Wirkungsorientierung in Gesundheitsförderung und Prävention
Wiebke Humrich , Holger Kilian , Antje Richter-Kornweitz , Petra Kolip
Zitierhinweis: Humrich, W., Kilian, H., Richter-Kornweitz, A., Kolip, P. (2024). Wirkungsorientierung in Gesundheitsförderung und Prävention. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Eine wirkungsorientierte Arbeitsweise unterstützt Projekte und Programme, ihre Interventionen auf die Erreichung spezifizierter Wirkungen hin auszurichten. Als Ausgangspunkt beschreibt eine Wirkungslogik den Weg von Maßnahmen zu (angestrebten) Wirkungen. In der Praxis hat sich die Arbeit mit einer Wirkungstreppe etabliert, die u. a. Output (erbrachte Leistungen) und Outcome (angestrebte Veränderungen) unterscheidet. Veränderungen können bei Strukturen (Outcome 1) oder direkt bei der Zielgruppe (Outcome 2) liegen.
Schlagworte
Wirkung, Wirkungsmodelle, Veränderungsmodelle, Wirkungslogik, Qualität
Das Konzept der Wirkungsorientierung hat das Ziel, Interventionen der soziallagenorientierten Gesundheitsförderung systematisch auf die Erreichung konkreter Wirkungen hin auszurichten und diese zu belegen. Ausgangspunkt ist die Frage, welche Veränderungen bei der Zielgruppe und/oder in einem Setting erreicht werden sollen. Mit einer Auswahl von Interventionen geht dann im wirkungsorientierten Arbeiten die Begründung einher, warum und auf welche Weise die Maßnahmen der Zielerreichung dienen. Dies wird mit einem Modell dargestellt, das die Wirkungslogik verdeutlicht.
Damit hat das Konzept deutliche Schnittstellen zu Ansätzen der Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement und Evaluation, zu Erklärungs- und Veränderungsmodelle 1: Einstellungs- und Verhaltensänderung, Projekte/Projektmanagement und Good Practice/Best Practice in der Gesundheitsförderung.
Während Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement die Umsetzung fachlicher Kriterien und Standards und damit das Wie einer Intervention in den Mittelpunkt stellt, zielt die zentrale Frage der Wirkungsorientierung darauf, warum bestimmte Aktivitäten ausgewählt und umgesetzt werden. Die Antwort wird mit der Wirkungslogik formuliert. Sie beschreibt das angestrebte Ziel und erläutert, welchen konkreten (direkten oder vermittelten) Beitrag die geplanten Aktivitäten zur Zielerreichung leisten.
Diese Beiträge können auf unterschiedlichen Ebenen liegen, z. B. im Aufbau von Kooperationsstrukturen, der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen oder der Verstärkung von Impulsen, die von anderen Akteurinnen und Akteuren kommen. Entscheidend im Rahmen einer wirkungsorientierten Arbeitsweise ist, dass die Aktivitäten nie Selbstzweck sind, sondern immer einen möglichst mess- oder benennbaren Beitrag zur Zielerreichung leisten.
Nutzen der Wirkungsorientierung
Wirkungsorientierung trägt zur Verbesserung der Praxis bei, weil sie die Bedeutung des Wirkungskontextes betont und Akteure und Akteurinnen ermuntert, diesen Wirkungskontext genauer in den Blick zu nehmen. Maßgebende Faktoren sind dabei das Verständnis der Herausforderungen und Bedarfe, das Verständnis der Lebenslagen der Adressatinnen und Adressaten, das sorgfältige Entwickeln von Zielen, das Einbetten in eine umfassende Wirkungslogik, eine fortwährende Reflexion und die Kooperation mit anderen Professionen sowie die Partizipation der Adressatinnen und Adressaten (Meissner 2021, S. 7).
Wirkungsorientierung folgt der Idee des Logischen Modells (Erklärungs- und Veränderungsmodelle 1: Einstellungs- und Verhaltensänderung): Ausgehend von einer gründlichen Problembeschreibung unterstützt es die Zielformulierung, indem der Blick von Anfang an und kontinuierlich auf die angestrebten Veränderungen (Wirkungen) und die dorthin führenden angenommenen Kausalketten (Wirkungslogik) gerichtet ist. Die Methoden zur Planung und Umsetzung der Aktivitäten gibt die wirkungsorientierte Perspektive nicht vor. Wirkungsorientierung lässt sich deshalb gut in bestehende Praxisansätze integrieren.
Abhängig von den verfügbaren Ressourcen sowie dem praktischen und wissenschaftlichen Kenntnisstand im jeweiligen Handlungsfeld unterstützt die wirkungsorientierte Perspektive Praktikerinnen und Praktiker dabei, ihre Arbeit kontinuierlich im Hinblick auf die angestrebten Veränderungen/Wirkungen zu reflektieren. Dies wirkt der Gefahr entgegen, sich in der konkreten Arbeit allein an Kriterien zu orientieren, die zwar „gute Qualität“ anzeigen, aber keine Aussage über die angestrebten Wirkungen machen.
Beispiel: Eine Fachveranstaltung ist gut besucht und wird von den Teilnehmenden sehr gut bewertet. Sie leistet aber nur dann einen wirksamen Beitrag zum Erfolg, wenn die Teilnehmenden anschließend ihr Handeln im gewünschten Sinne ändern und/oder andere erwünschte Veränderungen durch die Veranstaltung angestoßen werden.
Als praxisorientiertes logisches Modell ist für die Wirkungsorientierung eine einfache, klare und im Projektalltag gut umsetzbare Aufbereitung des Ansatzes wichtig. Die verbreiteten Konzepte von Univation (Beywl & Niestroj o. J.) und das Ergebnismodell des Schweizer Qualitätssystem quint-essenz.ch (Spencer, Broesskamp-Stone, Ruckstuhl, Ackermann, Spoerri & Cloetta 2008) sind Beispiele hierfür. Gut etabliert hat sich das seit Mitte der 2010er Jahre durch PHINEO (Kurz & Kubek 2021) herausgegebene „Kursbuch Wirkung“, das mit seiner übersichtlichen Struktur der „Wirkungstreppe“ dazu beigetragen hat, den Ansatz zu verbreiten. Dabei ist die „Treppe“ als eine Metapher für unterschiedliche Wirkungsebenen in aufsteigender Komplexität und Praxisrelevanz zu verstehen.
Die Wirkungsebenen nach PHINEO
Das Modell nach PHINEO (Kurz & Kubek 2021) unterscheidet folgende Wirkungsebenen:
- Input: Ressourcen, die in ein Vorhaben gehen.
- Output: Leistungen, die mit den Ressourcen erbracht werden.
- Outcome: Wirkungen, die mit den Leistungen erzielt werden.
- Impact: gesellschaftliche Veränderungen, die im Zusammenspiel mit anderen Akteurinnen und Akteuren erreicht werden.
Input und Rahmenbedingungen: Die Analyse der Rahmenbedingungen sowie der direkt und indirekt für die Intervention verfügbaren Ressourcen (z. B. personelle, finanzielle, räumliche, zeitliche Ressourcen) stehen am Anfang jedes wirkungsorientierten Ansatzes. Diese Ressourcen stecken die Möglichkeiten für Veränderungen durch die geplante Intervention ab.
Output: Die konkreten Aktivitäten (was man konkret für unterschiedliche Zielgruppen tut) einer gesundheitsfördernden Intervention werden im Rahmen einer wirkungsorientierten Arbeitsweise als Output bezeichnet. Idealerweise wird dieser Output (z. B. eine Fachveranstaltung, ein Netzwerktreffen oder eine Broschüre) nach allen „Regeln der Kunst“ erbracht, also unter Berücksichtigung der fachlichen Qualitätsstandards wie Zielgruppenorientierung, Niedrigschwelligkeit oder Partizipation.
Als Kriterien zur Überprüfung des Erfolgs werden oft einfach zu ermittelnde quantitative Messgrößen verwendet, z. B. die Anzahl der Teilnehmenden bei einer Veranstaltung, die Anzahl der aktiv einbezogenen Vertreterinnen und Vertreter einer Zielgruppe oder die Auflage und Abrufzahlen einer Veröffentlichung. Auch Zufriedenheitsabfragen sind auf dieser Ebene angesiedelt.
Diese Informationen sind wichtig, um belegen zu können, dass Aktivitäten wie geplant stattgefunden haben und fachliche Qualitätsstandards berücksichtigt wurden. Aus Perspektive der Wirkungsorientierung sind diese Informationen zwar notwendige, aber keine hinreichenden Angaben darüber, ob die Intervention tatsächlich etwas bewirkt hat.
Outcome: Der Outcome bezieht sich auf die Wirkungen, die in unterschiedlichen Bereichen erzielt werden. Am Beispiel einer gut besuchten Fachveranstaltung können es z. B. in aufsteigender Relevanz diese Wirkungen sein:
- Einstellungen und Wissen der Teilnehmenden ändern sich: Die Fachveranstaltung hat Informationen und Kenntnisse vermittelt und dazu beigetragen, dass z. B. ein bislang noch nicht beachtetes Thema nun einen höheren Stellenwert bei den Teilnehmenden hat. Eine andere Wirkung der Veranstaltung kann sein, dass Kontakte vermittelt und die Transparenz des jeweiligen Handlungsfeldes verbessert wurde.
- Handlungen der Teilnehmenden ändern sich: Die Teilnehmenden wenden die auf der Fachveranstaltung gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen ihrer Arbeit an. Sie können neue Themen in ihre Aktivitäten aufnehmen, neue Methoden anwenden oder Kooperationen mit Akteurinnen und Akteuren eingehen, die sie im Rahmen der Veranstaltung kennengelernt haben.
- Lebensbedingungen der Teilnehmenden ändern sich: Wenn Lebensbedingungen für die Teilnehmenden der Fachveranstaltung als Arbeitsbedingungen übersetzt werden, kann ein konkretes Ergebnis sein, dass sie durch die gewonnenen Erkenntnisse und Kontakte mehr Transparenz und Handlungssicherheit in ihrem Arbeitsfeld gewinnen. Dadurch sind sie in der Lage, auch größere und anspruchsvollere Aktivitäten anzugehen oder die bereits realisierten in größerer fachlicher Tiefe umzusetzen.
Eine Herausforderung wirkungsorientierter Arbeitsweise besteht darin, aussagekräftige Indikatoren für diese angestrebten Outcome-Ziele zu bestimmen, zu erheben, auszuwerten und schließlich in eine wirkungsorientierte Berichterstattung einzubinden. Eine solche Spezifizierung von Indikatoren ist die Grundlage für die Evaluation, denn nur dann lässt sich die Zielerreichung in Bezug auf Output und Outcome überprüfen.
Impact: Als Impact werden erwünschte Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene bezeichnet. Dies kann ein Ausschnitt aus der „Gesamtgesellschaft“ sein, z. B. die Bevölkerung in einem Stadtteil oder einer ländlichen Region. Da gesellschaftliche Veränderungen von zahlreichen Einflussfaktoren bestimmt werden, lässt sich in der Regel kein direkter Beitrag einer konkreten Intervention bestimmen. Über die Wirkungslogik der Intervention sollte aber plausibel sein, wie diese einen Beitrag zum Impact leistet.
Herausforderungen einer wirkungsorientierten Arbeitsweise
Qualität und Wirkung in Gesundheitsförderung und Prävention (Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement) haben durch Gesetzgebungen in der jüngeren Vergangenheit mehr Aufmerksamkeit erfahren. Neben dem Präventionsgesetz (2015) sind die Vorgaben des Bundesteilhabegesetz (Art. 25 Abs. 2 BTHG) aus dem Jahr 2017 zu nennen. Einen Aufmerksamkeitszuwachs gibt es auch in der Suchtprävention und in weiteren Bereichen der Sozialen Arbeit (Bühler 2020; Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2022; Löbler, Loukas, Schneider & Schneider 2023), auch wenn kontroverse Diskussionen sowie unterschiedliche Begriffe und Begriffsinterpretationen noch ein unklares Bild zeichnen.
Doch es besteht weitgehende Einigkeit, dass der Prozess der Wirkungsbetrachtung und -abschätzung anspruchsvoll ist. Lineare Wirkungszusammenhänge lassen sich selten in kommunalen Settings (Settingansatz/Lebensweltansatz) herstellen. Die Wirkungen vernetzter, sektorenübergreifender Arbeiten lassen sich selten zweifelsfrei isolieren bzw. müssen mit mehreren, aufeinander bezogenen Wirkungstreppen abgebildet werden (Deutscher Bundestag 2022, S. 6, 10, 276; Meissner 2021).
Die Herausforderungen wirkungsorientierten Arbeitens stellen sich gleichwohl in vielen Settings. Sie sind besonders prägnant in dem komplexen Setting Kommune. Um sich dort einer wirkungsorientierten Arbeitsweise anzunähern, geht es zunächst darum, zu einem gemeinsamen Verständnis mit Blick auf die Wirkungslogik und den Bezugsrahmen zu kommen. Diese Herangehensweise impliziert beispielsweise, in der kommunalen Verwaltung über verschiedene Fachbereiche und Hierarchieebenen hinweg eine „offene“ Haltung für das Thema Wirkung und ein gemeinsames prozesshaftes Verständnis (Public Health Action Cycle/Gesundheitspolitischer Aktionszyklus) zu entwickeln. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten und im Austausch mit den für den Prozess relevanten Personen stellen sich u. a, die beiden folgenden Fragen:
- Welche Wirkungen sollen auf unterschiedlichen Ebenen (Zielgruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren; Settingansatz/Lebensweltansatz) mit unserer gesundheitsförderlichen Intervention angestrebt werden und warum?
- Wie wollen wir die Wirkungen überprüfen?
Diese Fragen können unterschiedlich beantwortet werden. Das Phasenmodell für wirkungsorientierte Steuerung (Abb. 1) bietet einen Orientierungsrahmen für die Einführung einer wirkungsorientierten Arbeitsweise und unterteilt den Prozess in acht Phasen.
Maßgeblich für eine wirkungsorientierte Arbeitsweise sind demnach ein gemeinsames Verständnis zu Bedarfen und Bedürfnissen (Phasen 1) und konkreten (Wirkungs-)Zielen, die auf der Basis der Kontextanalyse formuliert werden und die u. a. ein Verständnis zur Lebenslage der Zielgruppe und zur jeweiligen Lebenswelt ermöglicht (Phase 2).
Die Kontextanalyse ist der Erstellung und Befüllung des Wirkungsmodells vorangestellt. Die definierten (Wirkungs-)Ziele werden danach in das Modell eingebettet, das die Wirkungslogik widerspiegelt (Phase 3).
Zu den formulierten Zielen werden im Anschluss Indikatoren gebildet, sodass eine Sammlung und Auswertung von Daten möglich ist, um die Zielerreichung zu überprüfen (Phasen 4 bis 6).
In der Phase 7 wird über die Wirkungen berichtet. Hier unterstützt der Social-Reporting-Standard (SRS), die Wirkungskette der Interventionen zu dokumentieren und zu kommunizieren (Social Reporting Initiative e. V. 2014).
Phase 8 bietet den Raum, die erreichten Wirkungen zu diskutieren und nachzusteuern. Es schließt sich dann ein neuer Durchgang des Phasenmodells an (Richter-Kornweitz, Schluck, Petras, Humrich & Kruse 2022; Kurz & Kubek 2021).
Ohne eine fundierte Bestandsaufnahme ist eine (partizipative) Zielentwicklung schwierig. Gemeinsame Absprachen zu Beginn, was im Sinne einer wirkungsorientierten Vorgehensweise gewollt, vom Förderer als nötig erachtet und mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar ist, sind für eine erfolgreiche Einführung, Umsetzung und Verankerung von Wirkungsorientierung in Gesundheitsförderung und Prävention zentral (Kolip 2019; Kilian 2018; Meissner 2021; Kurz & Kubek 2021).
Je komplexer die Intervention ist, desto methodisch aufwendiger und kostenintensiver können Wirkungsnachweise werden, die ohne erhebliche zusätzliche Ressourcen (z. B. Personal, Finanzen oder über eine externe Evaluation) kaum in den Projektalltag integrierbar sind. Darüber hinaus ist es in kommunalen Settings häufig herausfordernd, zur Beschreibung einer umfassenden Ausgangslage an kleinräumige Daten zu gelangen und Personen mit ausreichend Erfahrungen in der disziplin- und professionsübergreifenden Datenanalyse zu finden.
Zusammenfassend betrachtet bietet Wirkungsorientierung für das Handlungsfeld Gesundheitsförderung und Prävention und speziell für kommunale Settings einen Ansatz für die Praxis, um sich mit komplexen Wirkungszusammenhängen und beabsichtigten Wirkungen zu beschäftigen. Eine prozessorientierte Annäherung und die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung zu dem Thema ist gerade mit Blick auf die Komplexität der Interventionen und der Arbeit in unterschiedlichen (ressortübergreifenden) Netzwerken und Kooperationen wichtig.
Doch schon in der Konzeptionsphase von Interventionen kann im Dialog beispielsweise mit den Fördermittelgebenden die Basis für eine wirkungsorientierte Arbeitsweise im Projektkontext gelegt werden.
Wirkungsorientierung in der Praxis: Kommunale Präventionsketten
Am Beispiel kommunaler Präventionsketten (Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention) lässt sich gut aufzeigen, wie eine wirkungsorientierte Vorgehensweise in komplexen Interventionen angestoßen, umgesetzt und im kommunalen Kontext verankert werden kann. Präventionsketten sollen spezifische Wirkungen entfalten, die in den Strukturen der Kommunen sichtbar werden, aber auch direkt bei den Kindern und Familien ankommen.
Um die Komplexität der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu reduzieren, sollten deswegen leicht überprüfbare Teilziele (Fortschritte) betrachtet werden, die zu den beabsichtigten Wirkungen hinführen. Ist ein solcher Fortschritt erreicht, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit des beabsichtigten Wirkungseintritts.
Ein Wirkungsnachweis für die gesamte Präventionskette ist erst über das Zusammenwirken vieler einzelner Fortschritte abzuleiten (LVR u. a. 2023; Kilian 2018). Dieser „collective Impact“ entsteht durch eine ressortübergreifende Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren aus den Sektoren Zivilgesellschaft, Kommunalverwaltung und ggfs. Wirtschaft. Denn nur so lassen sich komplexe Probleme lösen und gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen (Kania & Kramer 2011).
Wirkungsorientierung im Programm „Präventionsketten Niedersachsen“
Eine wirkungsorientierte Arbeitsweise bildete die Basis für den Auf- und Ausbau von Präventionsketten in 22 niedersächsischen Kommunen im stiftungsgeförderten Programm „Präventionsketten Niedersachsen: Gesund aufwachsen für alle Kinder!“ (2016 bis 2022). In Anlehnung an das Modell von PHINEO (2021) wurden für Präventionsketten drei Stufen (siehe Abb. 2: 4. bis 6. Stufe) auf der Outcome-Ebene 1 (Strukturelle Wirkungen) ergänzt, um der Komplexität der Präventionsketten-Arbeit gerecht zu werden. Denn Präventionsketten beabsichtigen, Wirkungen in den Strukturen (Outcome 1) und bei den Zielgruppen (Outcome 2) zu erzielen.
Das um Outcome 2 erweiterte, nun zehnstufige Wirkungsmodell für Präventionsketten (Abb. 2), bildete die Grundlage zur systematischen Planung und Steuerung des Präventionsketten-Prozesses sowohl auf struktureller Ebene wie auf Ebene der Zielgruppen.
Zur Unterstützung der wirkungsorientierten Vorgehensweise in den Kommunen wurden jeweils bedarfsorientierte Workshops zur Ziel- und Indikatorenentwicklung durchgeführt. Ein vorab skizziertes Impact-Ziel bildete die Grundlage für den Workshop mit verwaltungsin- und externen Fachkräften sowie mit Vertreterinnen und Vertreter der Leitungsebenen. Die detaillierter entwickelten (Wirkungs‑)Ziele und Indikatoren wurden den einzelnen Stufen zugeordnet. Im Anschluss fanden kommunale Beratungen zur Verankerung der wirkungsorientierten Arbeitsweise über die Programmlaufzeit hinaus statt.
Beispiel: Die Zusammensetzung der Teilnehmenden an den Workshops erfordert sorgfältige Planung und genaue Absprachen, um die notwendigen Fachkräfte einzubinden. In den niedersächsischen Modellkommunen ging es dabei u. a. darum zu ermitteln, welche Fachbereiche und -disziplinen das Vorhaben betrifft. Letztendlich spiegelte die Zusammensetzung die Hierarchieebenen der kommunalen Verwaltung, von freien Trägern und von weiteren Institutionen. Die sich daraus ergebende Vielfalt der Fachkräfte und Aufgabenbereiche ermöglichte ein detailliertes Bild des Bedarfs vor Ort. Die klare Kommunikation des Vorhabens spielte eine wesentliche Rolle für den Erfolg. Zu den Ergebnissen gehörte u. a. die neu entstehende, enge und kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Jugendhilfebereich bei Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention, ebenso wie neue Kooperationen mit Einrichtungen zur Sprachförderung oder die dauerhafte Einbindung von Fach- und Leitungskräften aus dem Bildungsbereich (Kita und Schule). Bewährt haben sich die neuen Formen der Zusammenarbeit auch in der Pandemie. So kam es zur raschen Entwicklung vieler neuer bzw. optimierter bedarfsorientierter Unterstützungsangebote für Kinder und Eltern im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention.
Praxiserfahrungen: Förderliche Faktoren zur Verankerung einer wirkungsorientierten Arbeitsweise
Neben ausreichenden Zeit- und Personalressourcen (durch eine Koordination) braucht es die Bereitschaft der Leitungsebene(n) und der kommunalen Akteurinnen und Akteure in der Verwaltung sowie der Fachkräfte vor Ort (in Kitas, Familienzentren, Mehrgenerationenhäusern, Beratungsstellen), sich an diesem Prozess zu beteiligen. Eine kontinuierliche Prozessbegleitung ist förderlich und sollte sich neben der Beratung die transparente Gestaltung des Prozesses zum Ziel setzen.
Über allem sollte stehen, die dauerhafte Verankerung der wirkungsorientierten Arbeitsweise zu fördern und die Schritte entsprechend zu planen. Denn: Es ist weniger wichtig, sich akribisch am Modell abzuarbeiten und gleich im ersten Schritt SMARTE (Wirkungs-) Ziele zu entwickeln (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch und Terminiert), als im Dialog ein gemeinsames Verständnis bezüglich der beabsichtigten Wirkungen zu erarbeiten. Nur so können sich die Akteurinnen und Akteure über den Programmverlauf kritisch mit den definierten (Wirkungs-)Zielen und Indikatoren sowie den beabsichtigten Wirkungen auseinandersetzen und die geplanten Vorhaben regelmäßig überprüfen und weiterentwickeln(Kilian 2018; Brandes, Humrich & Richter-Kornweitz 2022).
Ausblick
Bei der Wirkungsorientierung handelt sich um ein komplexes und dynamisches Feld, in dem unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet und, je nach Kontext, verschiedene Wirkungslogiken herangezogen werden. Auch wenn sich theoretische Debatten mehren, gibt es bisher nur vereinzelt praktische Beispiele aus Gesundheitsförderung und Prävention, wie eine wirkungsorientierte Arbeitsweise eingeführt und nachhaltig verankert werden kann. Hier bedarf es zukünftig weiterer Erprobung.
Ein Dialog mit verschiedenen Fördermittelgebenden ist notwendig, um den Ansatz der Wirkungsorientierung mehr geförderte Projekte zugrunde zu legen und so stärker in eine praktische Umsetzung zu kommen.
In diesem dynamischen Feld sind Wohlfahrtsverbände, Stiftungen, Landesvereinigungen für Gesundheit und Hochschulen bereits auf dem Weg, auf dem sie thematische Weiterbildungen (mit unterschiedlichen Arbeitshilfen) entwickeln und anbieten oder spezifische Kompetenzzentren „Wirkungsorientierung“ für einzelne Arbeits- und Handlungsfelder aufbauen (z. B. Paritätische Akademie, Kompetenzzentrum Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit, Kompetenzzentrum Gesundheitsförderung und Prävention). Um diese Materialien und Erkenntnisse in der Gesundheitsförderung und Prävention nutzen zu können, sollten sie in den Austausch gebracht werden.
Um eine wirkungsorientierte Arbeitsweise vor Ort anzustoßen und auch kontinuierlich fortzuführen, bedarf es neben diesen konzeptionellen Arbeiten auch personeller und finanzieller Ressourcen, die in der Planung und Finanzierung berücksichtigt werden müssen.
Literatur:
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Verweise:
Erklärungs- und Veränderungsmodelle 1: Einstellungs- und Verhaltensänderung, Evaluation, Good Practice / Best Practice in der Gesundheitsförderung, Präventionsgesetz, Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention, Public Health Action Cycle / Gesundheitspolitischer Aktionszyklus, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement, Settingansatz/Lebensweltansatz, Zielgruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren