Gesundheitsförderndes Krankenhaus
Christina Dietscher , Birgit Metzler , Jürgen M. Pelikan
Zitierhinweis: Dietscher, C., Metzler, B. & Pelikan, J. M. (2024). Gesundheitsförderndes Krankenhaus. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Bei der Gesundheitsförderung im Krankenhaus stehen Kliniken vor allem mit ihrem Zugang zu bestimmten Zielgruppen im Fokus (Patientinnen und Patienten, Beschäftigte, Besucherinnen und Besucher, Anwohnerinnen und Anwohner). Der Ansatz „Gesundheitsförderndes Krankenhaus“ ist dagegen deutlich umfassender und sieht eine Klinik selbst als gesundheitsfördernde Umwelt. Mit partizipativen Konzepten der Organisationsentwicklung entstehen dort Strukturen, Ressourcen und Prozesse, die neben der medizinischen Versorgung auch die ganzheitliche somatische, psychische und soziale Gesundheit aller Beteiligten eines Krankenhauses stärken.
Schlagworte
Gesundheitsförderndes Krankenhaus, Gesundheitsförderung und Krankenhaus, Health Promoting Hospital Network, Netzwerke gesundheitsfördernder Krankenhäuser, Settingansatz in der Gesundheitsförderung
Studien belegen, dass Gesundheit weitgehend außerhalb des Gesundheitssystems entsteht, nämlich hauptsächlich dort, wo Menschen „spielen, lernen, arbeiten und lieben“ (WHO 1986). Die Steigerung der Lebenserwartung und die Reduktion frühzeitiger Morbidität und Mortalität sind nicht nur auf medizinische Interventionen zurückzuführen. Sie basieren auch wesentlich auf unterschiedlichen Lebensstilen, Umweltfaktoren und genetischen Veranlagungen. Insbesondere sozialen und Umweltfaktoren kommt dabei eine besondere Rolle zu. So zeigt etwa die Epigenetik die prinzipielle Beeinflussbarkeit genetischer Prädispositionen durch Umwelteinflüsse auf. Zudem hängen persönliche Lebensbedingungen und -stile stark von sozio-ökonomischen Determinanten und Sozialisationserfahrungen ab (Determinanten der Gesundheit).
Gesundheit und Krankheit sind somit soziale Phänomene, die von gesellschaftlichen Bedingungen wie beispielsweise vom Bildungsniveau und der sozialen Teilhabe oder gesetzlich normierten Regeln (z. B. hinsichtlich Arbeitssicherheit oder Umweltgrenzwerten) beeinflussbar sind.
Entsprechend propagiert der Settingansatz/Lebensweltansatz, der sich ab den 1980er Jahren herausbildete und 1986 in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung verankert wurde (WHO 1986), die Bedeutung nicht-medizinischer Interventionen zur Verbesserung von Gesundheitsdeterminanten in Settings wie Betrieben, Schulen, Gemeinden und Krankenhäusern. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Neben Führungsstilen sowie den Arbeits- und Lebensbedingungen im Setting spielt auch die Art der Veränderungsprozesse eine wichtige Rolle, die durch Empowerment/Befähigung, Partizipation und Ressourcen-Orientierung selbst gesundheitsförderlich wirken sollen.
Die Rolle der „Gesundheitsdienste“
Die Ottawa-Charta (WHO 1986) erwähnt die Gesundheitsdienste als einziges Setting, das einer Reorientierung bedarf. Deren Ziel ist es, „ein Versorgungssystem zu entwickeln, das (…) weit über die medizinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinausgeht“ (ebd.). Die Charta fordert nicht zuletzt eine bessere Koordination zwischen dem Gesundheitssektor und anderen sozialen, politischen und ökonomischen Kräften, darüber hinaus eine verstärkte Berücksichtigung salutogener (nicht nur pathogener) Faktoren (Salutogenese) in der Forschung, entsprechende Anpassungen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung und nicht zuletzt eine Veränderung der Organisationsformen im Gesundheitssystem. Damit soll die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen als ganzheitliche Persönlichkeiten gewährleistet werden.
Dabei bleibt offen, wie der Begriff „Gesundheitsdienste“ zu verstehen ist. Während die WHO bereits in ihrer Alma Ata-Deklaration (WHO 1978) auf die wesentliche Rolle der Primärversorgung für die Gesundheitsförderung hinwies, fehlten zunächst Überlegungen und Konzepte für Krankenhäuser. Diese spielen jedoch auch aufgrund ihrer Ausbildungsfunktion eine entscheidende Rolle als Kern moderner Gesundheitssysteme und prägen alle Gesundheitseinrichtungen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie Gesundheitsförderung an ein Setting wie das Krankenhaus anschließen kann, das doch per definitionem seinen Fokus auf die Behandlung von Krankheiten und damit nur mittelbar auf die Förderung von Gesundheit legt. Zudem kommen Patientinnen und Patienten v. a. in mehr oder weniger bedrohlichen Lebenssituationen ins Krankenhaus, in denen ihre bisherigen Gesundheitsstrategien nicht mehr ausreichen und sie auf mehr oder weniger invasive Interventionen angewiesen sind.
Dennoch lassen sich Gesundheitsförderung und Krankenhaus durchaus verbinden. Das Krankenhaus bietet sowohl für seine Patientinnen und Patienten als auch für Mitarbeitende und auch für die Bevölkerung im Einzugsgebiet eine Reihe von (noch nicht ausreichend genutzten) Schutzfaktoren (Resilienz und Schutzfaktoren), die es zu stärken gilt. Gleichzeitig bestehen beträchtliche Gesundheitsrisiken und Belastungen (Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell) (z. B. Hospitalismus, Behandlungsfehler, nosokomiale Infektionen), die es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt.
Einbindung von Patientinnen und Patienten
Bei Patientinnen und Patienten können die partizipative (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) und empowernde Einbindung in ihren Behandlungsprozess als Ko-Produzentinnen und -Produzenten ihrer Gesundheit, Formen von Schulungen und sozialer Unterstützung sowie die Qualität von Kommunikation und Information dazu beitragen, die Behandlungsergebnisse über den Krankenhausaufenthalt hinaus zu verbessern. Im Krankenhaus selbst sind Patientinnen und Patienten für Interventionen zur Lebensstiländerung besonders empfänglich („teachable moment“). Das bedeutet, dass die Prozesse der Krankenbehandlung und Rehabilitation mit messbaren Effekten auf die klinischen Ergebnisse gesundheitsförderlich gestaltet werden können (vgl. u. a. Dietscher 2017).
Gleiches gilt für das Krankenhaus als physische Umgebung: Die Evidenzforschung zur Krankenhausarchitektur zeigt beispielsweise messbare Effekte baulicher Maßnahmen auf die Patientensicherheit (weniger Infektionen und Stürze) und Mitarbeiterzufriedenheit (vgl. u. a. Ulrich, Zimring & Joseph 2008). Auch Qualität und Quantität der Krankenhausverpflegung tragen wesentlich zum Wohlbefinden und zur Gesundheit von Patientinnen und Patienten sowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei.
Krankenhäuser als Arbeitgeber und regionale Akteure
Krankenhäuser sind wichtige Arbeitgeber. Die Qualität der Arbeitsplätze wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit der Beschäftigten (und deren Angehörige) aus, sondern mittelbar auch auf die Patientinnen und Patienten, da starke Arbeitsbelastung das Risiko von Fehlern erhöht. Weil Arbeitsplätze in Krankenhäusern besondere Herausforderungen an die Gesundheit stellen – etwa die vielfache Konfrontation mit Leid und Tod, Infektions- und Kontaminationsrisiken, Nacht- und Schichtarbeit, hohes Burnout-Risiko etc. – sind Gesundheitsschutz, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung für die Mitarbeitenden besonders angezeigt. Dabei geht es zunehmend auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – nicht nur aufgrund des weiter steigenden Frauenanteils an den Beschäftigten, sondern auch wegen der demografischen Entwicklungen: Immer mehr Angestellte haben betreuungsbedürftige Angehörige.
Schließlich sind Krankenhäuser wichtige Akteure in ihrer Region. Sie kooperieren mit den regionalen Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sowie Verwaltungen. Beispielsweise können sie durch die Bereitstellung epidemiologischer Daten zum regionalen Krankheits- und Verletzungsgeschehen als Basis für entsprechende regionale Interventionsmaßnahmen die Regionalentwicklung unterstützen. Als wichtiger Wirtschaftsfaktor haben Krankenhäuser durch ihre Einkaufspolitik (z. B. Bezug regionaler, biologischer Produkte für die Krankenhausküche) sowie durch ihr Energie- und Abfallmanagement vielfältige gesundheits- und klimarelevante Einflussmöglichkeiten auf die Region.
Orientierung am Konzept „Gesundheitsförderndes Krankenhaus“ bedeutetet demnach, die Auswirkungen von Organisationsentscheidungen auf die Gesundheit der angesprochenen Gruppen systematisch zu berücksichtigen. Gesundheit wird dabei im Sinne der WHO als ein somato-psycho-soziales Konzept verstanden. Gesundheitsförderung (Gesundheitsförderung 1: Grundlagen) umfasst dabei auch Aspekte der Krankheitsprävention (Prävention und Krankheitsprävention), des Gesundheitsschutzes (Gesundheitsschutz), der Gesundheitskompetenz (Gesundheitskompetenz/Health Literacy) sowie der Gesundheitserhaltung und -entwicklung.
Konzept Gesundheitsförderndes Krankenhaus
Die Geschichte der Konzeptentwicklung, Umsetzung und Verbreitung des GFKH wurde zuletzt in Pelikan, Metzler & Nowak (2022) umfassend dargestellt. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick gegeben.
Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung inspirierte Konzeptentwicklungen, die 1989 zu einem erfolgreichen WHO-Modellprojekt in Wien (bis 1996) und 1990 zur Gründung des zunächst auf Europa begrenzten International Network of Health Promoting Hospitals (HPH) als „Multi City Action Plan“ des Gesunde Städte-Projekts der WHO führten.
Eine erste Verschriftlichung des GFKH-Konzeptes stellt die Budapest-Declaration on Health Promoting Hospitals (WHO/Europe 1991) dar. Zuvor galt es zunächst das Ziel zu klären: Sollte das Krankenhaus im Sinne von „Gesundheitsförderung im Krankenhaus“ lediglich als Zugang zu Personen oder Gruppen genutzt werden, um bestimmte Gesundheitsförderungsmaßnahmen oder -programme umzusetzen? Oder sollte das anspruchsvollere Ziel angestrebt werden, das Krankenhaus zu einer gesundheitsfördernden Organisation zu entwickeln? Im Sinne der Ottawa-Charta erfolgte die Entscheidung für den umfassenden Ansatz.
Für diesen Ansatz hält die Budapest-Declaration 17 Aufgaben und Ziele fest. Sie umfassen Führungsgrundsätze, patientenbezogene sowie mitarbeiterbezogene Ziele und Maßnahmen, auf die Region bezogene Ziele und Maßnahmen, die Gestaltung des Krankenhauses als physische Umgebung und die Orientierung an gesundheitsfördernden Werten (Berücksichtigung der Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen, Akzeptanz unterschiedlicher Wertvorstellungen, Partizipation, Orientierung an Gesundheitsgewinn, Vorbildfunktion etc.).
Umsetzung des Konzepts
Die Implementierung des Konzeptes erfordert die Schaffung entsprechender organisationaler Kapazitäten (Capacity Building/Kapazitätsentwicklung), spezifischer Strukturen (z. B. Leitbild, Gesundheitsförderungs-Beauftragte, -Team, -Ausschuss) und Prozesse (z. B. Gesundheitsbeobachtung und -berichterstattung, Implementierungsprojekte) sowie entsprechende Ressourcen (Personal, Budget, Zeit). Damit sind die Voraussetzungen für einen offenen Ansatz der Organisationsentwicklung (Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung) geschaffen: Aufbauend auf standortspezifische Analysen und Diagnosen erfolgt – unter Heranziehung universaler Best Practice-Lösungen – die Auswahl von Maßnahmen, die für die Verbesserung als geeignet erscheinen sowie deren Implementierung und Umsetzung als Projekte einschließlich einer Evaluierung der Effekte (Pelikan, Garcia-Barbero & Lobnig Krajic 1998).
Verbreitung des Konzepts
Im zweiten Teil der Budapest-Declaration wurden Kriterien für Gesundheitsfördernde Krankenhäuser festgelegt. Zur Befolgung dieser verpflichteten sich zwanzig Krankenhäuser aus zwölf europäischen Staaten, die sich von 1993 bis 1997 am europäischen Pilotkrankenhausprojekt (EPHP) beteiligten und die Machbarkeit des Konzeptes unter den Bedingungen ihrer jeweiligen Gesundheitseinrichtungen erprobten.
Zur weiteren Verbreitung des Ansatzes propagierte die WHO ab 1995 die Gründung nationaler und regionaler HPH-Netzwerke. Sie sollten die beteiligten Krankenhäuser vernetzen, neue Einrichtungen für die Gesundheitsförderung gewinnen und die Entwicklung in den Mitgliedseinrichtungen durch Know-how und Instrumente unterstützen. Häufig (beispielsweise in Deutschland oder Österreich) wurden die EPHP-Krankenhäuser zu Koordinationsstellen oder Impulsgebern für Netzwerkbildungen in ihrer Region. Die Rolle und die Aufgaben der Netzwerke wurden in den Wiener Empfehlungen Gesundheitsfördernder Krankenhäuser (WHO/Europe 1997) beschrieben, die zum Ende des EPHP-Projekts verabschiedet wurden.
Der Ansatz „Gesundheitsförderndes Krankenhaus“, dessen Umsetzung nach wie vor weitgehend auf Freiwilligkeit beruht, blieb in der Krankenbehandlung ein Randkonzept. Im Gegensatz dazu erfuhr das Qualitätsmanagement (Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement), das teils verwandte Ziele verfolgt, nicht zuletzt aufgrund der stärkeren Verpflichtung der Krankenhäuser zur Qualitätsarbeit eine nahezu flächendeckende Verbreitung.
Die WHO propagierte daher eine Reihe von Initiativen zur Verbindung von Gesundheitsförderung und Qualität im Krankenhaus. Dies führte zur Entwicklung von 18 Kernstrategien, die die Hauptinhalte des „Gesundheitsfördernden Krankenhauses“ beschreiben (Pelikan, Krajic, Dietscher & Nowak 2006). Die Strategien beziehen sich auf die drei Zielgruppen (Patientinnen und Patienten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und die Region), die bereits in der Budapest-Declaration benannt sind, und zielen je zur Hälfte auf Gesundheitsförderung in den Kernprozessen und zusätzliche gesundheitsförderliche Angebote.
Implementierungshilfen
Als Implementierungshilfe wurde ein engeres Set von fünf Standards gesundheitsfördernder Krankenhäuser mit einem Selbstbewertungstool zur Organisationsdiagnose entwickelt (Gröne 2006). Diese Engführung begünstigte zwar die Vermittlung des Konzeptes an die zunehmend standardisierten Abläufe und Evidenz-Orientierung in der Krankenbehandlung; außerdem erwies sie sich im Zuge der Globalisierung von HPH (etwa ab 2005) insbesondere im südostasiatischen Raum als erfolgreich. Zugleich gab es aber weniger Raum für die Einbindung von Ansätzen, die in der Vergangenheit auch unter dem Dach „Gesundheitsförderndes Krankenhaus“ firmiert und das Konzept dadurch gestärkt hatten. Dies umfasst Ansätze für verschiedene Zielgruppen (z. B. Babys, Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Migrantinnen und Migranten), Lebensstile (z. B. Ernährung, Tabakkonsum) und Verbindungen zu anderen Reformkonzepten wie Qualität, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility.
Um solche Ansätze weiterhin in der HPH-Familie zu halten, wurden spezifische Working Groups und Task Forces eingerichtet. Sie entwickelten teils eigene Standards, die denen der HPH-Standards folgten. In jüngerer Zeit wurden auch Konzepte zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz im Krankenhaus mit dem GFKH-Konzept verbunden. In Österreich erfolgte 2014/15 in Zusammenarbeit mit dem nationalen HPH-Netzwerk eine Machbarkeitsstudie für ein Selbstbewertungsinstrument zur organisationalen Gesundheitskompetenz (Dietscher & Pelikan 2017). Das Instrument wurde international weiterentwickelt und liegt auch in englischer Sprache vor (International Working Group Health Promoting Hospitals and Health Literate Healthcare Organizations 2019).
Trotz dieser Integrationsbemühungen gab es vor allem aus europäischen HPH-Netzwerken wiederholt Kritik an der Engführung durch die fünf Standards, die wesentliche Aspekte des umfassenden GFKH-Reform-Ansatzes nicht berücksichtigten und eher dem reduzierten Ansatz der „Gesundheitsförderung im Krankenhaus“ entsprachen. Im Jahr 2020 führte das zu einer revidierten und stärker am ursprünglichen Konzept ausgerichteten Neuauflage der Standards (International HPH Network 2020). Sie beinhalten nun auch explizit Grundwerte der Gesundheitsförderung wie die Orientierung an gesundheitlicher Chancengerechtigkeit und an Personenzentrierung. Zudem wird die Rolle des Krankenhauses als Akteur für Gesundheitsförderung im regionalen Kontext berücksichtigt, einschließlich der Verbindung von Umwelt und Gesundheit.
Zusammenfassende aktuelle Definition
Das revidierte Gesundheitsförderungs-Glossar der WHO (2021, S. 21) definiert Gesundheitsfördernde Krankenhäuser heute wie folgt: „Gesundheitsfördernde Krankenhäuser und Gesundheitsdienste richten ihre Führungsmodelle, Strukturen, Prozesse und Kultur so aus, dass sie den Gesundheitsgewinn für Patienten, Personal und die versorgte Bevölkerung optimieren und nachhaltige Gesellschaften unterstützen. Das Konzept der gesundheitsfördernden Krankenhäuser und Gesundheitsdienste war eine Reaktion auf den Aktionsbereich ‚Neuausrichtung der Gesundheitsdienste‘ der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Der von den gesundheitsfördernden Krankenhäusern verfolgte Ansatz, der das gesamte System einbezieht, stützt sich auf mehrere Gesundheitsreformbewegungen und konsolidiert diese: Patienten- oder Verbraucherrechte, medizinische Grundversorgung, Qualitätsverbesserung, umweltverträgliche (‚grüne‘) Gesundheitsversorgung und Organisationen, die sich für die Gesundheit einsetzen. Die Organisationsentwicklungsstrategie gesundheitsfördernder Krankenhäuser beinhaltet eine Neuausrichtung von Führung, Politik, Personal, Strukturen, Kultur und Beziehungen im Hinblick auf verbesserte Gesundheitsergebnisse für Patienten, Personal und Bevölkerungsgruppen in Gemeinden und anderen Einrichtungen. Strategien und Standards, die auf der Philosophie und den Instrumenten der Qualitätsverbesserung beruhen, werden als Richtschnur für Maßnahmen verwendet: zu vorrangigen Fragen der Gesundheit und der Chancengleichheit; zum Nutzen bestimmter Patientengruppen wie Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen und Migranten; zu Themen der Prävention und Gesundheitsförderung wie Rauchen, Ernährung, körperliche Bewegung und Alkoholkonsum; und zur ökologischen Nachhaltigkeit.“
Aktueller Stand und Perspektiven
Das internationale HPH-Netzwerk hat sich in den beinahe 35 Jahren seines Bestehens konzeptuell und institutionell konsolidiert. Seit 1993 finden jährlich internationale Konferenzen statt, es gibt eine Website, themenspezifische Arbeitsgruppen und Trainings-Angebote. Das Netzwerk hat mehrere strukturelle Veränderungen überstanden, darunter mehrfache Wechsel des internationalen Netzwerk-Sekretariats. Während die Anzahl der Mitgliedsorganisationen und der nationalen sowie regionalen Netzwerke in Europa derzeit eher zu stagnieren scheint (nicht zuletzt auch in Folge diverser internationaler Krisen), ist das Wachstum in Asien ungebrochen.
Seit 2008 ist HPH als selbstständiger Verein nach Schweizer Recht konstituiert, mit einer besonderen Beziehung zur WHO und weiteren supranationalen Organisationen wie der International Hospital Federation, Health Care Without Harm, dem Global Network for Tobacco Free Healthcare Services oder dem WHO-M-POHL Netzwerk zur Gesundheitskompetenz-Messung. Seit 2009 steht HPH auch anderen Gesundheitseinrichtungen als Krankenhäusern offen. Zum Zeitpunkt dieses Updates (Anfang 2024) gibt es ca. 20 nationale bzw. regionale Netzwerke und etwa 550 Mitgliedseinrichtungen. An den jährlichen internationalen Konferenzen nehmen im Schnitt 600 Delegierte teil.
Im Jahr 2011 wurde eine umfassende internationale Evaluationsstudie der nationalen und lokalen Netzwerke sowie der Mitgliedskrankenhäuser durchgeführt (PRICES-Studie: Pelikan, Dietscher, Schmied & Röthlin 2011). Erhoben wurden organisationale Kapazitäten und Implementierungsschwerpunkte in den HPH-Mitgliedseinrichtungen sowie Strukturen und unterstützende Maßnahmen der nationalen und regionalen HPH-Netzwerke. Die Ergebnisse zeigen, dass jene Krankenhäuser, die mehr Strukturen zur Gesundheitsförderung implementiert hatten, auch mehr Gesundheitsförderung umsetzten. Zudem kann die Implementierung in Organisationen durch strategische Netzwerkarbeit gestärkt werden. Nationale Rahmenbedingungen, insbesondere gesetzliche Regelungen zur Gesundheitsförderung, können sowohl die Arbeit der Netzwerke als auch die Implementierung von Gesundheitsförderung in den Organisationen entscheidend unterstützen (Dietscher 2017).
Im deutschsprachigen Raum bestehen nach wie vor Netzwerke in Deutschland (seit 1995) und Österreich (seit 1996), wobei gemessen an der Anzahl der Krankenhäuser die Verbreitung in Österreich deutlich größer ist. In Österreich dürfte zum einen die Strategie des „Umbrella-Konzepts“ aufgegangen sein. Durch Etablierung von Sektionen für Baby-friendly Hospitals, Tabakfreie Gesundheitseinrichtungen und Altersfreundliche Gesundheitseinrichtungen konnten Einrichtungen gewonnen werden, die sich ansonsten anders organisiert hätten. In der Netzwerkkoordination, die über weite Strecken am gleichen Institut wie die Koordination des internationalen HPH-Netzwerks und später des internationalen Konferenz-Sekretariats angesiedelt war, ergaben sich zudem nachhaltigkeitsfördernde Synergien. In Deutschland hingegen schlugen die „Rauchfreien Krankenhäuser“ und die „Gesundheitsfördernden Krankenhäuser“ getrennte Wege ein. Die derzeit in Hamburg angesiedelte internationale HPH-Koordination könnte für das deutsche HPH-Netzwerk neue Impulse bringen.
In der Schweiz, die nicht am EPHP teilgenommen hatte, wurde 1999 vergleichsweise spät ein nationales Netzwerk Gesundheitsfördernder Krankenhäuser etabliert. Es wurde allerdings 2012 aufgelöst, während die tabakfreien Gesundheitseinrichtungen in der Schweiz – ähnlich wie in Deutschland – weiterhin bestehen.
Insgesamt hat HPH bisher nur begrenzt die hohen Erwartungen erfüllt, die bei seiner Etablierung mit dem Konzept verbunden wurden. Es hat vor allem im globalen Norden Verbreitung gefunden, doch auch hier nur einen Bruchteil der Krankenhäuser erreicht. Selbst jene, die teilnehmen, sind zumeist weit von einer umfassenden Orientierung an Gesundheitsförderung entfernt, wie sie von der Ottawa-Charta gefordert wird. Die Ausdehnung auf andere Gesundheitseinrichtungen steckt nach wie vor in den Anfängen, hat allerdings im Zusammenhang mit der Verbreitung gesundheitskompetenter Organisationen etwas an Fahrt aufgenommen. Ein Vergleich zwischen europäischen und asiatischen HPH-Netzwerken zeigt, dass der begrenzte Erfolg wohl vor allem dem weitgehenden Fehlen einer konsequenten gesundheitspolitisch geforderten und unterstützten Public Health-Orientierung von Krankenhäusern, Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitssystemen zuzuschreiben ist.
Gesundheitsförderung hat vor allem dann eine Chance, wenn sie als geeignete Lösung für vorhandene Probleme eingeführt wird und nicht als zusätzliches, belastendes Ziel. Wenn beispielsweise ein stärkerer Beitrag der Krankenhäuser zu Public Health geleistet werden soll, sind durch die Gesundheitspolitik jene gesetzlichen Rahmenbedingungen und Ressourcen zu schaffen, die dies für Krankenhäuser fördern, ermöglichen und auch belohnen – beispielsweise durch die Honorierung von Gesprächszeiten und Gesundheitsberatungen, die Integration von Gesundheitsförderung in Qualtiätsmanagement-Systeme und die Adaptierung von Aus-, Fort- und Weiterbildungs-Curricula als Voraussetzung für eine Kulturveränderung im Gesundheitssystem.
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Internetadressen:
Deutsches Netz Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen: www.dngfk.de
Deutsches Netz Rauchfreier Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen: www.dnrfk.de
International Network of Health Promoting Hospitals & Health Services: www.hphnet.org
Österreichisches Netzwerk Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen: www.ongkg.at
Verweise:
Capacity Building / Kapazitätsentwicklung, Determinanten der Gesundheit, Empowerment/Befähigung, Gesundheitsförderung 1: Grundlagen, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Gesundheitsschutz, Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Prävention und Krankheitsprävention, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement, Resilienz und Schutzfaktoren, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Salutogenese, Settingansatz/Lebensweltansatz
Wir danken Jürgen M. Pelikan, der in der ersten Version dieses Beitrags das Team der Autorinnen und Autoren leitete und leider im Februar 2023 verstarb.