder privater Dauerbelastung, kann es zu schwerwiegenden Langzeitschädigungen kommen (siehe unten „Folgen von anhaltendem Stress“).
Psychologische Stressmodelle
Während das biologische Modell die physiologischen Reaktionen in einer Stresssituation beschreibt, konzentrieren sich psychologische Modelle darauf, welche Reize als Stressoren wahrgenommen werden und wie ihre Verarbeitung verläuft. Die psychologische Stressperspektive betont dabei die Bedeutung der kognitiven Bewertung. Stress existiert nicht per se − er ist das, was von einer Person als solcher wahrgenommen wird.
Gemäß dem Transaktionalen Stressmodell (Lazarus & Folkmann 1984) entsteht Stress, wenn die Person eine Situation, mit der sie konfrontiert ist, als herausfordernd erlebt und nicht unmittelbar weiß, wie sie mit ihr umgehen soll. Somit kann jede Situation einen Stressor darstellen. In Abbildung 1 ist dieser Bewertungsprozess und der daran anschließende Bewältigungsprozess dargestellt.
Der Bewertungsprozess im Transaktionalen Stressmodell (Lazarus & Folkmann 1984) ist in zwei Phasen unterteilt:
- Primäre Bewertung (Primary appraisal)
Zunächst überprüft die Person den Reiz, mit dem sie konfrontiert wird, im Hinblick auf ihr Wohlergehen. Hierbei sind drei Bewertungen möglich. Der Reiz kann (1) irrelevant für sie sein, (2) er kann als positiv bewertet werden oder (3) als Reiz gesehen werden, der die unmittelbaren Bewältigungsmöglichkeiten fordert, d. h. stresshaft ist. Relevant für den Copingprozess ist nur eine Bewertung des Reizes als stresshaft. In diesem Fall wird als nächstes beurteilt, ob (1) bereits ein Schaden oder Verlust eingetreten ist, ob (2) eine Beeinträchtigung droht oder ob es sich (3) um eine positive Herausforderung handelt, d. h. um eine Anstrengung, die zwar stresshaft ist, aber für die Person als interessant oder lohnend erscheint. - Sekundäre Bewertung (Secondary appraisal).
Hat die Person nun im Rahmen der primären Bewertung festgestellt, welche Relevanz und welche Konsequenzen der Reiz für sie haben könnte, so kommt es in der Phase der sekundären Bewertung zu einer Abschätzung der Bewältigungsressourcen, die der Person zur Verfügung stehen. Dazu gehören Fähigkeiten, welche die Person in früheren Stresssituationen erworben hat, ihr Selbstvertrauen, aber auch materielle Ressourcen und soziale Unterstützungsmöglichkeiten. Je weniger Ressourcen die Person zur Bewältigung der spezifischen Stresssituation sieht, desto intensiver wird die Stressreaktion ausfallen.
Diese beiden Bewertungen folgen nicht strikt zeitlich aufeinander, sondern können sich überlappen und gegenseitig beeinflussen. Zudem sind sie von der subjektiven Wahrnehmung der Person geprägt und nicht von den objektiven Gegebenheiten der Situation.
Nach Abschluss des Bewertungsprozesses kommt es zu Bewältigungshandlungen. Diese können auf die Veränderung der Situation abzielen (instrumentelles Coping) oder auf intrapsychische Bewältigungsstrategien (emotionales Coping). Details zum Copingprozess finden sich weiter unten im Abschnitt Stressbewältigung (Coping) in diesem Beitrag. Daran schließt sich die Neubewertungen (Reappraisal) der Situation an. War die Bewältigung erfolgreich, wird die Situation zukünftig als weniger bedrohlich oder als interessante Herausforderung eingestuft. Bei inadäquatem Coping steigt die Bedrohung.
Aus dem Transaktionalen Stressmodell lassen sich Ansätze zur individuellen Stressprophylaxe und -bewältigung ableiten. So kann beispielsweise mit kognitiven Techniken an der Bewertung von Situationen gearbeitet werden. Ebenso können individuelle Strategien zur Stressbewältigung trainiert werden.
Soziologische Stressmodelle
Soziologische Modelle richten ihren Fokus auf die Entstehung von Stress im sozialen Kontext, so z. B. auf Stressoren in der Arbeitswelt, und auf soziale Unterstützung als Bewältigungsressource. Dabei spielt vielfach die Disbalance zwischen Personen- und Umweltfaktoren eine Rolle.
Gemäß dem Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek & Theorell 1990) entsteht Stress in der Arbeitswelt bei fehlender Balance zwischen den Anforderungen einer Tätigkeit und den Kontrollmöglichkeiten, die eine Person hat. Je höher die Anforderungen und je geringer die Kontrollmöglichkeiten sind, desto größer ist der Stress (siehe Abb. 2). Mangelnder sozialer Rückhalt verschärft das stressbedingte Risiko zusätzlich.
Das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen (Siegrist & Dragano 2008) basiert auf der Annahme, dass zwischenmenschlicher Austausch durch reziprokes Geben und Nehmen bestimmt ist, und dass diese Norm auch für die Arbeitswelt gilt. Erhalten Arbeitnehmerinnen und -nehmer für das, was sie leisten, keinen adäquaten Ausgleich beispielsweise in Form von Lohn, Arbeitsplatzsicherheit und Anerkennung, kommt es zu negativen Emotionen und damit Stressreaktionen. Wenn eine dauerhafte hohe Verausgabung ohne angemessene Gratifikation bleibt, kann es zu einer krisenhaften Zuspitzung mit negativen Gesundheitsfolgen kommen („hohe Kosten + niedriger Gewinn = Gratifikationskrise“).
Aus diesen Modellen lassen sich Anregungen für die Gestaltung von Arbeitsaufgaben und für die Mitarbeiterführung ableiten. Neuere Ansätze beschäftigen sich auch mit außerberuflichen Lebensbereichen wie z. B. der gesundheitlichen Situation von Hausfrauen und Müttern (vgl. Sperlich & Geyer 2015).
Ein weiterer Schwerpunkt der soziologischen Stressforschung beschäftigt sich mit dem Einfluss Sozialer Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit (vgl. Lampert 2016). Soziale Ungleichheit beispielsweise aufgrund des sozioökonomischen Status, Gender oder Ethnie/Kultur wirkt sich auf vielfältige Weise negativ auf die Entstehung und Bewältigung von Stress aus (u. a. erhöhte Stressexposition durch belastende Lebensbedingungen; weniger Bewältigungsstrategien des Individuums, aber auch des Umfelds; reduzierte Verfügbarkeit von sozialen und materiellen Ressourcen; geringere Möglichkeiten zur Aktivierung von Ressourcen). Zumindest für vulnerable Populationen sind soziale Determinanten und Ungleichheiten damit nicht nur als indirekte, sondern auch als direkte Einflussvariablen anzusehen (APA 2017). Dementsprechend müssen Präventionsmaßnahmen insbesondere für Menschen in besonders prekären Lebensverhältnissen auch die Veränderung von gefährdenden Lebenslagen ins Ziel nehmen (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit).
Biopsychosoziale Stressmodelle
Die dargestellten Modelle verdeutlichen die komplexen Abläufe und Wechselwirkungen bei der Entstehung und Bewältigung von belastenden Situationen, so dass multifaktorielle Erklärungsmodelle diesen Prozess vermutlich am besten abbilden können.
In den 1970er Jahren wurden in der Klinischen Psychologie und der Psychiatrie zunächst Vorstellungen eines Diathese- bzw. Vulnerabilitäts-Stress-Modells entwickelt. Diese beruhten auf der Hypothese, dass es bereits lange vor dem Ausbruch einer (psychischen) Erkrankung durch genetische oder entwicklungsbiologische Faktoren zu neuropathologischen und/oder biochemischen Veränderungen im Gehirn kommt. Damit besteht eine grundlegende Verletzbarkeit (Diathese, Vulnerabilität), beispielsweise für die Entstehung affektiver Störungen. Diese Vulnerabilität allein reicht jedoch nicht aus, um eine Erkrankung auszulösen. Zusätzlich müssen starke und in der Regel dauerhafte Umweltfaktoren (Stressoren, kritische Lebensereignisse) den Organismus belasten, damit es zum Ausbruch der Erkrankung kommt.
In den 1980er Jahren wurde das Modell um interne und externe protektive Faktoren erweitert und in das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Konzept überführt (siehe Abb. 3). Die Vulnerabilität entsteht hier durch die Wechselwirkung von genetischen Faktoren und/oder vorgeburtlichen Schädigungen mit somatischen (z. B. Erkrankung oder Traumata) und psychosozialen Risikofaktoren (z. B. familiäre Kommunikationsmuster, Entwicklungsstörungen). Diese Dispositionen bewirken eine spezifische Erlebnisverarbeitung. Unter massiver oder chronischer Einwirkung von Stressoren kann es dann zu einer psychischen Dekompensation mit klinischer Symptomatik und weitreichenden Konsequenzen kommen.
Das Besondere an diesem Modell ist, dass es sowohl individuelle als auch umweltbezogene Einflussfaktoren berücksichtigt, und dass diese sowohl eine stressverstärkende als auch eine stressreduzierende Wirkung haben können (Resilienz und Schutzfaktoren).
Stressauslösende Reize (Stressoren)
Folgt man dem Transaktionalen Stressmodell (siehe Psychologische Stressmodelle in diesem Beitrag) wird deutlich, dass Reize nicht bei jeder Person gleichermaßen Stress auslösen. Es existieren jedoch Reize, die unabhängig von der jeweiligen subjektiven Bewertung von vielen Menschen als stresshaft erlebt werden. Dazu gehören physische und psychosoziale Belastungen ebenso wie sogenannte Life events (siehe Tab. 1). Hierbei handelt es sich um lebensverändernde Ereignisse wie Arbeitslosigkeit, eine schwere Krankheit oder Verlust eines nahen Angehörigen, die intensive Anpassungsleistungen vom Organismus erfordern. Auch tägliche Ärgernisse (Daily hassles) können zu Stressreaktionen führen, wenn sie gehäuft oder dauerhaft auftreten.
Die Bedeutung eines Stressors wird durch seine Intensität, Häufigkeit, Dauer, Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit bestimmt. Treten mehrere Stressoren zeitgleich auf, können sie sich in ihrer Wirkung potenzieren. Stressoren-Listen, die durch Aufsummieren einzelner Stressoren die Stressbelastung ableiten wie die Social Readjustment Rating Scale, greifen jedoch zu kurz, da sie individuelle und soziale Faktoren zu wenig berücksichtigen.
Physikalisch-sensorische Stressoren |
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Körperliche Stressoren |
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Leistungs- und soziale Stressoren |
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Lebensverändernde kritische Ereignisse (Life events) |
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Kritische Übergänge im Lebenslauf („Transitionen“) |
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Chronische Spannungen und Belastungen |
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Tab. 1: Typische Stressoren, eigene Darstellung
Stressbewältigung (Coping)
Als Coping werden alle kognitiven und verhaltensbezogenen Anstrengungen des Organismus bezeichnet, die vom Stressor ausgehende Bedrohung zu reduzieren und das eigene Gleichgewicht wiederherzustellen. Unterschieden wird dabei nach Anstrengungen, die primär auf eine Veränderung der Situation abzielen (instrumentelles Coping), und solchen, die vor allem auf eine Veränderung der belastenden Gefühle und Gedanken abzielen (emotionsbezogenes Coping). Später wurde eine dritte Form ergänzt: das regenerative Coping.
- Instrumentelle Copingstrategien: u. a. Problemlöseverhalten zum Ausschalten des Stressors, Verbesserung des Zeitmanagements, Einholen von Informationen, Suche nach sozialer Unterstützung.
- Emotionsorientierte Copingstrategien: u. a. kognitives Umstrukturieren, innerliches Distanzieren, Vermeiden/Verdrängen, Sich Ablenken, Sinnsuche.
- Regenerative Copingstrategien: u. a. aktive Entspannung, Bewegung, Erholung mit dem Ziel, körperliche Anspannungen zu lösen, innere Unruhe zu dämpfen und neue Energien aufzubauen.
Kaluza (2018) verdeutlicht in seiner Stress-Ampel die drei Ebenen des Stressgeschehens und die daraus resultierenden Strategien zur Stressbewältigung (siehe Abb. 4).
Auf der Ebene von äußeren Stressoren geht es darum, diese auszuschalten oder zumindest zu reduzieren. Auf Ebene der Stressverstärker sind persönliche stressverschärfende Motive, Einstellungen und Denkmuster wie Perfektionismus, Ungeduld, Kontrollstreben oder Einzelkämpfertum Ansatzpunkt der Veränderung. Die stressreaktionsorientierte Bewältigung zielt auf die Reduktion der psychischen und physischen Auswirkungen von Stress ab. Sie umfasst sowohl kurzfristige Erleichterung in der akuten Stresssituation als auch die langfristige Regeneration.
Die Stressforschung hat viel Energie darauf verwendet, herauszufinden, welche Form des Copings am wirksamsten ist. Lange galt das instrumentelle Coping gegenüber den emotionsbezogenen Strategien als überlegen. Inzwischen herrscht weitgehend Übereinstimmung, dass nicht die Art einzelner Strategien ausschlaggebend ist. Vielmehr gelingt Stressbewältigung vor allem Personen, die über ein breites Repertoire an Copingstrategien verfügen und diese situationsangemessen und flexibel einsetzen können. Diese Flexibilität wird unterstützt durch persönliche und soziale Ressourcen, die einer Person zur Verfügung stehen (z. B. soziales Netzwerk, finanzielle Reserven, externe Hilfeangebote). Dabei kommt es darauf an, über welche Handlungskompetenzen eine Person verfügt, um auf solche Unterstützungsmöglichkeiten zugreifen zu können.
Copingversuche können jedoch auch destruktiv sein und selbst zu Krankheitsvorläufern werden. Ein Beispiel hierfür ist das Betäuben von Inkompetenzerleben durch übermäßigen Konsum von Alkohol, Medikamenten oder Drogen. Die Gefahr ist umso größer, je weniger Strategien und Ressourcen einer Person zur Verfügung stehen, da sie immer wieder Reize als Stressoren erlebt, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten überfordern. Erfolgreiche Bewältigungsstrategien sind somit gesundheitliche Ressourcen.
Folgen von anhaltendem Stress
Die adaptive Energie eines Organismus ist nicht nur akut in Stresssituationen, sondern auch langfristig gesehen begrenzt. Überfordern Anforderungen chronisch die Adaptationsfähigkeit, ist der Organismus nicht mehr in der Lage, die Homöostase wiederherzustellen. Dauerhafte oder häufig wiederkehrende Stressreaktionen können dann den Organismus schädigen und Erkrankungen begünstigen.
Beispiele für stressassoziierte Erkrankungen und Störungen sind:
- Herz-Kreislauferkrankungen wie Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt
- Metabolische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Hypercholesterinämie
- Kopf- und Rückenschmerzen durch muskuläre Verspannungen sowie verminderte Schmerztoleranz
- Störungen im Bereich der Sinnesorgane wie erhöhter Augeninnendruck, Ohrgeräusche und Hörsturz
- Psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Substanzmissbrauch
Dabei ist Stress weniger als Ursache, sondern als ein unspezifisch wirkender Co-Faktor bei der Entstehung dieser Krankheiten zu sehen. Als Haupteffekt wird die nicht abgebaute Energie angenommen, da es heutzutage selten zu körperlichem Kampf- oder Fluchtverhalten in Stresssituationen kommt. Zudem sind die Menschen oft chronischen Belastungen mit fehlenden Erholungspausen ausgesetzt. Das heißt, der Organismus bleibt auf einem dauerhaft erhöhten Erregungsniveau ohne ausreichende Phasen der zwischenzeitlichen Regeneration.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die durch andauernden Stress geschwächte Immunkompetenz des Körpers. Während kurzfristige, akute Belastungen das Immunsystem positiv stimulieren können, führen chronische Belastungen zu einer Schwächung der immunologischen Abwehr. Der Organismus ist dann insgesamt anfälliger für Infekte und andere Erkrankungen.
Schließlich zählt auch das jeweilige Gesundheitsverhalten zu den indirekten Einflussfaktoren. Menschen in Belastungssituationen tendieren zu gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen wie Rauchen, Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel. Diese sogenannten Risikofaktoren (Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell) vermindern langfristig die allgemeine Belastbarkeit und schädigen den Organismus.
Ansätze zur Stressbewältigung: Verhaltens- und Verhältnisprävention
Stress entsteht aus einem komplexen Wechselspiel von Belastungen, ihrer subjektiv wahrgenommenen Bedeutung, der Einschätzung von persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten und den jeweils verfügbaren Ressourcen der Person. Wichtige Variablen in diesem interaktiven, transaktionalen Prozess sind zudem die persönlichen Lebensweisen (Lebenslagen und Lebensphasen; Lebensweisen/Lebensstile). Entsprechend vielfältig können und sollten Ansätze zur Gesundheitsförderung sein (Gesundheitsförderung; Prävention und Krankheitsprävention).
Auf Individualebene sollte die Chance genutzt werden, Menschen zu ermutigen und zu befähigen, Alltagsbelastungen eigenständig zu bewältigen. Durch Gesundheitsförderung sollen und können Betroffene befähigt werden, zielgerichtet die Erhaltung und Verbesserung ihrer Gesundheit in Angriff zu nehmen. Als Praxisstrategien dienen dazu sowohl die persönliche Kompetenzförderung (Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung) als auch der Aufbau von sozialen Netzwerken (Soziale Unterstützung).
Untersuchungen zur sozialen Ungleichheit (Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit) legen jedoch nahe, dass der dauerhafte Erfolg nicht allein von der Steigerung persönlicher Bewältigungsmöglichkeiten abhängt. Art, Intensität und Pathogenität von Belastungen werden entscheidend von der strukturellen Lebenslage eines Menschen mitbestimmt (APA 2017). Die Lebenslage, d. h. die Position von Menschen in den Systemen sozialer Stratifizierung, reguliert die Wahrscheinlichkeit des Auftretens, die Wahrnehmung von Belastungen, ihre Bewertung und das Ausmaß der erfolgreichen Bewältigung in erheblichem Maße. Ohne eine Orientierung auf strukturelle Faktoren (Determinanten von Gesundheit) bleiben Maßnahmen der Gesundheitsförderung wenig erfolgversprechend. Gesundheitsförderung ist somit eine interdisziplinäre Aufgabe, insbesondere bei sozialer Ungleichheit und Benachteiligung (Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit).
Gleichwohl sind Maßnahmen zur Förderung von individuellen Bewältigungsmöglichkeiten und sozialer Unterstützung unverzichtbar. Erfolgreiche Interventionen umfassen demnach Angebote zu strukturellen Änderungen (sogenannte Verhältnisprävention wie Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung) ebenso wie direkte Hilfen vor allem für junge Menschen, so dass sie vielfältige Fertigkeiten und Strategien erwerben, um mit ihnen gestellten Aufgaben erfolgreich umgehen zu können (sogenannte Verhaltensprävention wie Stressmanagement- und Entspannungskurse).
Literatur:
APA − American Psychological Association (2017). Stress and health disparities report − Contexts, mechanisms and interventions among racial/ethnic minority and low socioeconomic status populations. Zugriff am 15.12.2021 unter www.apa.org/pi/health-disparities/resources/stress-report.aspx.
Franke, A. (2012). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber.
Kaluza, G. (2018). Stressbewältigung: Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Berlin: Springer.
Karasek, R. A. & Theorell, T. (1990). Healthy work: Stress, productivity and the reconstruction ofworking life. New York: Basic Books.
Lampert, T. (2016). Soziale Ungleichheit und Gesundheit. In M. Richter & K. Hurrelmann (Hrsg.). Soziologie von Gesundheit und Krankheit (S. 121−138). Berlin: Springer.
Lazarus, R. & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. New York: Springer.
Siegrist, J. & Dragano, N. (2008). Psychosoziale Belastungen und Erkrankungsrisiken im Erwerbsleben. Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 2008(51), 305−312.
Sperlich, S. & Geyer, S. (2015). The mediating effect of effort-reward imbalance in household and family work on the relationship between education and women's health. Social Science & Medicine 2015(131), 58-65.
Techniker Krankenkasse (2021). Entspann dich, Deutschland! – TK-Stressstudie 2021. Hamburg Techniker Krankenkasse.
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Berlin: Springer.
Weiterführende Literatur:
Cooper, C. L. & Quick, J. C. (2017). The handbook of stress and health: A guide to research and practice. Hoboken: Wiley Online Library.
Heinrichs, M., Stächele, T. & Domes, G (2015). Stress und Stressbewältigung. Göttingen: Hogrefe.
Verweise:
Biomedizinische Perspektive, Determinanten der Gesundheit, Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, Lebenslagen und Lebensphasen, Lebensweisen/Lebensstile, Lernpsychologische Perspektive, Prävention und Krankheitsprävention, Psychosomatische Perspektive, Resilienz und Schutzfaktoren, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit, Soziale Unterstützung, Soziologische Perspektiven auf Gesundheit und Krankheit