Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung
Hubert Lobnig , Birgit Metzler , Christina Dietscher , Jürgen M. Pelikan
Zitierhinweis: Lobnig, H., Dietscher, C. & Metzler, B., Pelikan, J. M. (2024). Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Methoden der gesundheitsförderlichen Organisationsentwicklung zielen darauf ab, Gesundheit als Kriterium in Entscheidungen und Prozessen von Organisationen zu verankern. Durch einen geplanten und methodisch kontrollierten Wandel sollen Strukturen und Kultur sowie das Kommunikations- und Kooperationsverhalten in Richtung gesundheitsfördernder Ziele verändert werden. Dies umfasst beispielsweise die Humanisierung von Arbeitsbedingungen, die Steigerung von Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden der Arbeitenden, die Verbesserung gesundheitsrelevanter Auswirkungen auf Kundinnen und Kunden bzw. Klientinnen und Klienten sowie die Optimierung des gesundheitlichen Impacts der Organisation (z. B. durch Verringerung des ökologischen Fußabdrucks). Interventionen berücksichtigen dabei Prinzipien wie die Orientierung an einem somato-psycho-sozialen Gesundheitsverständnis, Partizipation, Empowerment, Chancengerechtigkeit sowie soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit.
Schlagworte
Organisationsentwicklung, Gesundheitsförderung, Setting, Change- Management
Das Konzept der Gesundheitsförderung ist auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Voraussetzungen bzw. Determinanten der Gesundheit ausgerichtet. Sie werden in hohem Maß durch Organisationen bestimmt, die das Leben in der heutigen Zeit so stark prägen, dass in der Soziologie eine „Gesellschaft von Organisationen“ (vgl. Perrow 1991) für die Moderne diagnostiziert wurde.
Vom Kindergarten bis zum Pflegeheim beeinflussen Organisationen unsere Denk- und Verhaltensmuster und bestimmen die Zugänglichkeit und Qualität der zur Verfügung stehenden natürlichen, technischen und sozialen Ressourcen. Sie sind daher entscheidend dafür, was an Innovation und gesellschaftlichem Fortschritt realisiert werden kann. Die Entscheidungen, die die Gestaltung der menschlichen Lebensverhältnisse – ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – beeinflussen, sind dabei selbst in komplexe Organisationsstrukturen und -prozesse eingebettet.
Wesentliche Bedingungen für die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung sind daher ohne Verständnis und Kenntnisse der Entwicklungsdynamik unterschiedlicher Typen von Organisationen und deren Verhältnis zu ihren Umwelten nur schwer zu verstehen und zu verbessern. Dies macht gezielte Interventionen in Organisationen bzw. organisierte Entscheidungsprozesse (z. B. im Rahmen von Netzwerken) zu einer wichtigen Strategie der Gesundheitsförderung.
Da es aber (noch) kaum spezialisierte Organisationen für Gesundheitsförderung gibt und so gut wie alle Organisationen und Sektoren in der einen oder anderen Weise auch Einfluss auf Gesundheitsdeterminanten haben, kann Gesundheitsförderung nur begrenzt an bestimmte Organisationen delegiert werden. Sie ist vielmehr für alle etablierten Organisationen und organisierten Entscheidungsprozesse relevant (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies [HiAP]).
Dabei steht Gesundheitsförderung vor der Herausforderung, Gesundheit als Ziel und Kriterium in die Entscheidungen, Programme und Prozesse unterschiedlicher Arten von Organisationen mit sehr verschiedenen Zwecken einzubringen und dort zu verankern.
Organisationsentwicklung im Settingansatz
Bereits in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO (1986) ist dieser Zugang zur Entwicklung von Gesundheitsförderung mit der Einführung des Settingansatzes (Settingansatz/Lebensweltansatz) angelegt. Im Health Promotion Glossary der WHO (1998) wird dann Organisationsentwicklung als zentrale Methode der Setting-Entwicklung dargestellt. Denn: Einem Setting ist üblicherweise eine Organisation zugeordnet, die Gestaltungsmacht (Agency) in Bezug auf das Setting und die Handlungsfähigkeit als Akteurin auch gegenüber der Umwelt des Settings besitzt. Da Gesundheitsförderung als Kommunikationsstrategie verstanden werden muss, ist das Setting selbst für die Gesundheitsförderung nur über die dem Setting zugeordnete Organisation und deren Mitglieder adressierbar. Daher ist die gesundheitsfördernde Entwicklung von Settings im Kern immer auch Organisationsentwicklung.
Was aber kann im Detail darunter verstanden werden? Organisationsentwicklung bedeutet den geplanten und methodisch kontrollierten Wandel von Organisationen wie Betrieben und Unternehmen, Schulen, Krankenhäusern, Universitäten, Gefängnissen, Ämtern und Verwaltungen. Daher ist Organisationsentwicklung auch auf eine gesamte Gemeinde, Stadt oder Region als geografische Verwaltungseinheit anwendbar. Durch Organisationsentwicklung sollen in einem umfassenden und längerfristigen Prozess die Strukturen und die Kultur einer Organisation sowie das Kommunikations- und Kooperationsverhalten ihrer Mitglieder nach innen und nach außen untersucht und verändert werden. Ziel einer Organisationsentwicklung ist es, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern einer Organisation die Arbeits- und Produktionsbedingungen dieser Organisation humaner zu gestalten sowie deren Flexibilität und Leistungsfähigkeit in einer dynamischen Umwelt zu steigern. Dabei bedeutet die Steigerung der Leistungsfähigkeit nicht nur eine Steigerung der Produktivität, sondern auch des organisationalen Lernens, der Problemlösungsfähigkeit und damit der Überlebensfähigkeit der Organisation. Organisationsentwicklung orientiert sich nicht nur an betriebswirtschaftlichen, sondern besonders auch an sozialwissenschaftlichen Grundlagen.
Von den unterschiedlichen Ansätzen der Veränderung von Organisationen (z. B. Change Management, Business Reengineering, Lernende Organisation, Intelligente Organisation, Smarte Organisation) eignet sich die Organisationsentwicklung mit ihrem in Theorie, Methodik und Praxis angesammelten Wissen um die Bedingungen, Möglichkeiten und Schwierigkeiten der gezielten Veränderung von Organisationen besonders gut für die Implementierung von Gesundheitsförderung im Settingansatz. Zudem basiert Organisationsentwicklung im Gegensatz zum Change- bzw. Veränderungsmanagement auf einem Entwicklungskonzept, das die beteiligten und betroffenen Menschen und deren Wohlergehen mitberücksichtigt und versucht, diese zu motivierten Eigentümern eines nachhaltigen Entwicklungsprozesses zu machen. Dieses Konzept entspricht daher auch den Prinzipien der Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger), des Empowerments (Empowerment/Befähigung) sowie der Gleichheit und Nachhaltigkeit von Gesundheitsförderung (Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung) und ist auch an deren umfassendem Gesundheitsbegriff anschlussfähig. Organisationsentwicklung sollte innerhalb von speziellen Einrichtungen und Organisationen der Gesundheitsförderung auch mit dem Ziel angewendet werden, deren Effektivität, Effizienz und interne Gesundheitsförderlichkeit zu erhöhen. Ein Helfersyndrom ist auch bei Gesundheitsförderern ein Risiko und für diese und der Sache nicht zuträglich.
Grundansatz und Geschichte der Organisationsentwicklung
Organisationsentwicklung als wissenschaftliches Fach und als Praxisfeld widmet sich allen Formen des organisationalen Wandels. Dabei werden zum einen Ergebnisse organisationaler Veränderungsprozesse (z. B. die Verbesserung der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Qualitätsverbesserung von Dienstleistungen oder die Veränderung von Strukturen und Rollen) fokussiert. Zum anderen wird auch die Gestaltung der Veränderungsprozesse selbst in den Blick genommen – also die Arbeitsform, wie etwa Projektarbeit (vgl. Lobnig & Grossmann 2014; Schiersmann & Thiel 2018); Workshops (vgl. Thonet 2022), Großgruppenmethoden (vgl. Seliger 2019) oder digitalisierte und asynchrone Formen der Veränderungsarbeit wie remote und hybride Meetings, Chat-Foren, Diskussionsplattformen, digitale Whiteboards etc. (Stirling-Wilkie 2021; Matthiesen & Spengler 2020). Interventionen in der Organisationsentwicklung finden auf der Ebene der Organisation, der Gruppe, der Person und organisationsübergreifender Systeme statt (Cummings & Worley 2018).
Die Ursprünge der Organisationsentwicklung reichen in die 1940er Jahre der USA zurück. Als Reaktion auf einseitig rationalistische Ansätze wurde eine stärker partizipative Methode der Organisationsgestaltung entwickelt. Ausgangspunkt war die These, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und humanen Arbeitsbedingungen gibt, insbesondere dann, wenn die in der Organisation Tätigen an deren Entwicklung beteiligt werden. Eine stärkere Berücksichtigung der „Human Relations“ führt demnach auch zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Organisationen.
Die Integration von Prozessen partizipativer Organisationsgestaltung und der Ergebnisorientierung im Sinne der organisationalen Zielerreichung macht diesen Ansatz für Organisationen auch heute noch höchst attraktiv. Organisationsentwicklung orientiert sich dabei neben betriebswirtschaftlichen auch an sozialwissenschaftlichen Grundlagen.
In den letzten Jahren erleben wir immer schnellere und tiefgreifendere Wandlungsprozesse und eine steigende Komplexität in der Welt der Organisationen. Dabei treten – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Wettbewerbs um die Ressource Arbeitskraft – neben klassischen Aspekten der Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterorientierung zunehmend auch Fragen der ethischen Orientierung und der Werthaltung von Organisationen in den Vordergrund.
Angesichts des permanenten sozialen Wandels ist die Veränderungsfähigkeit zu einer zentralen Kompetenz von Organisationen geworden. Während früher Veränderungsnotwendigkeiten mit reaktiven Anpassungsprojekten beantwortet wurden, geht es heute mehr darum, Fähigkeiten zu vorausschauendem Wandel und zu erhöhter Agilität auf der Ebene der Strategiearbeit, des Organisationsdesigns, der Führung, der Arbeitsprozesse und der Kooperationskultur zu verankern (Girod, Birkinshaw & Prange 2023; Muster, Bull & Kapitz 2021).
Organisationsentwicklung im Setting
Bereits in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO (1986) ist mit der Einführung des Settingansatzes (Settingansatz/Lebensweltansatz) Organisationsentwicklung als Methode angelegt. Im Health Promotion Glossary der WHO (2021) wird Organisationsentwicklung als eine wesentliche Methode der Setting-Entwicklung dargestellt. Denn: Um ein Setting bzw. eine Lebenswelt gesundheitsfördernd zu verändern, braucht es Akteurinnen und Akteure mit Gestaltungsmacht und Handlungsfähigkeit. Sie müssen Ideen und Ziele entwickeln können, die an organisationale, regionale und lebensweltlich-kulturelle Voraussetzungen anschließen, und entsprechende Maßnahmen koordiniert in den jeweiligen Kontexten umsetzen. Daher ist die gesundheitsfördernde Entwicklung von Settings im Kern immer auch Organisationsentwicklung.
Im Detail bedeutet dies den geplanten und methodisch kontrollierten Wandel von Organisationen wie Unternehmen, Schulen, Krankenhäusern, Universitäten, sozialen Diensten, Gefängnissen oder von organisierten Verwaltungseinheiten wie Gemeinden, Städten oder Regionen, in Richtung gesundheitsfördernder Ziele. Untersucht und adressiert werden die Strukturen und die Kultur einer Organisation sowie das Kommunikations- und Kooperationsverhalten ihrer Mitglieder nach innen und nach außen. In einem partizipativen Prozess sollen diese Aspekte nach Möglichkeit so verändert werden, dass die gesundheitlichen Auswirkungen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kundinnen und Kunden und Umwelt verbessert sowie die Flexibilität und Leistungsfähigkeit der Organisation und damit ihre Überlebens- und Entfaltungsfähigkeit gesteigert werden.
Die Organisationsentwicklung ist mit ihrem in Theorie, Methodik und Praxis angesammelten Wissen über die Bedingungen, Möglichkeiten und Schwierigkeiten der gezielten Veränderung von Organisationen besonders kompatibel mit den Werten und Konzepten der Gesundheitsförderung im Settingansatz. Dazu gehören insbesondere die Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger), Empowerment (Empowerment/Befähigung), Chancengerechtigkeit (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit) und Nachhaltigkeit (Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung).
Zudem ist sie auch an deren umfassenden Gesundheitsbegriff (Gesundheit) anschlussfähig, denn sie basiert auf einem Veränderungsverständnis, das die betroffenen Menschen und deren Wohlergehen mitberücksichtigt und versucht, sie zu motivierten Beteiligten eines nachhaltigen Entwicklungsprozesses zu machen. Dabei ist ein wesentlicher Faktor, dass die Ziele des Settings bzw. der Organisation (z. B. Effizienz) mit den Zielen der Gesundheitsförderung verbunden werden (Co-Benefits-Ansatz, vgl. Batras, Duff & Smith 2016).
Organisationsentwicklung adressiert dabei Funktionsweisen und Entscheidungsprozesse von Organisationen und kann so die Verankerung gesundheitsförderlicher Ressourcen, Strukturen und Interaktionen unterstützen. Sie stellt erprobte und praxistaugliche Ansätze zur Diagnose von gesundheitsrelevanten Veränderungsbedarfen und -möglichkeiten bereit und bietet Instrumente zur Umsetzung von Veränderungsvorhaben. Dies erweitert das klassische Interventionsrepertoire der Gesundheitsförderung der personenbezogenen Wissensvermittlung und Beratung, von Informationskampagnen, dem Policy-Making und dem Gesundheitsmanagement, um partizipative Innovationsinstrumente (vgl. auch Pelikan 2007).
Grundannahmen und Erfolgsprinzipien für Organisationsentwicklung
Folgende Annahmen und Prinzipien sind leitend für gelingende Organisationsentwicklung und treffen auch auf Gesundheitsförderung zu:
- Veränderungsprozesse gelingen in Organisationen dann, wenn sie an den bestehenden Bedingungen ansetzen: den Ideen und Zielsetzungen der Organisation, den Kompetenzen und vorhandenen Ressourcen sowie der bestehenden Organisationskultur.
- Organisationsentwicklung bedeutet nicht die Implementierung fertiger Organisationskonzepte, sondern die kollaborative Erarbeitung von Organisationslösungen sowie die gemeinsame Arbeit an deren Implementierung. Daher braucht es die Einbindung von Entscheidungsträgerinnen und -trägern, die Nutzung aller Fachressourcen und die breite Partizipation von Betroffenen und in vielen Bereichen auch von Nutzerinnen und Nutzern sowie die Hilfe von externen oder internen Veränderungsexpertinnen und -experten.
- Organisationsentwicklung braucht ein balanciertes Verständnis von Veränderung. Dabei ist es wichtig, Veränderung und Bewahren kombiniert zu denken. Eine Organisation und die Menschen in ihr können sich nur dann auf Veränderungen einlassen, wenn sie sich gleichzeitig auf Kontinuitäten wie Stärken, Sicherheit gebende Planungen oder kollegiale Arbeitsbeziehungen stützen können. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich Veränderungen innerhalb der Organisation immer auch auf die Beziehungen zu ihrer Umwelt auswirken: auf Kundinnen und Kunden, Stakeholderinnen und Stakeholder, aber auch die Mitglieder der Organisation selbst, die ja immer nur zu einem Teil ihrer gesamten Person einer Organisation angehören.
- In der Praxis ist zu beobachten, dass die Nutzung digitaler Medien in der Kommunikation und in der Prozessgestaltung von Organisationsentwicklungsprozessen zunehmend Einzug nimmt. Neben der angepassten Vorgangsweise in der Kommunikation (remote oder hybride Meetings) geht es dabei auch um die Nutzung Kollaborationstools wie digitaler Whiteboards oder digitaler Seminarräume (Matthiesen & Spengler 2020; Stirling-Wilkie 2021).
Die verschiedenen möglichen Modi der Organisationsentwicklung haben unterschiedliche Voraussetzungen und sind unterschiedlich an Gesundheitsförderung anschlussfähig. Kerber und Buono (2018) unterscheiden drei Vorgangsweisen:
Direktiver Wandel kann dafür sorgen, dass ein Vorhaben rasch in die Umsetzung kommt. Dafür ist jedoch eine hohe Akzeptanz der Führung ebenso erforderlich wie eine Stimmigkeit zwischen der Kommunikation und dem eigenen Handeln der Führungspersonen.
Projektbasierte Vorgangsweisen mit partizipativen Strukturen und der Verbindung von hierarchischen Rollen und funktionsübergreifenden Teams haben den Vorteil, dass das Engagement gezielt verbreitert wird und Expertise vielschichtig berücksichtigt werden kann. Gleichzeitig brauchen projektbasierte Ansätze aber auch Zeit für Reflexion und Verhandlung zwischen Entscheidungsrollen und Expertinnen und Experten den Projekten und dürfen diese nicht dem Umsetzungsdruck opfern.
Iterative Vorgangsweisen ermöglichen die Erarbeitung von Lösungen mit hoher Akzeptanz, erfordern aber auch ein hohes Engagement der Akteurinnen und Akteure in Arbeits- und Projektgruppen. Die Voraussetzung für den Erfolg ist, dass die Beteiligten sich mit der Organisation und dem Anliegen identifizieren, Verantwortung übernehmen und sich mit Freude und Kompetenz in selbstgesteuerten Arbeitsformen bewegen.
Gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung
Um gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung im Setting-Ansatz erfolgreich umzusetzen, braucht es Kompetenzen für die Gestaltung, Steuerung, Moderation und Beobachtung von Veränderungsprozessen auf struktureller, gruppen- und personenbezogener Ebene. Die nachhaltige Wirkung der Interventionen hängt dabei von der Qualität der Prozessgestaltung ab: “(…) The quality of the process undertaken is critical to success, including simple, clearly defined and agreed goals, elasticity of the initiative for the organization, sufficient external environmental pressure such as market or political forces, and the existence of internal proponents for the change.” (Batras, Duff & Smith 2016, S. 239)
Als besonders erfolgreich haben sich Projekte herausgestellt, die gesundheitsfördernde Zielsetzungen mit den originären Zielsetzungen der jeweiligen Organisation verknüpfen (Co-Benefits-Ansatz). So erweisen sich z. B. Projekte zur Betrieblichen Gesundheitsförderung dann als erfolgreich, wenn damit auch ökonomische Vorteile (Produktivitätssteigerung, größere Innovationsbereitschaft, weniger Krankenstände etc.) erzielt werden können (vgl. Barthelmes, Bödeker, Sörensen, Kleinlercher & Odoy 2018; Rath 2017).
Nicht zuletzt braucht erfolgreiche Organisationsentwicklung Führungskräfte, Fach-Leads, Projektleiterinnen und -leiter, Moderatorinnen und Moderatoren sowie Beraterinnen und Berater und Coaches, aber auch Finanziers, die nicht (nur) auf kurzfristige Gesundheitsziele setzen, sondern auch auf die mittel- und langfristige Gestaltung von Bedingungen für mehr Gesundheit.
Erfahrungen und Anwendungsbeispiele
Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit von Organisationsentwicklung für die Umsetzung von Gesundheitsförderung haben sich in den letzten Jahrzehnten bestätigt. Dabei sind bewährte Instrumente wie der Gesundheitszirkel entstanden. Mit der „Arbeitswelt 4.0“, die durch Digitalisierung und neue Technologien charakterisiert ist, tauchen neue gesundheitliche Herausforderungen auf. Sie erfordern innovative Lösungen, die sich wandelnden Aspekte der Arbeitsumgebung, der Arbeitsprozesse und des Arbeitsklimas in den Blick nehmen. Praktische Beispiele, die aus einem spezifischen Förderschwerpunkt in Österreich hervorgingen, sind in der Publikation von Lang (2022) zu finden.
Während neuartige Problem- und Fragestellungen im Rahmen gesundheitsfördernder Organisationsentwicklung nach wie vor primär durch maßgeschneiderte Ansätze bearbeitet werden, entstehen für etablierte Themen und Zugänge des organisationalen Wandels insbesondere dann, wenn sie größere Gruppen gleichartiger Organisationen adressieren, zunehmend standardisierte Ansätze. Dabei spielt auch der zunehmende Anspruch an Evidenzbasierung von Interventionen und messbare Erfolgskriterien eine Rolle.
Beispielsweise wurden für die Betrieblichen Gesundheitsförderung, für Gesundheitsförderung und Schule oder Gesundheitsförderung und Krankenhaus Standards und Zertifizierungen etabliert, die zum einen die Anschlussfähigkeit an zunehmend standardisierte Organisationsprozesse erhöhen, zum anderen die Attraktivität für Unternehmen steigern sollen.
Damit gewinnen auch Anerkennungs- oder Zertifizierungsstellen für die Umsetzung von Gesundheitsförderung in Organisationen maßgeblich an Bedeutung. Am erfolgreichsten sind derartige Bemühungen bisher dort, wo sie nicht ein organisationales Setting insgesamt gesundheitsfördernd entwickeln wollen, sondern spezifische, abgrenzbare Sub-Themen adressieren, wie etwa das „Tabakfreie Krankenhaus“ oder das „Baby-friendly Hospital“.
Dabei ist zu beobachten, dass sich Gesundheitsförderung im Sinne eines „Umbrella“-Ansatzes zunehmend mit Themen verbindet, die verwandten Werthaltungen zuzurechnen sind, beispielsweise der Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung oder der „Ökonomie des Wohlergehens“ (Corbin, Ben Abdelaziz, Sørensen, Kökény & Krech 2021). Hier wird die wechselseitige Verstärkung von nachhaltigem Wirtschaftswachstum und Wohlbefinden/Well-Being betont.
Auch für gesundheitskompetente Organisationen haben sich in den letzten Jahren standardisierte Ansätze entwickelt. Im Fokus stehen dabei all jene organisationalen Strukturen und Prozesse, die sich mit der Zugänglichkeit, Verständlichkeit, Bewertbarkeit und Anwendbarkeit von Gesundheitsinformationen und Gesundheitsleistungen beschäftigen. Entsprechende Konzepte und Instrumente gibt es neben Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen inzwischen in angepasster Form auch für Schulen und die außerschulische Jugendarbeit (vgl. Dietscher & Pelikan 2016; Pelikan, Dietscher & Straßmayr 2023).
Für die Verbreitung von maßgeschneiderten Ansätzen zur Organisationsentwicklung bleibt die Unterstützung durch Partnerinnen und Partner jedoch zentral, die in der Gesundheitsförderung Co-Benefits für ihre eigenen Ziele sehen. So bieten in Österreich beispielsweise diverse Krankenkassen Beratung und Unterstützung für die betriebliche Gesundheitsförderung an, um die Gesundheit der Beschäftigten zu stärken und Krankenstände zu reduzieren.
Fazit
Trotz vieler nachweislich positiver Effekte wird gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung nach wie vor nur von einer kleinen Anzahl von Organisationen umgesetzt. Die Potenziale des Ansatzes sind damit bei weitem nicht ausgeschöpft. Um den gesamtgesellschaftlichen Effekt zu stärken, sind entsprechende gesundheitspolitische und gesetzliche Vorschriften und Sanktionen notwendig, aber auch die Bereitstellung von Ressourcen und Anreizen.
Daher ist neben der Organisationsentwicklung auch eine entsprechende Systementwicklung erforderlich. Insbesondere Akteurinnen und Akteure in Verwaltungsorganisationen sollten ihre Verantwortung für die Gestaltung gesundheitsfördernder Rahmenbedingungen in den ihnen zugeordneten Organisationen kennen und wahrnehmen – was selbst ein lohnender Gegenstand für die Organisationsentwicklung sein könnte.
Literatur:
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Batras, D., Duff, C. & Smith, B. J. (2016). Organizational change theory: implications for health promotion practice. Health Promotion International, 31, S. 231−241.
Corbin, J. H., Ben Abdelaziz, F., Sørensen, K., Kökény, M & Krech, R. (2021). Wellbeing as a policy framework for health promotion and sustainable development. Health Promotion International, 36, i64–i69. https://doi.org/10.1093/heapro/daab066.
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Weiterführende Quellen
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Internetadressen:
Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin: www.berlin.gesundheitfoerdern.de/BIGA.694.0.html
Gesundheitsförderung Schweiz − Leadership-Kit für Führungskräfte die ihre Mitarbeiter stärken wollen: https://friendlyworkspace.ch/de/bgm-services/leadership-kit
Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK) − Starter-Kit zur gesundheitskompetenten Organisation: https://oepgk.at/schwerpunkte/rahmenbedingungen-in-organisationen-settings/starter-kit-zur-gesundheitskompetenten-organisation
Verweise:
Betriebliche Gesundheitsförderung, Determinanten der Gesundheit, Empowerment/Befähigung, Gesundheit, Gesundheit in allen Politikfeldern / Health in All Policies (HiAP), Gesundheitsförderndes Krankenhaus, Gesundheitsförderung und Schule, Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Settingansatz/Lebensweltansatz, Wohlbefinden / Well-Being
Wir danken Jürgen M. Pelikan, der in der ersten Version dieses Beitrags das Team der Autorinnen und Autoren leitete und leider im Februar 2023 verstarb.